Hans Natonek über das Gespenstische Prag

(, 20. 7. 2015)

Eine Serie von deutsch-tschechischen Echos über Hans Natonek wird abgeschlossen durch den Essay Gespenstisches Prag, den der Prager deutsche Autor Anfang Mai 1939 in dem in Paris erscheinenden Exilblatt Österreichische Post publizierte. Julia Hadwiger weist in ihrer Einleitung auf die zahlreichen Abweichungen im Wortlaut des Textes hin, wie er in der Auswahl aus Natoneks Publizistik Letzter Tag in Europa enthalten ist. Natonek erinnert in seinem Text an die Atmosphäre Prags mit seiner tschechisch-deutsch-jüdischen Literatur und erhellt die weitreichende Veränderung dieser Atmosphäre mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Armee: „Der 15. März 1939 war der Todestag dieser Literatur; buchstäblich. Von Angst gejagt, stürzten sich Tausende: Antiquare, Buchhändler, Sammler und Leser in ein freiwilliges Autodafé dieser und aller »suspekten« Literatur. Kein Goebbels brauchte zu kommen, um Bücher zu verbrennen. Sie brannten von selbst. Tausende Oefen qualmten zur gleichen Morgenstunde; die Kessel der Zentralheizungen bekamen literarische Nahrung. Tausende Klosetts waren von zerrissener Literatur verstopft. Es stank zum Himmel, es war der 15. März ... Mit dem Einmarsch öffnete sich die Kloake, und die Panikbesessenen schütteten ihre Vergangenheit, ihr Selbst in die Abort-Schüssel. Nachher hatten die Installateure zu tun. So sieht der Schrecken aus, der diesen Eroberern vorangeht.“


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