Es schreibt: Ivo Habán

(22. 9. 2021)

Der Grafiker und Illustrator Hugo Steiner-Prag prägte die Buchkultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutend, und zwar weit über den tschechischen Kontext hinaus. Er ist sowohl mit der magischen Atmosphäre Prags vor dem Krieg und dem literarischen Kreis Max Brods, Gustav Meyrinks und Franz Kafkas, als auch mit den Erzeugnissen der Zwischenkriegszeit untrennbar verbunden. Ähnlich wie im Falle zahlreicher anderer deutschsprachiger KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und Intellektueller aus Böhmen, Mähren und Schlesien wurde die Rezeption seines Werks hierzulande durch die ethnische Frage und zugleich seine Zugehörigkeit zum Judentum beeinflusst. Sowohl der deutschsprachige Kontext von Steiners Arbeiten als auch sein interdisziplinäres Schaffen brachten ihn für längere Zeit in die Position einer Persönlichkeit, über die man in Fachkreisen durchaus Bescheid wusste, während man jedoch auf eine breitere Wertschätzung und Einordnung seines Werks in den Kontext der zeitgenössischen Kulturszene Böhmens noch warten musste.

 

Die Bandbreite seiner Aktivitäten war zudem auch lange eher ein Hindernis für ein komplexeres Aufarbeiten seines künstlerischen Vermächtnisses. Auch wenn er sich als Illustrator und Gestalter von Büchern etabliert hat, sollte man ihn gleichermaßen als souveränen Künstler respektieren – als Grafiker, Maler sowie auch als Pädagoge. Hugo Steiner-Prag war kurz gesagt in mehreren Fachgebieten aktiv, und jedes davon kann sich ruhig aus der eigenen Perspektive auf den entsprechenden Teil seines Werkes konzentrieren. Aus internationaler Perspektive kann man ihn vor allem als Prager Europäer bezeichnen. Es ist also logisch und aus der Sicht der tschechischen Kultur sehr verdienstvoll, dass es zu ihm nun eine Monografie gibt, die auch den tschechischen LeserInnen zugänglich ist.

 

Dieser nicht gerade einfachen Aufgabe quer durch die künstlerische und literarische Szenen, die Buchproduktion und verschiedene okkulte Angelegenheiten nahm sich Pavel Růt an, der zusammen mit dem Übersetzer Radek Charvát und dem Lektor David Veselý unter dem Dach des Verlags Arbor vitae eine zweisprachige Monografie veröffentlichte. Die Tatsache, dass das Buch gerade bei Arbor vitae erscheint, ist keineswegs überraschend und bestätigt nur das lange bestehende Interesse des Verlegers Martin Souček an der deutschböhmischen visuellen Kultur als integralem Bestandteil der Geschichte der böhmischen Länder. Es muss betont werden, dass das Buch kein für sich allein stehendes Projekt ist, übrigens unterstützt durch das tschechische Kulturministerium und den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Das Interesse Pavel Růts an Steiners Werk weist auch eine kuratorische Ebene auf – die Publikation wurde lose begleitet von einer Ausstellung in der Galerie Smečky.

 

Als einzelner Autor eine moderne Monografie zu schreiben ist nie eine leichte Aufgabe. Sowohl, was eine möglichst attraktive Textform betrifft, als auch bezüglich des Arbeitsumfangs, der nötig ist, um ein in diesem Falle sehr umfangreiches Werk auszuleuchten. Pavel Růt wählte eine traditionelle, konservative Form, in der er konsequent chronologisch die Lebensgeschichte des Künstlers vorlegt und dazwischen Beispiele aus seinem Werk einflicht. Es gibt kein Vor- oder Nachwort, das die Motivation des Autors, die Methodologie oder die verlegerischen Absichten genauer erhellen würden. So steigen die LeserInnen mit dem ersten Satz gleich direkt in die Lebensgeschichte des Künstlers ein, beginnend mit seiner Geburt und seinen Familienverhältnissen, und werden von dort aus Stück für Stück bis zum Ende geführt. Diese geradezu belletristische Geschlossenheit wird noch unterstrichen durch die Abwesenheit eines Inhaltsverzeichnisses, die bisweilen zu einem neugierigen Durchblättern des Buches führt und die automatisch eine lineare Lektüre voraussetzt.

 

Die Geschichte Hugo Steiner-Prags ist untergliedert in fünf Kapitel, die fließend ineinander übergehen. Das umfangreichste von ihnen betrachtet die Anfangszeit von Steiners Schaffen um die Jahrhundertwende in Prag, das sich im Kontext der Gruppierung Jung-Prag und dem Verein deutscher bildender Künstler in Böhmen abspielte. Es folgt die Zeit ab 1902, als Steiner nach München ging, später nach Barmen und Leipzig. Hier arbeitete er schon als Pädagoge, etablierte sich bald auf dem Buchmarkt und erlebte auch seine ersten Einzelausstellungen. Ein eigener Abschnitt widmet sich der Arbeit für das Kultbuch Der Golem von Gustav Meyrink, das in einer grafischen Bearbeitung Steiners sowie mit seinen Lithografien im Jahr 1916 erschien. Auch an der Erscheinungsform zahlreicher weiterer Auflagen des Golem arbeitete Steiner mit. Das Schlusskapitel verfolgt die Erfolge Steiners in der Weimarer Republik, wo er als künstlerischer Leiter des Verlags Popyläen wirkte, bis hin zu seiner Verfolgung durch die Nationalsozialisten und der Verbrennung seiner Bücher. Ganz zum Schluss geht es noch um die Aktivitäten, die mit seinem Pragaufenthalt 1933–1938 verbunden sind, als er die Buchkunstwerkstatt Officina Pagensis leitete, und die anschließende Emigration nach Schweden und in die USA.

 

Pavel Růt pflegt die ganze Zeit einen sachlichen Ton und eine angenehme Distanz. Mit der Geduld des unparteiischen Erzählers legt er die einzelnen Fakten aus Steiners Leben vor, und mit breitem Überblickswissen ordnet er sie in die gesellschaftlichen Zusammenhänge ein. In dieser Hinsicht scheint ihm die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts am vertrautesten zu sein, welcher er auch in Bezug auf die Ausführungen zum Kontext am meisten Aufmerksamkeit widmet. Die Authentizität der Darlegungen wird durch Zitate aus schriftlichen Quellen unterstützt – aus zeitgenössischen Veröffentlichungen oder der persönlichen Korrespondenz – mithilfe derer Steiners Beziehungen etwa zum Dichter Paul Leppin oder zum Grafiker und Maler Emil Orlik beleuchtet werden. Der Autor kennt sich sowohl in der Geschichte der Prager (nicht nur) deutschsprachigen Literaturszene der Jahrhundertwende, als auch beim Thema Freimaurerlogen, im Okkultismus und in der Psychoanalyse sehr gut aus. So ist er ein angenehmer Reisebegleiter durch die Atmosphäre des magischen Prag, die mit der Form von Steiners Werk sehr gut korrespondiert. Partielle Ungenauigkeiten lassen sich in einigen Passagen finden, die die künstlerische Szene betreffen (z. B. schreibt er auf S. 58 im Zusammenhang mit 1908 über ausstellende Künstler aus dem Metznerbund, der jedoch erst im Jahr 1920 gegründet wurde), doch angesichts der stofflichen Tiefe des Textes handelt es sich hierbei um marginale Ungenauigkeiten. Eine grundlegendere Schwäche dagegen ist aus der wissenschaftlichen Perspektive der mancherorts recht nachsichtige Umgang mit dem Anmerkungsapparat, der nur spärlich zum Einsatz kommt. Das betrifft zum Beispiel die sehr gelungene Analyse der gesellschaftlichen Differenzierung und Beziehung zum Judentum bei der deutschsprachigen Bevölkerung Prags und der Regionen Ende des 19. Jahrhunderts, eine der interessantesten Stellen des Buches. Es hätte einigen der Informationen und Behauptungen schlicht gut getan, sie mit einem Verweis auf die Quelle oder vergleichbares Material zu versehen. Auch die Nummerierung der Anmerkungen, welche auf jeder neuen Seite von Neuem mit der Nummer eins beginnt, entspricht nicht dem Standard. Mit Rücksicht auf das breite Spektrum der enthaltenen Informationen und Namen ist es aus Sicht der Benutzerfreundlichkeit zudem schade, dass das Buch kein Namensregister enthält.

 

Schon aus dem großzügigen Format wird deutlich, dass es vor allem darum ging, ein schönes Buch zu machen. Dem sind auch die mehr als 200 Reproduktionen zuträglich, die einen repräsentativen Einblick in Steiners Schaffen sowohl aus dem Bereich der Buchillustration und der freien Kunst, als auch der Gebrauchsgrafiken darstellen. Die Aussagekraft der reproduzierten freien Kunstwerke ist aus wissenschaftlicher Sicht teilweise durch fehlende Quellenangaben abgeschwächt, doch für den Gesamteindruck des Buches ist dies nicht entscheidend. Im Falle der Ausschnitte aus seinem Buchwerk ist es vielleicht etwas schade, dass es an keiner Stelle eine Abbildung eines Buches von Hugo Steiner-Prag als Artefakt in dreidimensionaler Perspektive gibt, denn auch dieser Aspekt wäre für das Thema der Buchbindung interessant.

 

Der technische Apparat im hinteren Teil des Buches umfasst eine Auswahlbibliografie der von Steiner bearbeiteten oder illustrierten Titel. Diese respektable Sammlung weist mehr als 400 Posten (!) auf, bei vielen davon ist die Anzahl der zugehörigen Illustrationen oder Grafiken aufgeführt. Die Monografie liefert auch eine ausgewählte Liste von Publikationen, die Texte und grafische Beiträge enthalten, die sich auf die Praxis und Theorie der Buchkunst oder Buchausstellungen Hugo Steiner-Prags beziehen. Darüber hinaus listet die Bibliografie einen Literaturüberblick, mehrere Dutzend Essays über den Künstler in Zeitschriften und Büchern, die Ausstellungskataloge und die Erwähnungen von Preisen, die seine Werke bekamen. Angesichts eines derart breit angelegten heuristischen Zugangs ist es schade, dass der Text keine Auswertung der bisherigen Rezeption von Steiners Werk im deutschen Kontext enthält (Irene Schlegel: Hugo Steiner-Prag: Sein Leben für das schöne Buch, Memmingen: Ed. Visel, 1995). Der überwiegende Teil der Verweise im Text bezieht sich auf den Nachlass von Hugo und Eleonore Steiner, der im digitalen Archiv des Leo-Baeck-Instituts zugänglich ist.

 

Trotz der einzelnen Einwände technischer Art ist die Monografie über Hugo Steiner-Prag unbedingt ein schönes und lesenswertes Buch, das uns über die Geschichte des Künstlers hinaus zugleich gut informiert durch die Welt der deutschsprachigen Verlagsszene Prags begleitet. Pavel Růt ist es gelungen, im gegebenen Rahmen alles Wichtige zu Leben und Werk des Künstlers zu versammeln, und er verschafft ihm endlich einen ehrenhaften Platz in der Kulturgeschichte der Böhmischen Länder.

 

Übersetzung: Lena Dorn

 

 

Pavel Růt: Hugo Steiner-Prag. Řevnice: Arbor vitae, 2018, 152 S.


zurück | PDF