Bernd Hamacher über ein Buch Jindřich Manns

(, 28. 12. 2015)

„Begrüßen Sie sich doch in Prag! […] Schreiben Sie einen Brief. Heißen Sie sich darin in Prag herzlich willkommen,“ rät ein Münchner Hotelportier dem mit einer Rückkehr in die besetzte Tschechoslowakei im Jahre 1968 hadernder Erzähler. Jindřich Manns Prag, poste restante (in der tschechischen Ausgabe von 2012 nur Poste restante) erschien 2007 bei Rowohlt mit dem präzisierenden Untertitel Eine unbekannte Geschichte der Familie Mann. „Doch die Familiengeschichte des Heinrich-Mann-Enkels“, so der Autor des letzten deutsch-tschechischen Echos in diesem Jahr, „ist nur eine Ebene des Buches, das durchaus als Roman bezeichnet werden kann und als solcher dem in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur populären Genre der Autofiktion angehört. […] Jindřich Mann verarbeitet in seinem Buch nicht nur faktuale Erinnerungen und Familiendokumente, sondern komponiert diese um Träume und kontrafaktische Imaginationen herum, die meist von Prag ausgehen, und zwar von bestimmten Gebäuden und der Topographie der Stadt. […] Das Adjektiv ‚unbekannt‘ im Untertitel der Familiengeschichte bedeutet also nicht nur, dass bislang unbekannte Fakten aufgrund neuer Dokumente und Archivfunde präsentiert würden. Mindestens so wichtig ist der Aspekt, dass das Unbekannte an der Geschichte auch ihre Fiktionalität ist. So entsteht Literatur als ambivalente Struktur von Stein und Seele, Wirklichkeit und Traum, Normalität und Phantastik, Ordnung und Anarchie.“


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