Es schreibt Zuzana Jürgens

(4. 8. 2014)

Neue Übersetzung des Švejks von Jaroslav Hašek ins Deutsche

 

Zu Beginn dieses Jahres – im Februar – brachte der Stuttgarter Reclam Verlag in seiner Reihe der klassischen Werke der Weltliteratur „Reclam Bibliothek“ den Roman Švejk von Jaroslav Hašek heraus. Hašek wurde somit zum überhaupt ersten tschechischen Schriftsteller in dieser Reihe. Wie bei einigen anderen Texten der hier vertretenen Autoren – zum Beispiel R. L. Stevenson, Ch. Dickens oder F. Scott Fitzgerald – übernahm dabei der Verlag nicht eine bereits existierende Übersetzung, sondern beschloss, den Švejk neu herauszugeben, mit umfangreichen Anmerkungen und einem Nachwort, unter einem Titel, der dem tschechischen Originaltitel besser entspricht: Anstelle des bisherigen Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk lautet es zum ersten Mal Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg (Dobrodružství dobrého vojáka Švejka za světové války).

 

Unter dieser prestigeträchtigen Ausgabe steht überraschendenweise kein etablierter Übersetzername. Die Übersetzung sowie der Begleitapparat stammen von Antonín Brousek, dem Sohn des Dichters und Literaturkritikers Antonín Brousek und der Literaturhistorikerin Markéta Brousková, der seinen bürgerlichen Beruf als Richter in Berlin ausübt. Švejk ist seine erste Werkübersetzung, er hat die Arbeit aus eigenem Antrieb aufgenommen – für den Verlag war also offensichtlich nicht die nachweisbare Praxis, sondern die Qualität der vorliegenden Übertragung entscheidend. Es handelt sich dabei nicht um den ersten Versuch einer Neuübersetzung des Romans: Einige Zeitschriftenveröffentlichungen zeugen davon, dass Hašeks Roman in den 1990er Jahren von Petr Sacher (Eigentümer des ehemaligen Verlags Hynek) übersetzt wurde, seine Übertragung erschien jedoch nie. Da es in Deutschland gegenwärtig bei der älteren Weltliteratur, d. h. Werken bis ca. Mitte des 20. Jahrhunderts eine deutliche Tendenz gibt, die bestehenden Übertragungen zu revidieren oder aber gleich eine neue Übersetzung in Auftrag zu geben, ist es eigentlich verwunderlich, dass sogar renommierte Verlagshäuser nach der Jahrtausendwende – wie z. B. Suhrkamp (2000) oder der Aufbau-Taschenbuch-Verlag (2008) – eine bereits damals siebzig bzw. fast achtzig Jahre alte Übertragung für ihre Švejk-Ausgaben aufgriffen.

 

Im Jahre 1926 wurde Švejk ins Deutsche von Grete Reiner übersetzt. Die Übersetzung erschien im Adolf Synek Verlag, der den Roman auch im tschechischen Original veröffentlichte (1921–1923). Beinahe gleichzeitig mit der Buchübersetzung entstand auch eine deutsche Dramatisierung: Ihre Autoren sind Max Brod, der den Roman bereits Anfang der 20er Jahre ausgesprochen schätzte, und Hans Reimann. Die Aufführung an der Berliner Piscator-Bühne (1928) haben Erwin Piscator und Bertolt Brecht vorbereitet: Sie wird zu den grundlegenden Regie-Werken von Piscator gezählt und bildet – neben der Buchausgabe – den Grundstein der Popularität des Romans bzw. seiner Titelgestalt in Deutschland. Theateraufführungen und Verfilmungen (in den 1970er Jahren entstand sogar eine österreichisch-deutsche Fernsehserie und Švejk steht regelmäßig auf den Theaterspielplänen) gehen bis heute auf die erste Brodsche Dramatisierung zurück, d. h. von Anfang an gab es hier zwei Varianten des Švejk, die bei der Lektüre und Rezeption in Deutschland zusammenwirken.

 

Im Nachwort zu der aktuellen Švejk-Ausgabe fasst A. Brousek sowohl das Leben von Hašek als auch die Entstehungsgeschichte des Švejk zusammen und ergänzt diese durch seine Interpretation des Werks. Er widmet sich darüber hinaus der Resonanz in Deutschland und vor allem der Übersetzungsleistung seiner Vorgängerin sowie den Ausgangspunkten seines eigenen Ansatzes. Er lehnt sich an eine Reihe von tschechischen, deutschen und englischen Studien und Publikation an (die noch um den Sammelband der bislang einzigen, von Walter Schamschula 1983 veranstalteten Hašek-Konferenz in Deutschland ergänzt werden könnte). Trotzdem kommen in dem Text Ungenauigkeiten bzw. pauschalisierende Behauptungen vor – z. B. wenn es um die Entstehung und Wirkung der tschechoslowakischen Legionen oder die Beschreibung von Franta Sauer als „einem dubiosen ehemaligen Schmuggler“ geht.

 

Brousek schildert Jaroslav Hašek als einen Bohemien und Alkoholiker, der sich nicht anpassen will und kann und der quasi zufälligerweise, unwillkürlich schreibt, woraus er schlussfolgert: Die Tatsache, dass „Hašek in der Lage war, einen Roman zu schaffen, wie dies keinem zweiten Schriftsteller in der tschechischen Literatur gelang, mag Ausdruck der von seinem Individuum quasi losgelösten Schöpferkraft sein“ (S. 969). Hašeks Biographie und sein Zugang zum Schreiben sind allerdings von vielen Kontrasten bestimmt, es bleiben hier nach wie vor Leerstellen – sie widerstreben einem lückenlosen Verständnis und Beschreibung. Über den Roman selbst erfährt man leider nur wenig im Abschnitt Švejk als Tscheche, in dem Brousek bekräftigt, dass es „Švejk als reale und fiktive Figur so nur in Böhmen geben kann“ (S. 980). Im Gegensatz dazu bieten aber die der Interpretation des Romans – seinem Genre – und seiner Eingliederung in den Kontext der Weltliteratur gewidmeten Passagen einen informativen und tiefgreifenden Einblick, inklusive des Vergleichs mit Cervantes’ Don Quijote oder Dickens’ Pickwickiern.

 

Nur flüchtig informiert Brousek über die zuerst negative Aufnahme des Romans seitens der zeitgenössischen tschechischen Literaturkritik und über die sukzessive Veränderung der Rezeption unter dem Einfluss des Erfolgs des Švejk-Romans in Deutschland. (Einen differenzierten Überblick über die Sekundärliteratur zu Švejk in den 20er bis 40er Jahren des 20. Jahrhunderts bringt demnächst die Anthologie Čtení o Jaroslavu Haškovi [Über Jaroslav Hašek], die für das IPSL von Luboš Merhaut vorbereitet wird.) Obwohl das Nachwort keine wissenschaftliche Studie, sondern vor allem für die Leser des Romans bestimmt ist, wäre auch hier der Anspruch zu erheben, den sich Antonín Brousek für seine Übersetzung vornahm: Ungenauigkeiten und Verzerrungen zu vermeiden (S. 983).

 

Aufmerksamkeit und Anerkennung verdienen jedoch seine umfangreichen Anmerkungen zum Romantext. Sie weisen u. a. darauf hin, inwieweit Švejk von historischen und literarischen Anspielungen durchzogen ist und in welchem Ausmaß der Roman die mehrsprachige Realität der österreichisch-ungarischen Armee widerspiegelt. Die Anmerkungen beinhalten gleichzeitig auch ein Vokabular der k. u. k. Militärterminologie, der Kartenspiele und einiger Ausdrücke, der vom Übersetzer bewahrten Fassung, die der heutige Leser wahrscheinlich nicht mehr versteht (wie z. B. der Fikus, das Stamperl, der Fiaker). Ein großer Teil der Erläuterungen betrifft die deutsche Sprache, die als die offizielle Sprache der Armee und der „Obrigkeit“ – mehr oder weniger korrekt wird sie von fast allen Gestalten des Romans benutzt – in Švejk eine besondere Stellung einnimmt. Da bei einer Übersetzung ins Deutsche diese sprachliche Ebene in der Regel verloren geht (und mit ihr auch ein Teil der Textsinns), beschloss der Übersetzer, sie hervorzuheben, indem er entsprechende Passagen kursiv setzte.

 

Wie man bei der Übertragung ins Deutsche mit deutschen Wörtern und Sätzen des Originals umgeht, ist im Hinblick auf den sprachlichen und stilistischen Aufbau des Romans zwar eine bedeutsame, in diesem Kontext jedoch nicht die wichtigste Frage. Es geht nämlich vor allem darum, wie man einen Roman übertragen kann, dessen Protagonisten durch ihr Tschechisch in der direkten Rede charakterisiert werden und dessen „Kraft vor allem in der einzigartigen Fähigkeit des Autors liegt, die gesprochene Sprache mit allen ihren Facetten und in ihrer ganzen Bandbreite wiederzugeben“ (František Daneš, Příspěvek k poznání jazyka a slohu Haškových „Osudůdobrého vojáka Švejka“ [Ein Beitrag zur Erkennung der Sprache und des Stils der „Osudydobrého vojáka Švejka“ von Hašek], in Naše řeč 37, 1954, Nr. 3–6, S. 124) – wie man also einen solchen Roman übersetzt in eine Sprache, die zwar über eine Reihe lokaler Dialekte verfügt, aber kein „allgemeines“, gemeinsames umgangssprachliches Deutsch hat.

 

In seinem Nachwort zeigt und belegt Brousek mit konkreten Beispielen, dass die Lösung von Grete Reiner aus heutiger Sicht nicht optimal ist: Stellenweise glättete sie den Text und das umgangssprachliche Tschechisch übertrug sie mittels des sog. „Böhmakelns“ oder des„Kleinseitner Deutsch“, d. h. des Deutsch der Wiener oder Prager Tschechen, das von spezifischen Ausdrücken und grammatischen Fehlern nicht frei war, und darüber hinaus im österreichischen Deutsch seinen Ursprung hatte, das sich bis heute vom „deutschen“ Deutsch unterscheidet. Bereits Kurt Tucholsky äußerte in seiner Besprechung der deutschsprachigen Ausgabe (Die Weltbühne, Jg. 22, 1926, Nr. 23, S. 895–896/ den später oft zitierten Verdacht, dass die Übertragung aus dem Tschechischen, „soweit ich das beurteilen kann, nicht sehr glücklich [ist]. Vielleicht ist es gut übersetzt, aber der Eindruck dieses Jargons, den Schwejk spricht, ist nicht lustig. Seine Grammatik ist farblos und steht in gar keinem Verhältnis zu den herrlichen Sachen, die er zusammenphilosophiert – man ahnt, was einem da alles verloren gegangen sein mag.“ (Trotzdem war Tucholsky von Anfang an ein begeisterter und aufmerksamer Leser von Švejk, über die deutsche Ausgabe des zweiten Teils schrieb er ein halbes Jahr später /Die Weltbühne, Jg. 22, 1926, Nr. 51, S. 975/: „Wie glücklich ist doch ein Volk zu schätzen, das solche Helden sein eigen nennt!“)

 

A. Brousek beschloss, u. a. mit dem Hinweis auf Hašeks unzureichende Kenntnis der deutschen Sprache, dass die Neuübersetzung „philologisch korrekt sein“ müsse (S. 983). Sein „Hauptanliegen“ war, „den Text in ein Deutsch zu übertragen, das genauso modern und unauffällig-umgangssprachlich ist wie das Tschechisch des Originals“ (S. 984). Stellvertretend für alle ein Beispiel: Hašeks „demižon“ übersetzt Reiner mit dem im Deutschen ungebräuchlichen Anglizismus „Demijohn“, seine Bedeutung muss sie dann in einer Fußnote erklären. Brousek ersetzt das Wort durch einen allgemeinen Ausdruck: „große Weinflasche“ (selbstverständlich ohne der Fußnote). Nach der ersten Lektüre und einem flüchtigen Vergleich scheint es, dass A. Brousek seine Absicht, eine gut lesbare und zeitgenössische Übersetzung von Švejk anzufertigen, tatsächlich gelungen ist – einen fundierten Nachweis dessen wird die Literaturwissenschaft bringen müssen, auf die hier dankbares Material wartet. (Bereits im Jahre 2002 verglich Kenneth Hanshew die deutsche und englische Übertragung, vgl. Zeitschrift für Slavische Philologie 61, 2002, Nr. 1, S. 213–248; die englische Übertragung von Cecil Parrot hat Brousek offensichtlich bei seiner eigenen Arbeit berücksichtigt.)

 

Die neue Edition von Švejk – zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs – erlebte bislang ein positives Echo. Die Kritiker konzentrieren sich allerdings vor allem eher auf die Interpretation des Romans gerade im Kontext des Krieges und auf den Zusammenprall mit der (totalitären) Macht als auf den Vergleich der beiden Übersetzungen. Nicht nur Christoph Bartmann ist der Meinung, dass: „Ein witzigeres, respektloseres, schwärzeres, subversiveres Buch über den Ersten Weltkrieg gibt es sicher nicht“ (Süddeutsche Zeitung 11. 3. 2014).


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