Es schreibt: Olga Zitová

(16. 3. 2015)

Als sechsundzwanzigster Band in der Reihe Beiträge zur deutschmährischen Literatur, die vom Olmützer Germanistik-Lehrstuhl der Philosophischen Fakultät der Palacký-Universität herausgegeben wird, ist Tereza Pavlíčkovás Die Entwicklung des Nationalitätenkonflikts in der Znaimer deutschen Presse 1850–1938 (Olomouc, Palackého univerzita v Olomouci 2013) erschienen. Ursprünglich handelte  es sich um eine Dissertation, die 2012 auch dort verteidigt wurde.

 

Im einleitenden Teil des Buches widmet sich die Autorin den Anfängen der Znaimer Presse und den ersten Nationalitätskonflikten, ausgetragen in den Periodika, die in dieser historischen und bis zur Entstehung der Tschechoslowakischen Republik überwiegend deutschsprachigen Stadt an der Grenze Südmährens zu Österreich herausgegeben wurden. In den Jahren 1850–1865 erschien in Znaim nur eine auf Deutsch geschriebene Zeitung, das Znaimer Wochenblatt. Nach Meinung der Autorin mochte das Fehlen von oppositioneller Meinung in der Presse ein Grund dafür sein, warum diese Wochenzeitung keine politischen Kommentare enthielt. Die Situation änderte sich 1865 mit der Gründung eines Konkurrenzperiodikums, der Znaimer Neuen Zeit, die gleich 1866 von der Wochenzeitung Znaimer Botschafter abgelöst wurde. In den beiden konkurrierenden Zeitungen (Znaimer Wochenblatt und Znaimer Botschafter) brach ein Streit über den offiziellen Namen der Stadt aus, die zu Zeiten Přemysl Otakars I zur königlichen Stadt erhoben worden war. Konkret ging es um die Frage, ob der Namenszusatz „königlich“, der auf die Bindung Böhmens und Mährens verweist, im Stadtnamen erhalten oder abgeschafft werden solle. Ausgangspunkt des Streits war der Beschluss des Gemeindeausschusses vom 18. November 1869, das Attribut aus dem Stadtnamen zu entfernen.

 

Im Znaimer Botschafter wurde die Absicht, den Namenszusatz zu entfernen, als Ausdruck von nationalem Fanatismus interpretiert, als übermäßige Anstrengung alles zu eliminieren, was auch nur ein bisschen mit Böhmen in Verbindung gebracht werden konnte, selbst zum Preis der Geschichtsverdrehung. Das Blatt machte obendrein darauf aufmerksam, dass die Änderung des Stadtnamens eine mögliche Föderalisierung und einen Zusammenschluss Böhmens und Mährens ohnehin nicht abwenden würde. Wenn auch der Znaimer Botschafter sich für die Erhaltung des Attributs „königlich“ aussprach, so war er kein Vertreter eines österreich-ungarisch-böhmischen Trialismus – seiner Meinung nach sollte vor dem Deutschtum, dem Tschechentum und dem Ungarntum immer das Österreichertum Vorrang haben, also die Loyalität gegenüber der die einzelnen national abgesteckten Grenzen übergreifenden und überdachenden Vielvölkermonarchie. Das Znaimer Wochenblatt widersprach jedoch der Sichtweise, dass die Entfernung des Namenszusatzes Ausdruck von nationalem Fanatismus sei. Am Beispiel der Polemik zwischen diesen beiden Periodika zeigt Pavlíčkováauf, wie seit Ende der 1860er Jahre in der Znaimer Presse die Thematik von Nation, nationaler Zugehörigkeit und Nationalismus allmählich überwog. Durch ihre bündige Darstellung der Diskussion um den offiziellen Namen der Stadt Znaim ist es der Autorin gerade in diesem einführenden Teil des Buches gelungen, eine Zerfaserung in Analysen der einzelnen Zeitungsartikel ohne weiteren Kontext zu vermeiden.

 

Zur Erforschung der Presse in Znaim und Umgebung hat die Autorin die lange Zeitspanne von 1850 bis 1938 gewählt. Außer zeitlichen, örtlichen und sprachlichen Kriterien führt sie zur Eingrenzung des Forschungsmaterials auch das Kriterium der Textsorte an – im Zentrum des Interesses stehen Zeitungen, also die mindestens wöchentlich erscheinende Presse, die sich durch Aktualität des Inhalts auszeichnet (S. 19). Viel Aufmerksamkeit gilt schließlich den Bereichen, die ursprünglich von der Forschung ausgeblendet (die tschechische Presse) oder als marginal bezeichnet (Volkskalender, Vereinspresse) wurden. Obschon Tereza Palvlíčkovádie Einbeziehung dieser „Ausnahmen“ in das Buch immer angemessen kommentiert (als Fälle, die zum Verständnis des Kontextes aus unterschiedlichen Gründen wichtig sind), erlangen diese Exkurse vom Hauptthema ein Ausmaß, bei dem sich der Gedanke zur Proportionalität des gesamten Buches aufdrängt. Von den insgesamt 322 Seiten der Monographie ist mehr als die Hälfte (etwa 180 Seiten) eben jenen Themen gewidmet, die in der Einleitung der Arbeit eher am Rand angesiedelt wurden. So führt der zzentrale zweite, der Entwicklung der Presse in Znaim bis 1919 gewidmete Teil (S. 25–259) im Rahmen des Unterkapitels zur „Presse im Dienst der Vereine, Parteien, Nation(alist)en 1878–1919“ (S. 105–259) beispielsweise die Presseorgane (also keine Zeitungen) dreier Znaimer Vereine an. Den größeren Teil des achtzigseitigen Kapitels zur liberalen Presse nimmt die Interpretation von Anton Ohorns Roman Deutsches Erbe ein, der 1903 als Fortsetzungsroman in der Wochenzeitung Z   naimer Sonntagsblatt in Form einer Sonderbeilage erschien. Botschaft des Romans und Einstellung der liberalen Presse sind sich in Bezug auf das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen ähnlich: „Es war nicht richtig und daher unerwünscht“ (S. 198). Der Auflistung der verwendeten Quellen am Ende der Monographie nach zu urteilen scheint bei der Interpretation allerdings die Buchausgabe verwendet worden zu sein, und nicht die Zeitungsausgabe (siehe Anton Ohorn: Deutsches Erbe. Roman aus den nationalen Verhältnissen Böhmens. Znaim: Karl Bornemann 1903). Deshalb liegt die Frage nahe, ob und inwieweit sich diese Ausgaben womöglich voneinander unterscheiden.

 

Im Zusammenhang mit dem Znaimer Sonntagsblatt konzentriert sich die Autorin auf den Deutschen Volkskalender für das Jahr 1903 – ebenfalls kein Periodikumund analysiert nacheinander insgesamt elf darin enthaltene Texte. Aus den Untersuchungen wird allerdings ersichtlich, dass der Kalender, noch dazu vom Bund der Deutschen Nordmährens herausgegeben, im Znaimer Sonntagsblatt zur Aufmerksamkeit der Leser nur inseriert und empfohlen wurde. Auf den Seiten 132–157 lesen wir also von Texten, die als solche gar nicht Teil der Znaimer periodischen Presse waren. Raum und interpretatorische Anstrengungen, die Pavlíčková für die genannten Bereiche aufbringt, hätten besser in das abschließende Kapitel Eingang finden können, das sie den Jahren der Ersten tschechoslowakischen Republik widmet. Dieses ist ähnlich lang wie beispielsweise der Teil zu Ohorns Roman. Schade, dass solch eine Unausgewogenheit gerade die Zeit der Ersten Republik (1918–1938) betrifft, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Die Untersuchungen konzentrieren sich im Unterschied zu den Jahren 1850 bis 1919 nur noch auf ein Periodikum: auf die Wochenzeitung (1919/20 sogar Tageszeitung) Südmährische Rundschau (Kap. „Ausblick 1919–1938: Südmährische Rundschau“, S. 261–306).

 

Die Monographie zeigt, wie anspruchsvoll der Umgang mit der Presse sein kann und wie wichtig die Eingrenzung des Textkorpus ist. Pavlíčkováuntersucht die Entwicklung des Nationalitätenkonflikts auf einer klar definierten regionalen Ebene innerhalb einer langen Zeitspanne und anhand von Artikeln unterschiedlich ausgerichteter Periodika (z. B. auch in der liberalen oder christlich-sozialen Presse und sogar in ausgewählten tschechischsprachigen Zeitungen) sowie in anderen Quellen. Die Auswahl der Texte erfolgte nicht nach dem anfangs erklärten Kriterium der Textsorte, und so finden Texte sehr unterschiedlicher Art hier Eingang: von gängigen Zeitungsnachrichten bis hin zu Belletristik einschließlich Lyrik. Bei der Arbeit mit dem Material zieht Pavlíčkovádem historischen einen philologischen Ansatz vor. Sie untersucht z. B. die Wahl der sprachlichen Mittel oder die Kommunikationsstrategien, die in den konkreten Artikeln zur Geltung kommen. Der Vorteil bei diesem Ansatz liegt darin, dass jede Erkenntnis und Schlussfolgerung der Autorin im analysierten Material unmittelbaren Rückhalt hat. Gleichzeitig birgt dies aber die Gefahr, sich übermäßig am Detail aufzuhalten und so den Text zu zersplittern. Diese beiden Pole auszugleichen ist der Autorin mit unterschiedlichem Erfolg gelungen.                

 

Übersetzung: Daniela Pusch


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