Es schrieb: Otto Pick

(2. 11. 2023)

Der Schriftsteller und Übersetzer Otto Pick (1887–1940) machte sich in der Zwischenkriegszeit publizistisch v. a. in der Prager Presse bemerkbar; praktisch unbekannt sind seine fast 50 Besprechungen und Essays, die 1925–1931 in der Prager Zeitschrift Die Wahrheit abgedruckt wurden.

 

Obwohl sich Pick wiederholt als von kulturpolitischen Zielsetzungen unabhängiger Übersetzer stilisierte (etwa in Poznámky překladatelovy [Anmerkungen des Übersetzers] in Přítomnost, April 1924), tangierte er in feuilletonistischen Texten die politische Dimension des Kulturlebens nicht selten. In der Wahrheit plädierte er z. B. im Januar 1927 im Artikel Intellektuelle Prags, vereinigt euch! für Meinungsäußerung der Prager deutschen Autoren und Journalisten zum Leitungswechsel im Neuen deutschen Theater. Seltener sind ausgesprochen vermittlungspolitisch ausgerichtete Beiträge. Dazu gehören etwa 14 Punkte zur tschechisch-deutschen kulturellen Zusammenarbeit in der Tschechoslowakei als Picks Antwort auf die Rundfrage Nationale Verständigung aus dem letzten Heft der Wahrheit von 1925 – oder der hier abgedruckte Artikel Deutsch-tschechoslowakisches Literaturschicksal vom April 1929 (Die Wahrheit, Jg. 8, Nr. 10, S. 7–8), der sich mit der Lage der deutschen Schriftsteller in der ČSR befasste.

 

Zentral ist darin Picks These von einerEntwicklungstendenz hinsichtlich der literarischen Zweisprachigkeit, die schon bald auf eine neue Ebene erhoben werde – die der produktiven Bilingualität mindestens einiger Prosaiker und Dramatiker der jüngsten Generation. Etwas überraschen mag, wie umfassend sich dabei Pick auf den vierten Band von Josef Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften und das „überaus interessante[]“ Kapitel zur sudetendeutschen Literatur beruft, auf Nadlers Diagnose der Gegenwart als Zeit der Übergänge und auf seine Konzeption der „selbständigen Haltung“ (Nadler, Literaturgeschichte, Bd. 4, 1928, S. 382 u. 889) der deutschen Literatur der Böhmischen Länder gegenüber der gesamtösterreichischen.

 

Knapper bespricht Pick das „dankenswerte[] Unternehmen“ von Josef Mühlberger – sein Buch Die Dichtung der Sudetendeutschen in den letzten fünfzig Jahren (1928). Nicht nur die Detailtreue dieser Darstellung (die sich selbst mehrmals auf Nadler bezieht) schätzt Pick hoch, sondern auch den „Wagemut“, mit dem „manche Überschätzung heimischer Autoren“ zurückkorrigiert und die „vom Volkshaß diktierten“ literarischen Werke disfavorisiert werden.

 

Im Vordergrund bleibt daher das „organische[] Gepräge“ der hiesigen Literatur, die sich nach Picks Wiedergabe von Nadler durch grundsätzliche Kriegsgegnerschaft auszeichne, soziales Empfinden und die bewusste oder unwillkürliche Entfaltung des „Gemeingefühls“des zweisprachigen Landes, das der „Generation“ Leppins, Kafkas, Urzidilszugeschrieben wird. Pick stimmt Nadler in der Hervorhebung von Rilke als Kronzeuge des „neuen Prag im Übergange“ zu, dessen Poesie – so der zitierte Nadler – „bis in die Spitze aus Prager Stein gebrochen“ sei und auf „Prager Erlebnis und Prager Seele“ (Nadler, 1928: 892) beruhe. Diese These macht die räumliche Determinante in Nadlers Ansatz stark (gegenüber der biologischen, für Nadler nicht weniger wichtigen). Nicht zufällig zitiert Pick auch jene Stelle, wo Nadler Rilke als „Blut und Rasse des Raumes“ (Nadler, Literaturgeschichte, Bd. 4, 1928, S. 891) bezeichnet und somit punktuell eine Unterordnung der Bio- unter die Raumdeterminanten nahezulegen scheint. Da dieses literarische Gebietaus dem zeitgenössischen „Dichterruhm“ der deutschen Autoren hiesiger Herkunft und dem besagten „Gemeingefühl“ immer deutlicher profitieren soll, könne die Literatur der „tschechoslowakischen Deutschen“ als eine „werdende organische Einheit“ aufgefasst werden.

 

Picks Aufsatz reiht sich in das überwiegend positive Echo, welches der vierte Band von Nadlers Literaturgeschichte (in seiner ersten Ausgabe) unter tschechischen und deutschböhmischen Intellektuellen erfuhr. Stellvertretend sei hingewiesen auf die tschechischsprachige Notiz F. C. Weiskopfs vom Mai 1928, wo Nadler u. a. für seine Abkehr vom nationalen Grundmuster der Literaturgeschichtsschreibung gefeiert wird („Německá literární historie“, Kmen, Jg. 2, Nr. 4–5, S. 96), oder auf Otokar Fischers auf Deutsch verfasste Auseinandersetzung Literaturhistorische Raumkunde vom Januar 1929 (Prager Presse, Jg. 9, Nr. 13, Beilage Dichtung und Welt, S. I–III), die trotz mancher Vorbehalte Nadlers Distanz zu rassenkundlichen Konzepten und das Primat der Raum- über die Herkunftsfaktoren von Kultur und Literaturin Nadlers Konzeption positiv hervorhebt.

 

Ähnlich wie diese Autoren sprengt Otto Pick (mit seiner Vision der „organischen Einheit“) schließlich den Rahmen der genuin Nadler’schen Literaturbetrachtung: stammheitliche und regionale Differenzen treten zurück, die Prager Literatur stelle ein natürliches Gravitationszentrum und „Organ“ der „deutsch-tschechoslowakischen“ Literatur dar, deren Einheit einerseits (so wie bei Nadler) durch den Raum gesichert werde, andererseits (anders als bei Nadler und an Stelle dessen Betonung des Herkunftsprinzips) teleologisch auf eine werdende, erst zu vollbringende Einheit ziele, mit der auch die erhoffte (punktuelle, aber generationstypische) Aufhebung der Sprachgrenzen einhergehe.

 

Diese Auffassung Picks findet sich in seinen literaturkritischen Texten auf denSeiten der Wahrheit nicht wieder, sie ist also weniger als belegbare Gegenwartsdiagnose, sondern – nicht unerwartet – vielmehr als Wunschbild zu verstehen. Jedenfalls fügte er sich damit in eine nicht zu übersehende (doch bisher nicht systematisch besehene) Gruppe deutsch- wie tschechischsprachiger Nadler-Leser ein, die nicht nurdie zeitgenössische Nachfrage nach einer „Überbietung der Philologie“ (Holger Dainat in:König, Christoph/Lämmert, Eberhard [Hgg.], Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1910 bis 1925, 1993, S. 232–239) teilten, sondern speziell das Bedürfnis nach einem Ordnungsprinzip für eine pluralitätsoffene und dennoch einheitliche Gesamtdarstellung der Literaturgeschichte der Böhmischen Länder.

 

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Otto Pick:Deutsch-tschechoslowakisches Literaturschicksal

 

Der bedeutendste schweizerische Literaturkritiker Eduard Korrodi hat einmal die Situation der deutschen Schriftsteller aus der Schweiz folgendermaßen definiert: „Da unser deutschschweizerisches Literaturschicksal unsere Zunge zu deutschen Lauten vorbestimmt hat, muß es jede Begabung in der Hand haben, im deutschen Schrifttum aufzugehen, ohne ihren Ursprung zu verlieren. Das aber ist tintenklar, man muß den Kulturkreis miterleben, wenn man darin Stimme haben will.“

 

Der deutsche Dichter und Schriftsteller aus der Tschechoslowakei befindet sich in einer ähnlichen Lage und sieht sich vor die gleiche Entscheidung gestellt wie der schweizerische. Dem Zufall der Geburt, der ihn zum Christen oder Juden gemacht hat, gesellt sich die schicksalhafte Entscheidung, welche seine Eltern hinsichtlich seiner sprachlichen Erziehung gefällt haben. Wir kennen Fälle, wo berühmte tschechische Dichter in ihrer Jugend deutsche Gedichte und Erzählungen geschrieben haben, und wir kennen heutige deutsche Schriftsteller, deren tschechischer Schreibstil niemals verrät, daß sie sich vor allem auf dem Gebiete der deutschen Literatur betätigen. Manche Anzeichen deuten darauf hin, daß vielleicht schon die nächste tschechoslowakische literarische Generation in einigen Vertretern in der Lage sein wird, sowohl tschechische als auch deutsche Prosa und Dramen zu schreiben.

 

Vor kurzem ist der auf die Gegenwart fortgeführte vierte Band der monumentalen „Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschafen“des deutschen Literaturhistorikers Josef Nadler erschienen, ein Werk, in welchem der Literatur der Deutschen in Böhmen und Mähren ein überaus interessantes und lehrreiches Kapitel gewidmet ist. Josef Nadler stellt fest, daß bereits gegen Jahrhundertende der Germanist der deutschen Universität in Prag, Prof. August Sauer das Kulturbewußtsein der Deutschen Böhmens gegen Wien hin abgegrenzt und zu selbständiger Haltung bewegt hat. Diese selbständige Haltung hatte sich bereits in dem Schaffen einiger Autoren aus Böhmen und Mähren vorbereitet, vor allem in den Romanen und Novellen von Marie von Ebner-Eschenbach und Ossip Schubin. Erstere hatte als Kind früher als Deutsch Tschechisch und Französisch gelernt und war dann eine bedeutende deutsche Schriftstellerin geworden, die, wie Nadler schreibt, „im Gemeingefühl des gemeinsamen Landes mit beiden Völkern lebte, ohne einem von beiden anzugehören. Sie war der einzige wahrhaft übervölkische Dichter der Monarchie, die Erbin Grillparzers und Stifters.“ Nicht anders Ossip Schubin, die Autorin einer Reihe von Romanen, in denen — vor Jahrzehnten! — immer wieder slawische Menschen und Schicksale dichterisch behandelt werden. Das neueste Werk von Ossip Schubin, die als rüstige 74jährige in Böhmen lebt, ist ein demnächst erscheinender großer Roman „Finis Austriae“, dessen Titel schon andeutet, wie intensiv sich diese Dichterin mit Gegenwartsproblemen befaßt.

 

Wir sind, wie Nadler sagt, in der Zeit der Übergänge. Innerhalb des Schrifttums der böhmischen und mährischen Deutschen hat sich seit Jahrhundertbeginn ein nicht zu leugnender Übergang vollzogen, der Übergang zu einer Literatur, die immer mehr ein bestimmtes organisches Gepräge aufzuweisen begann. Ich halte es in diesem Zusammenhang für keinen Zufall, daß die große Pazifistin Berta von Suttner eine Pragerin gewesen ist: die Kriegsgegnerschaft hat innerhalb der deutschen Autoren aus Prag schon vor und mitten im Kriege ihre beredten Anwälte gefunden. Keine pazifistische Publikation oder Anthologie seit 1914 ist ohne die Mitarbeit deutscher Autoren aus Böhmen und Mähren herausgekommen.

 

Zu diesem ausgesprochen kriegsfeindlichen gesellte sich bei den deutschen Dichtern aus Böhmen und Mähren ein ausgesprochenes soziales Empfinden. Der Brünner Schriftsteller Philipp Langmann, ursprünglich Fabrikarbeiter, wurde, nachdem er zahlreiche Proletariergeschichten geschrieben hatte, durch sein Arbeiterdrama „Bartel Turaser“ berühmt. In den frühen Gedichten von Friedrich Adler finden wir eine ergreifende Betonung der sozialen Note. Der Dichten des Isergebirges Gustav Leutelt beschäftigt sich in seinen Romanen oft genug mit sozialen und wirtschaftlichen Fragen. Nicht anders bei der jüngeren und jüngsten Generation. Ein drittes Moment, das namentlich für diese letztere Generation, die Generation Leppin, Wiener, Kafka, Brod, Weiß, Baum, Werfel, Ungar, Winder, Kisch, Fuchs, Kornfeld, Urzidil, Haase usw. charakteristisch erscheint, ist das von Nadler erwähnte Gemeingefühl des gemeinsamen Landes, in welchem sie mit beiden Völkern zusammen lebten oder noch leben. Ein vielleicht unbewußtes Gemeingefühl. Daß es aber vorhanden ist und schon vor Jahrzehnten seine Wirkung geübt hat, erkennt man am klarsten an dem Lebenswerk des großen Dichters Rainer Maria Rilke.

 

Josef Nadler schreibt: „Sinn und Inbegriff dieser Prager Kunst, dies neue Prag im Übergange, Vorwegnahme seiner kommenden Rolle, das war Rilke, der geborene Prager, Blut und Rasse des Raumes. Rilke ist so sehr Prager, wie unter den Deutschen keiner mehr geschichtlich bezeugt ist. Und die Pyramide seiner Werke ist bis in die Spitze aus Prager Stein gebrochen und sie verwahrt in ihrer Kammer einen Prager Priesterkönig, gleichviel welches fremde Gerät er um seine einsame Ruhe herumstellte. Prager Erlebnis und Prager Seele ist der breite Tragboden.“

 

Prager Erlebnis und Prager Seele, wir finden sie seit 1910 in den Werken aller Prager deutschen Dichter wirkend. Der Prager Kulturkreis ist ein selbständiger Kulturkreis geworden, innerhalb der deutschen Literatur in Böhmen und Mähren ist ihm die Führung zugefallen. Man muß das Organ dieser Stadt haben, schreibt Nadler anläßlich des Romans „Golem“ von Gustav Meyrink. Die in Prag geborenen, aber auch die vom Lande stammenden und die mährischen deutschen Dichter haben allmählich dieses Organ gewonnen. Selbst die Aelteren, wie Hugo Salus, dem wir manche Alt-Prager Novelle und viele Prager Verse verdanken, verfügen über dieses Organ, das ihnen die vielfältigen Geheimnisse des alten und des werdenden Prag vermittelt. Egon Erwin Kisch unternimmt bewußte Entdeckungsreisen durch die alte und die neue Stadt. Max Brod schildert den Prager Stadtsommer gleich in seinen ersten Novellen und führt tschechische Menschen in der Handlung seiner meisten Romane ein. Das romantische, barocke Prag spiegelt sich in den sinnlich erregten Romanen Paul Leppins, in den Novellen Oskar Wieners, der seinem Roman den Titel „Im Prager Dunstkreis“ gibt. In allen Werken des großen Dichters Franz Kafka, in seinen Romanen wie in den Novellen, ahnen wir ein gewaltiges Ringen mit den Dämonen dieser niemals genannten Stadt. Und Franz Werfel, den Nadler „den neuen Erben dieses in Rilke sich erfüllenden Prag“ nennt, hat in Prag seine ersten Gedichte erlebt und Prag seine letzte Novelle „Das Trauerhaus“ und den Roman „Der Abituriententag“ gewidmet.

 

Rilke hat, um nochmals Josef Nadler zu zitieren, „die Vormacht der Innenwelt und der Musik, das Wunderbare und die Sehnsucht, Nacht, Traum und Todeserotik, die Kindheit und den Osten wieder ins Leben gehoben“. Die deutschen Dichter aus Prag, die deutschen Dichter aus der Tschechoslowakei lassen in ihren Werken jeweils das Vorwalten eines oder mehrerer dieser Gefühlselemente erkennen. Traum und Todeserotik geben die Stimmung ihrer Lyrik an, Kindheit wird wach in ihren Versen, Musik bestimmt das Schaffen Werfels und Brods, der Osten hat es manchem der Jüngeren angetan und das Wunderbare spielt in den Romanen und Dramen Oskar Baums eine entscheidende Rolle.

 

Der Dichterruhm aber, der den Deutschen aus der Tschechoslowakei in ihren besten Vertretern auch im fernsten Ausland zuteil geworden ist, sollte dieser Ruhm nicht auf alle Bewohner des gemeinsamen Landes, mit dem sie ein Gemeingefühl verbindet, zurückfallen dürfen? Es ist ein Ruhm, der nicht allein auf Persönlichkeitswirkung beruht, denn die Schöpfungen dieser deutschen Dichter tragen den Abglanz ihres Heimatlandes, ihrer Heimatstadt. Sie fügen sich dem allgemeinen deutschen Schrifttum ehrenvoll ein, ohne dabei ihren Ursprung zu verlieren. Dieser Zusammenhang mit dem Kulturkreise, dem sie entsprungen sind, ist naturgemäß verschieden abgestuft. Trotzdem kann die Literatur der tschechoslowakischen Deutschen als eine werdende organische Einheit aufgefaßt werden und darf berechtigten Anspruch darauf erheben, von der tschechoslowakischen Allgemeinheit mit intensiverem Interesse als bisher aufgenommen zu werden.

 

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Die Tatsache, daß auch den eigenen Landsleuten der aus Böhmen und Mähren stammenden deutschen Autoren deren Leistungen nicht immer in ihrer Gesamtheit bewußt geworden sind, hat den Kritiker Josef Mühlberger zu einem dankenswerten Unternehmen veranlaßt. Sein soeben (bei Johannes Stauda, Verlag in Kassel-Wilhelmshöhe) erschienenes Buch „Die Dichtung der Sudetendeutschen in den letzten fünfzig Jahren“ bemüht sich um eine lückenlose Erfassung aller in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Autoren und Werke. In der Einleitung heißt es: „Eine so tiefe Durchleuchtung aus- und grenzländischer Dichtung wie sie etwa die Schweiz, das Rheinland u. a. besitzen, hatten wir Sudetendeutschen bislang entbehrt. Hier will ein Anfang gemacht werden. Von Schweizer, rheinländischer Dichtung zu sprechen, ist heute ein Gegebenes; man verbindet damit feste Anschauungen, die einer langjährigen Beschäftigung mit dem Stoffe entspringen. Anders steht es um die sudetendeutsche Dichtung. Ratlos steht man meist diesem Gebiete gegenüber: wo darüber gehandelt wird, stößt man auf harte Fehler. Diese Darstellung hat nicht den Ehrgeiz zu prunken, wie es landschaftliche Darstellungen gerne tun; sie versucht, sich von der Liebe zum Heimischen den Blick nicht trüben zu lassen. Sie will ein Stück ergänzende Arbeit sein, sie will eine Lücke im gesamtdeutschen Schrifttum ausbauen helfen und daneben die landschaftliche Eigenart erkennen lassen.“

 

Josef Mühlberger ist seiner Aufgabe, die nicht immer zuverlässige Vorarbeiten korrigieren und ergänzen mußte, leider aber auch manche positiv zu wertende nicht herangezogen hat, in hohem Maße gerecht geworden. Seine Darstellung ist durchaus allseitigorientiert und man begrüßt den Wagemut, mit dem er mancheÜberschätzung heimischer Autoren auf das rechte Maß zurückgeführt hat. Man begrüßt die Objektivität, mit der z. B. von den vom Volkshaß diktierten schriftstellerischen Erzeugnissen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit entschlossen abgerückt wird.

 

Josef Mühlberger hat die Fülle des in Betracht kommenden Materials durchaus übersichtlich in fünf große Abschnitte gegliedert, innerhalb deren er wiederum den repräsentativen Erscheinungen Einzelbetrachtungen widmet. Es ist ihm gelungen, die „geraden Beziehungen“ sinnfällig zu machen, die von Adalbert Stifters tröstlicher Erscheinung in die Dichtung der Gegenwart zu führen. Er hat auf wenigen Seiten treffliche Charakteristiken Franz Kafkas, Kolbenheyers, Werfels geboten und uns mit manchem fast schon verschollenen Dichter — z. B. mit dem bedeutenden Romandichter Nikolaus Krauß — bekannt gemacht.

 

Daß manche Einzeldarstellung noch der Vertiefung, bzw. Erweiterung bedarf, daß Namen wie Robert Musil und Josef Popper-Lynkeus, Franz Janowitz, Hermann Ungar, Ottokar Winicky und Willy Haas in einer Neuauflage nicht werden fehlen dürfen, daß Erscheinungen vom Range Ludwig Winders eine ihrer Bedeutung gemäßere Würdigung beanspruchen müssen, dürfte der Verfasser der ansonsten entsprechenden Gesamtdarstellung bereits erkannt haben. Jedenfalls erscheint sein Werk geeignet, die weitesten Leserkreise über das Schaffen der deutschen Dichter in der Tschechoslowakei vorbereitend zu informieren. Nicht nur die deutschen, sondern auch die tschechischen Leser. Denn der Autor hegt mit Recht den Wunsch, daß sein Buch „gerade unseren anderssprachigen Nachbarn von unserer Kultur sagen möchte. Denn wir müßten wohl beiderseits lernen, das eigene zu schätzen, ohne das andere zu schmälern. Und es scheint, als habe gerade die Wissenschaft hier durch unbefangene Sachlichkeit zu wirken.“

 

Daß Josef Mühlberger solche Sachlichkeit in seiner Darstellung walten ließ, verleiht ihr über den literaturkritischen hinaus auch einen unstreitigen kulturellen Wert.


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