Es schreibt: Kurt Ifkovits

(8. 2. 2023)

Bereits der Umschlag des im renommierten Prager Arbor Vitae Verlag erschienenen Buches von Arno Pařík über den in Prag geborenen Maler und Grafiker Jiří Georg Jilovský setzt die thematischen Schwerpunkte – visuell wie rhetorisch. Indem es eben beide Varianten des Vornamens nennt, verweist es auf die Herkunft des Künstlers zwischen den beiden Sprachgruppen Böhmens, wobei es Sinn macht, die tschechische Version voran zu stellen, zumal sich seine Familie wohl eher zur tschechischen Seite hinneigte. Zweisprachig aufgewachsen, aus einer assimilierten böhmisch-jüdischen Familie stammend, war er nachhaltig von der deutschen Kultur, besonders der neuromantischen Bewegung Jung-Prags beeinflusst. Noch während seiner Zeit an einem deutschen Gymnasium hatte er Texte Oskar Wieners, mit dem er lebenslang befreundet sein sollte, Rainer Maria Rilkes oder Gustav Meyrinks – um nur einige zu nennen – kennengelernt und zu schätzen gewusst. Neben dem Studium an der Prager Akademie konnte er einen kurzen Bildungsaufenthalt in München vorweisen. Auch institutionell war er mit der deutschsprachigen Kulturlandschaft Prags eng verwoben: So beantragte er bei der Gesellschaft zur Förderung der deutschen Wissenschaft und Kunst ein Stipendium und war Mitglied mehrerer ‚deutscher‘ Künstlervereine –etwa des Vereins Schlaraffia, des Künstler- und Schriftstellerverbandes Concordia, des Vereins deutscher bildender Künstler in Böhmen, aber auch der Wiener Künstlervereinigung Hagenbund. Eine Reise führte ihn nach Berlin, wohl um Bühnenbild bei Max Reinhardt zu studieren. Freilich, nach den grausamen Erfahrungen des Holocaust, die ihm und seiner Familie, ja ganz Europa widerfahren waren, konnte und wollte sich Jilovský nicht mehr als Teil einer deutschen Kultur sehen, in deren Namen Unheil über die Welt gebracht worden war. So wurde aus Georg endgültig ein Jiří.

 

Auch Jilovskýs Motive wie seine Techniken – und damit sei erneut auf den Umschlag verwiesen – sind tief in der deutsch böhmischen Kunst seiner Zeit verankert. Namen wie Hugo Steiner-Prag, aber auch Alfred Kubin und Emil Orlik vor allem aber Richard Teschner seien als Referenzpunkte erwähnt. Überhaupt ist der prägende Einfluss Teschners mehr als offensichtlich. So könnte man die beiden auf Seite 31 abgebildeten Arbeiten, die Aquatinta Jarní píseň (1906) und das (auch auf dem Umschlag abgedruckte) Pohádka (1907) problemlos Richard Teschner zuschreiben, etwa wenn man an dessen Liebespaarwiese (1902) oder Der gläserne Prinz (1905) denkt. Für die Altprager Ansichten gilt dies sowieso – für die jeweilige Ansicht der Meissnergasse wählten Teschner wie Jilovský beispielsweise den identischen Bildausschnitt.

 

Jilovský war, wie auch der Autor betont, kein Bilderstürmer – vielmehr ein grundsolider, technisch unglaublich versierter Handwerker, der hervorragende Arbeiten im Stil einer für den deutschböhmischen Markt (gerade noch) akzeptablen (also gemäßigten) Moderne anfertigte. Dies war freilich auch lebensnotwendig. Denn der Markt und seine Kunden (im konkreten Fall: Prager Intellektuelle, vor allem Ärzte, Juristen und Unternehmer, aber auch Institutionen wie das Prager Deutsche Theater) vertrugen keine radikale Moderne. Nicht zuletzt musste dies auch Jilovskýs Vorbild Richard Teschner erfahren, als er den Versuch gestartet hatte, die Moderne Klimtscher Prägung mit verschiedenen Unternehmungen (nicht zuletzt der mit Paul Leppin gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift WIR oder dem Versuch einer deutschen Kunstakademie) in Prag zu begründen. Teschner resignierte und verließ die Stadt an der Moldau im Jahr 1909 für immer Richtung Wien – ebenso Emil Orlik, den seine Wege nach Berlin führten. Jilovský hingegen blieb nach seiner Ausbildung stets in Prag.

 

Die prekäre Lage der Prager Künstler hat sich in gewisser Weise auch auf die Arbeiten Jilovskýs niedergeschlagen, tragen sie doch oftmals den Stempel des Auftrags, des Verkäuflichen, sind Sammlerware. Angewandte Grafik dominiert: Ex Libris, Buchkunst, Plakate, Mappenwerke, aber auch Bühnenbilder. Überhaupt nehmen Jilovskýs Arbeiten im Umkreis des Prager Deutschen Theaters im Buch einen breiten Raum ein. Und auch die freie Grafik der frühen Jahre, vor allem atmosphärisch dichte Ansichten aus Alt-Prag, waren (und sind) wohl gut verkäuflich. Was freilich kein Qualitätsurteil sein soll, ganz im Gegenteil, zeigen sie doch stets einen experimentierfreudigen Virtuosen sämtlicher grafischen Techniken. – Dennoch: Einige dieser Auftragsarbeiten wie etwa die Huldigung Goethes oder Beethovens zeigen sich motivisch derart einfallslos, dass man die Lustlosigkeit der Erfüllung des Auftrages zu erkennen meint.

 

Dem einmal gefundenen und offenbar gut verkaufbaren Stil – es ist jener der symbolistischen Jahrhundertwende – bleibt sich Jilovský in der Grafik lange treu. Neue Strömungen wie der Expressionismus zeigen keine Spuren. Nur ab und zu wagt er sich in expressivere Farbenwelten vor – und dann scheint es dem Auftrag geschuldet. So etwa in seinen Bühnenbildern zu Jaromír Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer/Švanda dudák. Doch auch diese Arbeiten lassen sich mit einem anderen Großen dieses Metiers vergleichen, dem aus Brünn gebürtigen Emil Pirchan, der ebenfalls seiner Heimat den Rücken gekehrt hatte und via München nach Berlin ging, um das Bühnenbild zu revolutionieren. Bemerkenswert sind freilich Jilovskýs Karikaturen von Freunden und Bekannten, auch diese aus dem deutsch-jüdischen Prager Milieu. Mit ebenso knappem wie flott-frechem Strich zeichnete er die Physiognomien von Personen wie Hermine Medelsky, Hugo Salus, Erwin Schulhoff, Oskar Wiener oder Alexander Zemlinsky. Immer wieder ist es die Prager deutsch-jüdische Gesellschaft, auf die er referiert, sei es in Porträts von Sammlern oder Freuden.

 

Mit seinem malerischen Oeuvre – dies zweifellos eine Entdeckung – verhält es sich durchaus differenzierter. Hier bahnt sich bereits früher als in der Grafik eine gewisse Kühle und Reduktion an, die durchaus Parallelen zur Neuen Sachlichkeit vorweisen kann. Beeindruckend so manche Landschaft. Hiervon hätte man freilich gerne mehr gesehen. Diese Reduktion im Stil der Neuen Sachlichkeit mit der obligaten Topfpflanze im Hintergrund, prägt beispielsweise ein spätes Porträt seines Sohnes Arnošt. Es entstand unmittelbar vor dessen Deportation im Jahr 1943. Er überlebte den Holocaust nicht – ebensoviele Verwandte oder der Freund Oskar Wiener. Jilovskýs Frau Marie sollte an den Spätfolgen der KZ-Tortur sterben. Jilovský selbst durchlitt die Qualen von Theresienstadt, Auschwitz, Sachsenhausen (wo die Nazis sein Talent missbrauchten, indem sie ihn zwangen, Fälschungen von Banknoten anzufertigen), Mauthausen, Redl-Zipf (Schlier), Ebensee, wo er im Mai 1945 befreit wurde.

 

Auch dieser dunklen Zeit und ihrem Niederschlag in Jilovskýs Werk wird ein Kapitel gewidmet, nicht nur mit Arbeiten, die den Lageralltag dokumentieren. Besonders hervorzuheben ist dabei eine Collage auf einem Geschäftspapier mit dem Titel Vögel auf Telegrafendraht. Mit einfachsten Mitteln – wenige, grob gesetzte, vertikale und horizontale Striche und einige Fetzen Papier sowie die geschickte Ausnützung des gerasterten Vordrucks des Papiers – suggeriert der Künstler unbändige Freiheitssehnsucht. In diesem Kapitel des Buches wären weitere Beispiele erhellend gewesen. Doch vielleicht wollte der Verfasser der Gefahr entgehen, Jilovskýs Arbeit zu sehr auf die Rezeptionslinie der Theresienstädter Kunstfestzuschreiben.

 

Der Arbeit nach dem Krieg hat sich diese Wunde tief eingegraben. Nach 1945 war alles anders. Wenngleich auf den ersten Blick der Eindruck entstehen mag, Jilovský hätte nahtlos an seine Arbeit der Vorkriegszeit anknüpfen (er verfertigte wieder Gebrauchsgrafik, vor allem Ex libris) und somit das Erlebte überwinden können, so war es wohl bestenfalls eine Verdrängung. Denn selbst in der Wiederholung ist eine Veränderung eingeschrieben. 1945 beispielsweise nimmt er noch einmal das bereits 1918 realisierte (freilich auf Kubin referierende) Motiv der Allegorie des Krieges auf. Die Fassung von 1945 fällt dabei persönlicher aus. Die geschundenen Menschen sind nun keine anonyme Masse mehr, sondern Individuen. Jilovský wollte seinen Kameraden die ihnen geraubte Individualität zurückgeben.

 

Jilovský kann als typischer Vertreter einer Künstlergeneration gelten, die im mehrfachen Sinn ausgelöscht wurde. Nicht nur die konkreten Menschenleben, sondern auch das Milieu der assimilierten deutschböhmischen Juden, dem er entstammte und in dem er verkehrte, wurde unwiederbringlich ausgelöscht. Anknüpfungsmöglichkeiten waren nach 1945 unmöglich geworden. Seine Klientel, einst dankbare Abnehmer seiner Ex libris, war, wie sein Freund Oskar Wiener mehrheitlich im KZ ermordet worden, das Prager Deutsche Theater gab es nicht mehr. Die Rekonstruktion dieses unwiederbringlich untergegangen Milieus, dem Jiří Georg Jilovský entstammte, war lange Zeit nicht opportun und setzte erst allmählich ein. Dieses Buch, die gleichermaßen Biographie wie Auseinandersetzung mit dem Werk ist, darf für sich in Anspruch nehmen, ein weiterer Puzzlestein der Rekonstruktion eines äußert komplexen ästhetischen Feldes zu sein, das nur allzu gern auf ethnische Dominanten festgeschrieben wurde. Jilovskýs Werk thematisiert aber auch wichtige Fragestellungen wie Moderne/Antimoderne, internationale ästhetische Bewegungen, die diese überlagern/konterkarieren. Zudem finden sich darin auch die ökonomischen Bedingungen des Prager Kunstmarktes abgebildet.

 

So reichhaltig und hervorragend die Abbildungen auch ausfallen (mitunter hätte man sich mehr Referenzwerke anderer Künstler gewünscht), so problematisch gestalten sich leider die Bildunterschriften. Nicht nur, dass sämtliche von Jilovský in deutscher Sprache auf den Blättern notierten Titel konsequent ins Tschechische übersetzt wurden, mitunter wurden sie auch verändert. So wird dann auf Seite 52 eine von Jilovský mit Aus Alt Prag bezeichnete Skizze, zu einem Barokní dům na Klárově.

 

Und auch wenn man die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Werkgruppen kritisch sehen mag, wichtig bleibt jedoch, dass Jilovský nicht bloß auf den ‚gefälligen‘ Gebrauchsgrafiker reduziert wird, sondern auch bislang unbekanntere Arbeiten, wie jene für das Theater oder eben die Malerei vorgestellt werden.

 

 

Arno Pařík: Jiří Georg Jilovský 1884–1958. Pražský malíř a grafik. Praha: Arbor Vitae, 2020, 239 S.


zpět