Forschungstätigkeit des IPSL

In der literaturwissenschaftlichen Forschung, einem seiner Schwerpunktbereiche, befasst sich das IPSL insbesondere mit bislang übergangenen oder unzureichend aufgearbeiteten Themen. Alle Forschungsprojekte erfolgen mit finanzieller Unterstützung der Förderagentur der Tschechischen Republik (Grantová agentura ČR).


A K T U E L L E  P R O J E K T E

 

Robert Saudek. Die Wege der Schrift

 

Michal Topor, 2021–2024 (die Mitarbeiter: Michaela Fišerová, Barbara Köpplová, Jakub Mácha; Anežka Libánská, Elizabeth Wagebaertová)

 

Robert Saudek (1880, Kolín – 1935, London) ist eine heute mehr oder weniger in Vergessenheit geratene, allerdings sehr interessante Persönlichkeit, v.a. im Hinblick auf die vielfältigen Bereiche, in denen er sich zwischen 1900–1935 betätigte, die er mitprägte und miteinander verband. Er wurde in Mittelböhmen geboren, lebte später in Paris, Berlin, Den Haag, Potsdam und zuletzt in London. Seit 1903 profilierte er sich als Dramatiker, Literaturkritiker, Prosaist, Journalist, Organisator journalistischer Netzwerke, später auch als Propagator und Vertreter der „wissenschaftlichen Graphologie“. Er bewegte sich an den Grenzen von mehreren kulturellen, nationalen, sprachlichen und politischen Räumen – zwischen dem Jüdischen, Tschechischen, Deutschen, Niederländischen und Britischen. Die Auseinandersetzung mit seinen Texten und seiner Tätigkeit stellt einen Beitrag zu einer neuen Perspektive auf die in den letzten Jahrzehnten lebhaft diskutierten Querverbindungen und Überlappungen innerhalb des literarischen, philosophischen und kulturkritischen Diskurses in Mitteleuropa (oder auch allgemein in Europa) vor dem Ersten Weltkrieg sowie in den 1920er und 1930er Jahren dar.

 

 

Auf rissigem Boden. Die Zeitschrift Die Wahrheit als kulturelles und kulturpolitisches Medium im Prag der Zwischenkriegszeit

 

Štěpán Zbytovský, 2020–2022 (Mitarbeiterin: Jitka Bačáková)

 

Ziel des Projekts ist es, Inhalt und Tätigkeit der Prager deutschsprachigen Zeitschrift Die Wahrheit (1921–1938) zu beschreiben und zu interpretieren. Dieser wurde bislang – trotz ihres langjährigen Erscheinens und ihrer programmatischen Ausrichtung auf grundlegende Fragen der nationalitätenpolitischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ordnung der Tschechoslowakei und Mitteleuropas – keine größere Aufmerksamkeit zuteil. Die im Ergebnis entstehende Monografie soll die Geschichte der Redaktion, die Interaktionsnetze, in denen diese tätig war, wie auch die dabei verwendeten Strategien aufzeigen. Auf Grundlage einer inhaltlichen Analyse soll das ideelle, ästhetische und genremäßige Profil der Zeitschrift vorgestellt werden. Ausgehend von der Entwicklung ihrer programmatischen Äußerungen wie auch unter Einbeziehung des Inhalts wichtiger Beiträge und Debatten soll dargestellt werden, wie sich die Zeitschrift als paneuropäische, masarykfreundliche, jüdische und antifaschistische Plattform für gesellschaftliche, wirtschaftliche und kunstkritische Fragen profilierte – und wie sich die in- und ausländische Resonanz auf ihre Tätigkeit in der Zeit von Anfang des 1920en bis Ende der 1930er Jahre veränderte. Die bisherigen Untersuchungen deuten darauf hin, dass die programmatische Entwicklung der Zeitschrift nicht als lineare Akzentverschiebung hin zu einer eindeutig zionistischen Position beschrieben werden kann.

 

 

A B G E S C H LO S S E N E  P R O J E K T E

 

Richard Messer: Reise durch Europa, zwischen Philologie und Kunstgeschichte

 

Michal Topor, 2018–2020 (die Mitarbeiter: Henrik Hőnich /Budapest/, Kamila Schewczuková, Filip Novák /Prag/)

 

Ziel des Projekts ist die Aufarbeitung von Leben und Werk Richard Messers (1881, Pančevo – 1962, Prag), eines heute nahezu vergessenen Akteurs der Prager deutsch- wie auch tschechischsprachigen Germanistik- und Kunstgeschichtsszene. Die im Ergebnis entstehende Monografie beschreibt das wissenschaftliche, publizistische und pädagogische Wirken Messers in Prag ab dem Jahr 1922, als Messer Lektor für deutsche Sprache an der dortigen tschechischen Philosophischen Fakultät wurde und für die Tageszeitung Prager Presse zu schreiben begann (später schrieb er insbesondere für die tschechischsprachigen Zeitschriften Dílo und Filosofická revue, darüber hinaus redigierte er die deutsche Beilage des Blattes Svobodný zednář). Berücksichtigt werden hierbei sowohl thematische und methodologische Tendenzen in Messers Wirken (v. a. die ausgeprägte Beschäftigung mit dem Werk Rilkes) als auch dessen sprachlich-nationale, politische und religiöse Zusammenhänge. Letztere sind in Messers Falle geprägt durch eine außergewöhnlich vielschichtige Erfahrung, beginnend mit Kindheit und Jugend im serbischen Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie (in einer deutschsprachig-jüdischen Familie), gefolgt von Studienjahren in Budapest, Grenoble und Heidelberg, einer Privatdozentur in Genf und einer Karriere als Gymnasialprofessor in Bratislava (1920 auch kurzzeitig als Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Das Riff).

 

 

Found in translation. Emil Saudek und die deutsch-tschechisch-jüdischen Interaktionen in der Wiener „Kreativszene“

 

Gemeinschaftsprojekt des Masaryk-Instituts und Archivs der Akademie der Wissenschaften der ČR (MÚA AV ČR) und des IPSL (Lucie Merhautová, Ines Koeltzsch, Vratislav Doubek, Václav Petrbok – Michal Topor, Josef Vojvodík, Štěpán Zbytovský, Anežka Libánská), 2018–2020

 

Das Projekt befasst sich am Beispiel Emil Saudeks, eines der bedeutendsten Übersetzer O. Březinas, J. S. Machars, V. Rakous‘ oder T. G. Masaryks, mit Fragen der Übersetzung und des kulturellen Transfers im Kontext der Wiener „Kreativszene“ im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Forschungsgegenstand sind die deutsch-tschechisch-jüdischen Interaktionen sowie die Überschneidungen und Verbindungen verschiedener künstlerischer und politischer Kreise zwischen Wien, Prag und weiteren Räumen (Berlin, Leipzig, der Vysočina, Jaroměřice). Die Übersetzung wird zum einen als Mittel der soziokulturellen Integration Saudeks, zum anderen hinsichtlich ihrer Relevanz für die Entwicklung der deutschen und tschechischen Literatur untersucht, und zwar insbesondere in der Zeit des ästhetischen Wandels um 1910 (am wichtigsten ist hier Saudeks Übersetzung von Březinas Gedichtband Ruce (Hände) aus dem Jahr 1908 und dessen umfangreiche deutsche Rezeption). Analysiert wird zudem die Herausbildung des Saudek‘schen Konzepts von Wien als einer „Brücke nach Europa“ für die tschechische Literatur sowie der Wandel dieses Annäherungsprogramms, der zum einen durch den I. Weltkrieg und das Jahr 1918, zum anderen durch den konzeptuellen Wandel innerhalb der ästhetischen Moderne bedingt war.

 

 

Arnošt Procházka – Kritiker und Essayist

 

Luboš Merhaut, 2017–2019

 

Ziel des Projekts ist eine komplexe Aufarbeitung, Analyse und Zugänglichmachung des kritischen und essayistischen Werks von Arnošt Procházka (1869–1925), einem Ästhetiker und eigenwilligen Vertreter des tschechischen dekadenten Symbolismus und einer Schlüsselfigur der sogenannten Neunziger-Jahre-Generation, der jedoch in der tschechischen Literaturgeschichtsschreibung bislang nicht die entsprechende Aufmerksamkeit widerfuhr. Kernvorhaben des Projekts ist – nach sorgfältiger Aufarbeitung des Materials und Erstellung einer vollständigen annotierten Bibliografie von Procházkas Texten – die Vorbereitung und Herausgabe einer repräsentativen Publikation. Diese soll in Form einer monografischen Studie zunächst in komplexer Weise Umfang, Charakter, Einzigartigkeit und zeitgenössische Rezeption von Procházkas kritischem und essayistischem Werk vorstellen und interpretieren. Zum anderen soll sie mittels einer umfangreichen, strukturierten Auswahl seiner wichtigsten kritischen und essayistischen Texte, ergänzt durch einen detaillierten wissenschaftlichen Kommentar, den individuellen Anteil Procházkas an der Herausbildung und Differenzierung des tschechischen Modernismus um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wie auch seinen Anteil an den zeitgenössischen künstlerischen Diskursen und Polemiken rekonstruieren und beleuchten.

 

 

Arne Laurin (1889–1945): Porträt eines Journalisten

 

Michal Topor und Daniel Řehák, 2015–2017

 

Über den Dichter, Kritiker, Übersetzer und Journalisten Arne Laurin (eigentlich. Arnošt Lustig), Chefredakteur der in der Zwischenkriegszeit erscheinenden Tageszeitung Prager Presse, liegt bislang kein ganzheitliches Porträt vor. Das Projekt befasst sich mit Laurins kulturpublizistischer Tätigkeit von den Anfängen vor dem I. Weltkrieg über sein Engagement bei den in der Ersten Tschechoslowakischen Republik erscheinenden Zeitungen Tribuna und Prager Presse bis hin zu seiner Tätigkeit im tschechoslowakischen Exil in New York 1939–1945. Die im Ergebnis entstehende Monografie bietet Erkenntnisse zur Geschichte des tschechischen bzw. deutschböhmischen Journalismus, der tschechischen Kritik und Kulturgeschichte, der tschechisch-jüdischen Bewegung sowie zur Geschichte des tschechoslowakischen Exils. Bestandteil des Vorhabens ist die Erstellung einer möglichst vollständigen Bibliografie zu Laurins Werk.

 

 

Das dichterische Werk Jan Zahradníčeks

 

Josef Vojvodík und Jan Wiendl, 2015–2017

 

In literaturgeschichtlichen Publikationen und Lexikoneinträgen wird das Werk Jan Zahradníčeks (1905–1960) als eines der markantesten und bedeutendsten in der Poesie des 20. Jahrhunderts bezeichnet, meist jedoch nur unzureichend charakterisiert. Im Rahmen dieses Projekts werden Entwicklung und Wandel von Zahradníčeks Poetik von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis zu seinen letzten Gedichten aus den Jahren 1956 bis 1960 rekonstruiert. Die beiden Autoren Josef Vojvodík und Jan Wiendl würdigen Zahradníčeks Gesamtwerk mittels einer komparativ und interdisziplinär angelegten Monografie. Weiteres Ergebnis des Projekts ist eine Anthologie mit Lyrik, Essays und Briefen des Dichters, einschließlich einer ersten vollständigen Bibliografie zu Primär- und Sekundärliteratur.

 

 

F. X. Šalda – Gesammelte Werke

 

Gemeinschaftsprojekt des IPSL, 2013–2016

 

Die Gesamtausgabe des kritischen und literarischen Nachlasses von F. X. Šalda (1947–63, 1997) ist bislang ein Torso geblieben. Die Šalda-Bibliografie von Jiří Pistorius (1948), die der Konzeption der vorhandenen Šalda-Gesamtausgabe zugrundeliegt, ist über 60 Jahre alt und entspricht nicht dem gegenwärtigen Forschungsstand. Das Institut für Literaturforschung hat diese Bibliografie zunächst durchgesehen und ergänzt und somit die anschließende Erstellung einer wissenschaftlich kommentierten Edition des 14. Bandes von Šaldas Kritischen Schriften ermöglicht. Der Band, der die Reihe der Kritischen Schriften abschließt, enthält in chronologischer Folge sämtliche nichtbelletristischen Texte Šaldas, die in den Bänden 1-13 der bestehenden Gesamtausgabe fehlen und aufgrund der veralteten bibliothekarischen und bibliografischen Infrastruktur für heutige Forscher praktisch unzugänglich sind. Im Rahmen der belletristischen Reihe der Gesamtausgabe erscheint zudem ein Band, der die letzte Fassung von Šaldas Roman Loutky i dělníci boží [Marionetten und Arbeiter Gottes] enthält und durch einen kritischen Apparat ergänzt wird, welcher die allmähliche Veränderung des Textes erfasst.

 

 

Das literaturwissenschaftliche Werk Růžena Grebeníčkovás

 

Michael Špirit, 2012–2015

 

Das Projekt befasst sich mit der Analyse des Werks der Literaturtheoretikerin und -historikerin Růžena Grebeníčková (1925–1997). Die Arbeiten dieser wichtigen Vertreterin der tschechischen Literaturwissenschaft, die hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihres Einflusses mit J. Mukařovský, F. Vodička, O. Králík, K. Hausenblas oder P. Trost vergleichbar ist, sind bis heute nicht vollständig herausgegeben und es existiert keine separate monografische Studie. Nach Aufarbeitung des literarischen Nachlasses und anhand einer bereits erstellten Bibliografie entsteht im Rahmen des Projekts das Manuskript einer monografischen Studie über die Entwicklung der künstlerischen Weltsicht und der wissenschaftlichen Vergleichsmethoden der Autorin sowie über den spezifischen Beitrag ihrer Arbeiten zur zeitgenössischen Literaturwissenschaft. Zudem wird eine Anthologie vorbereitet, die nahezu 80 Artikel der Autorin umfasst und durch einen neu konzipierten umfangreichen wissenschaftlichen Kommentar ergänzt wird.

 

 

Berliner Episoden. Tschechische Philologen in Berlin (1882–1914)

 

Michal Topor, 2012–2014

 

Das Projekt vertieft und präzisiert Erkenntnisse zu den jeweiligen Zeiträumen in den Biografien tschechischer Philologen, die sich in den Jahren 1882–1914 zum Studium nach Berlin begaben (so u. a. Arnošt Kraus, Jan Krejčí, Arne Novák, Otokar Fischer, Miloslav Hýsek und Hugo Siebenschein). Die Arbeit rekonstruiert erstmals ganzheitlich und detailliert Umstände, Verlauf und Ergebnisse der einzelnen Studienaufenthalte und vermittelt ein Bild von der deutschen Metropole als einem Ort, der die jungen tschechischen Intellektuellen methodologisch wie auch anderweitig inspirierte. Das Projekt trägt zur Erhellung eines der bedeutendsten Kapitel der deutsch-tschechischen Geistesbeziehungen bei, insbesondere im Rahmen der damaligen philologischen Disziplinen (Germanistik, Bohemistik, Slawistik). Ergebnis des Projekts ist eine Monografie.