Es schrieb: Antonín Machát

(15. 6. 2023)

 Obwohl die Donau in Deutschland entspringt und in ihrem nächsten Lauf durch die deutschen Länder Österreichs fließt, kann man nicht sagen, dass sie ein deutscher Fluss ist. Es kann auch nicht heißen, dass es sich um einen ungarischen oder slawischen Fluss handelt. Die Donau ist ein internationaler Fluss, sie ist ein großer europäischer Strom, da sie sieben Länder durchfließt oder berührt.

 

Die Schicksale dieser Nationen waren und sind mit diesem Fluss verbunden, wie das beharrliche Handeln von Staatsmännern beweist, die sich darum bemühen, erträglichere (vor allem wirtschaftliche) Verhältnisse an der Donau wiederherzustellen. Ich glaube freilich nicht, dass es einmal wie im Nibelungenlied sein wird, wo man „von Melk viele goldene Gefäße in den Händen voll Wein den Gästen auf dem Weg brachte und sie begrüßte“, aber ich glaube schon, dass sich die Bedingungen, insbesondere die wirtschaftlichen, zu Gunsten aller an der Donau lebenden Nationen ändern werden.

 

Die Donau-Region wird zwar nicht mehr von den Überfällen von Raubrittern geplagt, die die Schiffe nach Begehr ausplünderten, auch müssen die Kapitäne der Donauschiffe nicht alle paar Kilometer Zoll an Herrscher, Länder, Städte, Klöster oder Privatpersonen zahlen. Außerdem werden Reisende nicht überfallen und ausgeraubt, selbst wenn sie sich mit einem von ihrem Landesherrn ordnungsgemäß erstellten freien Geleit ausweisen können. Aber leider muss man immer noch Pässe haben, die nur mühsam und teuer zu beschaffen sind, ganz zu schweigen von den Sorgen um eine Einreiseerlaubnis für die Nachbarländer und die Kontrollen, denen sich jeder unterwegs mehrmals unterziehen muss. Und die von den Staaten auferlegten, ständig erhöhten und auf fast alle Arten von Gütern ausgedehnten Zölle ersticken die Schifffahrt auf der Donau derart, dass die Donaudampfschifffahrts-gesellschaften mit Verlust arbeiten, obwohl sie von den Staatsbudgets reich subventioniert werden. Wer profitiert nun von dieser Situation? All die Einschränkungen und Hindernisse für die Schifffahrt und den Verkehr auf der Donau haben sicherlich ihren Höhepunkt erreicht, so dass es im Interesse der Staaten und Völker, die an der Donau leben, liegt, über ihre Abschaffung nachzudenken, und die freien Völker sollten eine vernünftige und einvernehmliche Einigung anstreben. Schließlich ist allzu deutlich geworden, dass Zölle eine zweischneidige Waffe sind, die einem Nachbarn schaden kann, wir kommen aber auch nicht unversehrt davon.

 

Die Donau ist heute ein Schlagwort, das zur Verbrüderung der an diesem großen Strom ansässigen Staaten und Völker führen sollte. Das größte Hindernis für diesen wirtschaftlichen Zusammenhalt ist das Gespenst des Monarchismus. Mit dieser verrosteten Waffe wird von Menschen gedroht, die ihre Augen vor dem wahren Stand der Dinge verschließen, er kann aber nicht ignoriert werden, auch wenn diese Menschen lauthals viele Phrasen benutzen. Wirtschaftliche Not wird (nach der Sicherung der politischen Souveränität) früher oder später eine echte Annäherung und Verständigung der Nationen erzwingen. Kein Land ist heute autark, nicht einmal ein so großes Land wie Deutschland. Dieses Wissen dringt allmählich auch in jene Kreise vor, die bis vor kurzem glaubten, ihr Glaube sei nicht zu erschüttern.

 

Wenn dann alles, was das Wirtschaftsleben an der Donau erstickt, beseitigt ist, werden alle mitmachen: Deutsche, Österreicher, Tschechoslowaken, Ungarn, Serben, Bulgaren und Rumänen, sie werden noch mehr an unserer Donau hängen, die allen dienen und nützen will.

 

Dann, in Zeiten der Ruhe, werden wir entlang dieses mächtigen, majestätischen Stromes frei wandern, der bei jedem Schritt sein ewig schönes, unsterbliches Lied singen wird. Die Donau wird für uns immer neu sein, immer anders, auch wenn wir sie hundertmal gesehen haben. Wir werden von der Luft und der Sonne berauscht sein, die den Kopf genauso erhitzt wie junger Wein aus der Wachau.

 

Und an der Donau werden sich freie Nationen einmal die Hände reichen, um sich an ihre Pflicht gegenüber der Menschheit und der europäischen Kultur zu erinnern.

 

 

Diesen wahrhaft idyllischen Hymnus auf den „mächtigen Strom, der die Geschichte der Menschheit bestimmte“, stellte Antonín Machát ans Ende seiner Publikation Dunaj [Donau] von 1935 – Machát ist ein heutzutage nahezu unbekannter Kultur- und Bildungsarbeiter, sozialdemokratischer Politiker, Publizist, Historiograph der tschechischen Minderheit in Wien und Romancier. Er stammte aus Lomnička in Mähren, nach der Ausbildung zum Typografen wurde er von der Partei nach Wien berufen, wo er 1911 Direktor der Lidová tiskárna (Volksverlag) wurde, die sich im fünften Bezirk am Margaretenplatz 7 befand und die er bis zu deren gewaltsamer Schließung einunddreißig Jahre später leitete. Wie der Verfasser der vorliegenden biografischen Notiz bereits an einer anderen Stelle (im Inventar des Archivfonds von A. Machát in der LA PNP) erwähnte, engagierte sich Machát sofort im bildungspolitischen, karitativen (České srdce [Tschechisches Herz]) und kulturellen Leben der tschechischen Minderheit in Wien und gewann schon damals den Respekt und die Freundschaft vieler Wienerinnen und Wiener über das politische und nationale Spektrum hinweg. Er lieferte Beiträge für die sozialdemokratischen Zeitungen Dělnické listy, Průkopník svobody, Pravda sowie für Vídeňský deník, dessen Leser hauptsächlich Beamte und Gewerbetreibende waren. Nach dem Ende der Monarchie engagierte er sich zunehmend gesellschaftlich und politisch im Schulverein Komenský, in dem er ab 1924 Geschäftsleiter, dann bis 1938 Bürgermeister war. 1919 wurde er als Sozialdemokrat in den niederösterreichischen Landtag und den Wiener Stadtrat gewählt, wo er im Schulbereich als Allgemeiner Rat für Schulen mit tschechischer Unterrichtssprache tätig war. Nach der Ermordung von Bundeskanzler E. Dollfuß wurde er im April 1934 kurzzeitig in einem Lager in Wöllersdorf interniert, danach konnte er seine verlegerische und publizistische Tätigkeit teilweise fortsetzen. Nach dem sogenannten „Anschluss“ war er wiederholt Schikanen durch die örtliche Staatsverwaltung und die Gestapo ausgesetzt (1941, 1944). Während des Krieges widerstand er auch dem Druck, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm er wieder am politischen und kulturellen Leben teil – bereits als tschechoslowakischer Staatsbürger war er Abgeordneter der tschechoslowakischen Provisorischen Nationalversammlung, Leiter der Abteilung des Ministerpräsidenten; er beteiligte sich aktiv an der Rückwanderung österreichischer Landsleute in die Heimat (1947–1949 war er in der Reemigrační kancelář rakouských Čechů [Auswanderungsamt der österreichischen Tschechen] tätig), beteiligte sich an verschiedenen karitativen Aktivitäten zugunsten österreichischer Sozialdemokraten, der sorbische Kinder aus der Lausitz usw., bis 1948 war er Vorsitzender des Schulvereins Komenský. Bereits im Dezember 1946 wurde er jedoch im Zuge der Reorganisation des Amtes des Ministerpräsidenten entlassen. Nach der endgültigen Übersiedlung nach Prag und dem erfolglosen Manövrieren nach der Veränderung der Verhältnisse nach dem Februar 1948 und dem anschließenden Niedergang der Sozialdemokratie endete seine öffentliche Tätigkeit endgültig. Er versuchte mehrmals – erfolglos – bereits vorbereitete Bücher über die tschechische Wiener Minderheit, Memoiren oder Anthologien von Epigrammen zu veröffentlichen, arbeitete gelegentlich mit dem Auslandsrundfunk des Tschechoslowakischen Rundfunks zusammen und schrieb für die Periodika des Tschechoslowakischen Instituts für auswärtige Angelegenheiten (Československý ústav zahraniční), etwa Krajanský kalendář [Kalender für Landsleute] 1964. Machát war auch literarisch tätig. Er veröffentlichte mehrere Roman-Biographien berühmter Wiener Musiker (Beethoven, jak žil a tvořil [Beethoven – Leben und Schaffen], 2., erw. Aufl. 1939), Schubert, muzikant boží [Schubert, der Musikant Gottes], 1941, und ein Reisebuch Vídeň–Paříž–Vídeň [Wien–Paris–Wien] (1938), ferner den Stadtführer Vídeňský hrad. Schönbrunn, Laxenburg [Wiener Burg. Schönbrunn, Laxenburg] (1939), seine Kolumnen und Feuilletons aus Vídeňský deník fasste er in seinem Buch Mimochodem [Nur so nebenbei] zusammen (von den vier geplanten Bänden erschien 1931 nur ein Band). Verdienstvoll, allerdings nicht ganz zuverlässig sind seine Arbeiten zur Geschichte der tschechischen Minderheit in Wien (Čechoslováci ve Vídni [Tschechoslowaken in Wien], 1931; Naši ve Vídni [Unsere Leute in Wien], 1946) und zur Geschichte der Sozialdemokratie in seinem langjährigen Wirkungsort (Československé hnutí dělnické ve Vídni [Tschechoslowakische Arbeiterbewegung in Wien], in: Revoluce práce, 1938). Seine Tätigkeit als Verleger und Redakteur bleibt unterschätzt – neben diversen Jahrbüchern und Kalendern für Landsleute (Ročenka Čechů vídeňských [Jahrbuch der Wiener Tschechen], 1938–42; Kalendář československého lidu dělného v Rakousku [Kalender der tschechoslowakischen Werktätigen in Österreich], 1923–29?) ist die belletristische Bücherreihe Lidová knihovna vídeňská [Wiener Volksbibliothek] (ca. 55 Bände) und die Zeitschrift der Wiener tschechischen Kinder Útěcha [Trost] (1922–41, mit Anna Dvořáková) hervorzuheben.

 

Die kulturgeschichtliche Topographie Donau, aus der wir oben Beispiele gebracht haben, liefert einerseits eine fundierte Interpretation der historischen und künstlerischen Realien v. a. an den österreichischen Ufern des Flusses (von Engelhartszell bis Hainburg), der Text offenbart jedoch andererseits auch die politischen und ökonomischen Interessen des Autors. Seine Darlegungen über die „kulturelle und historische Bedeutung der Donau“ rahmt er vor allem durch die Beschreibung konkreter Lokalitäten ein, wobei auffällt, dass er jene Orte bevorzugt, die die – heute würden wir sagen – interkulturellen Orte der Berührung und Begegnung im Zusammenhang mit dem „Fluss namens Donau, dem alten Greis-Philosophen“ dokumentieren, sei es etwa Passau, Linz, Stein, Krems oder natürlich Wien. Zahlreich kommen hier, des Öfteren indirekte Anspielungen an die aktuelle politische Situation im austrofaschistischen Österreich sowie Hinweise auf die damals breit diskutierten Vorschläge zum sogenannten Donau-Pakt vor. Es sollte eine allgemeine politische Vereinbarung über die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und über die territoriale Integrität der mitteleuropäischen Länder enthalten. Dieser Vorschlag, der eine künftige Zollunion beinhaltete, reagierte auf die zunehmend aggressive Politik vonseiten Nazideutschlands. Infolge der zögerlichen Haltung der Beteiligten und der Remilitarisierung des Rheinlandes im Frühjahr 1936, gegen die die französische und die britische Regierung nicht grundsätzlich protestierten, wurden die österreichischen und ungarischen Stimmen stärker, die eine „Verständigung“ mit Deutschland anstrebten, und das Projekt wurde somit ad acta gelegt. Zwei Jahre später wurde Österreich als Ostmark annektiert, ein halbes Jahr danach das tschechische Sudetenland und dann der Rest der böhmischen Länder...

 

Macháts Buch besitzt bestimmt nicht die essayistischen und literarischen Qualitäten von Magris‘ Bestseller (Danubio, 1986) oder die historische Fundierung der im tschechischen Kontext weniger bekannten Bücher von Ernst Trost (Die Donau – Lebenslauf eines Stromes, 1980) bzw. von Michael Weithmann (Die Donau. Ein europäischer Fluss und seine dreitausendjährige Geschichte, 2. Aufl. 2000). Es ist jedoch ein Buch voller engagierten und informierten Interesses an der österreichischen Kulturgeschichte, und angesichts der unverkennbaren Aktualität dieser Botschaft – sei hier daran erinnert, dass das Donaudelta zwischen dem rumänischen Tulcea und dem ukrainischen Izmail ins Schwarze Meer mündet – ist es richtig, sich auch heute noch an diese Publikation zu erinnern.

 

vp

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka 


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