Es schreibt: Matouš Jaluška

(26. 3. 2025)

Die religiöse Identität verschiedener Gemeinschaften ist in der Frühen Neuzeit äußerst wichtig, sie trifft den Kern des Individuums, wie Kateřina Smyčková es an einer anderen Stelle im E*Forum mit Hilfe von einer gelungenen Metapher zu Beginn ihrer Rezension eines Buches über die Verwandlung der böhmischen Länder nach der Schlacht am Weißen Berg ausgedrückt hatte. Und es ist auch etwas, das in und durch Geschichten aufgebaut und entfaltet wird, in der Erzählung der Geschichte einer Gemeinschaft und des Individuums, das zu ihr gehört.

 

In dem hier rezensierten Band befassen sich zwanzig Autoren mit diversen Formen der verbalen Erfassung und Inszenierung religiöser Identität, insbesondere mit der konfessionellen Geschichtsschreibung, die in der alten Brüder-Unität, deren Umfeld und in ähnlich „minderheitlichen“ Kirchen eine Rolle spielte. Es gab viele solcher Gemeinschaften im frühneuzeitlichen Mitteleuropa; neben den tschechischen und polnischen Zweigen der Brüder-Unität gab es verschiedene Gruppen von Wiedertäufern; von den protestantischen Mehrheitskirchen spalteten sich diverse anabaptistische oder antitrinitarische „kleine Kirchen“ ab; die konfessionelle Landschaft war vielfältig und dynamisch, und die Brüder-Unität bemühte sich aktiv darum, ihre Identität als eine spezifische, erfolgreich überlebende „kleine Herde“ zu bewahren. Der umfangreiche Band basiert auf einem noch umfangreicheren Produkt dieser identitätsstiftenden Tätigkeit, den vierzehnbändigen Acta Unitatis Fratrum (im Folgenden nur Akta), einer Sammlung von Quellen zur Geschichte der Unität von ihren Anfängen bis zum Ende der 1580er Jahre, die die Brüder auf Veranlassung von Jan Blahoslav zusammenzubringen und zu ordnen begannen, und die als ein neuer Versuch entstanden, diese wertvollen Quellen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, diesmal in Form von Regesten.

 

Das Buch ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste ist den allgemeinen Strukturen der frühneuzeitlichen Geschichtsschreibung im mitteleuropäischen Raum gewidmet und enthält nur ein Kapitel, eine Einführung in das Thema und eine Quellenübersicht von Norbert Kersken. Dem Wissenschaftler zufolge wird die Entwicklung der Historiographie im Untersuchungszeitraum einerseits durch das wachsende Standesbewusstsein innerhalb der Gemeinschaften, andererseits durch die allmähliche Konfessionalisierung der Gesellschaft bestimmt. Zu den Brennpunkten der historiographischen und identitätsstiftenden Produktion werden somit die Kirche (als eine Konfession unter anderen) und die Stadt. Kersken betont insbesondere in seiner Polemik mit dem deutschen Usus, dass beide Prozesse spätmittelalterlicher Natur sind, mit Wurzeln, die weit vor 1500 zurückreichen, dem Datum, auf das die Epochenwende normalerweise gelegt wird.

 

Den zweiten Abschnitt, der der „Erinnerungskultur“ in der Brüder-Unität in der Zeit vor dem Weißen Berg gewidmet ist, eröffnet Jiří Just mit einem Text, der in seiner auf Detail fokkusierten Gründlichkeit dem von Kersken ähnelt, er stellt dem Leserpublikum Persönlichkeiten vor, die in den folgenden Kapiteln mehrfach wiederkehren werden, und dabei wird eine alte Geschichte über die Entwicklung nacherzählt, die sehr vielversprechend aussah, bis sie durch die Niederschlagung des Aufstandes der böhmischen Stände unterbrochen wurde – hier wurde also der Versuch der Brüder-Unität unterbrochen, eine offizielle, kirchlich anerkannte und allgemein akzeptierte Version ihrer eigenen Geschichte zu präsentieren und somit ihr Selbstverständnis der Welt vorzulegen. Ludger Udolph untersucht dann den konfessionellen Merkmalcharakter verschiedener frühneuzeitlicher Varianten des Tschechischen, und Astrid Winter folgt im nächsten Kapitel mit einer alternativen Interpretation der sprachlichen Landschaft der Akte und der Schriften von Jan Blahoslav. Jindřich Halama bietet dann eine genaue Lektüre der Dokumente der Brüdergemeine, indem er sich auf die Streitigkeiten über die Auslegung der Bibel und das entsprechende Verhältnis der Brüder-Unität zu weltlichen Angelegenheiten konzentriert, die an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert stattfanden, wie sie der vierte Band der Akte schildert. In einem weiteren hervorragenden Überblicksbeitrag befasst sich Eliška Baťová mit den Akten aus einer hymnologischen Perspektive. Veronika Sladká untersucht die Buchkultur der Brüder-Unität in einer diachronen Perspektive; sie zeigt auch, dass Bücher eine Rolle in der Brüdereinheit beim Aufbau ihrer eigenen Identität (interne Lehre der Mitglieder) und bei deren Verteidigung spielten. Das Konzept des materiellen Artefakts Buch als Kommunikationsmedium zwischen der Kirche und ihren adligen Beschützern, den Widmungsträgern des jeweiligen Bandes, greift Tomáš Knoz mit seiner Studie über die Rolle der historiographischen Schriften in der Bibliothek des paradigmatischen „Bruderadligen“ Karl des Älteren von Žerotín auf. Claudia Mai bringt dann, an den Überblick über das Schicksal der Akte in den Kapiteln von Jiří Just und Eliška Baťová anknüpfend, einen Beitrag, in dem sie sich auf die Neuzeit, insbesondere auf die Wiederentdeckung der Akte in Lissa in der zweiten Hälfte der 1830er Jahre und die Bemühungen um ihre vollständige Veröffentlichung konzentriert. Der Abschnitt schließt mit Andreas Fritschs Beitrag zur Geschichte der Brüder-Unität, die 1605 in Heidelberg aus dem Nachlass des produktiven lutherischen Humanisten Joachim Camerarius d. Ä. veröffentlicht wurde.

 

Der dritte Abschnitt ist programmatisch vergleichend und befasst sich mit der Geschichtsschreibung von Gruppen, die die alte Brüder-Unität umgaben und sich manchmal mit ihr überlappten. Maciej Ptaszynski konzentriert sich auf den Historiker Andrzej Węgierski, der aus den Reihen des polnischen Zweigs der Brüder-Unität hervorging und in seinem Werk Libri Quatuor Slavoniae Reformatae die Geschichte der Reformation in Polen in einer Weise skizzierte, die die Verbindung zwischen der Brüder-Unität und den polnischen Reformierten unterstützt. Mihály Balász stellt die Geschichtsschreibung der siebenbürgischen Antitrinitarier vor, und Gizella Keserüse nimmt die antitrinitarischen Gruppen in Ungarn und Polen unter die Lupe, wobei sie insbesondere die Arbeit mit dem Bild des Martyriums in deren identitätsstiftenden Schriften untersucht. Aus einer ähnlichen Perspektive befasst sich Martin Rothkegel mit der Geschichtsschreibung der mährischen Wiedertäufer und zeigt, dass es sich dabei um ein reicheres und komplexeres Phänomen handelt, als üblicherweise angenommen wird. Pavel Sládek schließt den Teil mit seinem Text über David Gansʼ Weltchronik Cemach David (Zweig Davids), die erstmals 1592 veröffentlicht wurde, und zeigt deren durchdachte Konzeption und Präsentation des historischen Materials.

 

Der vierte Abschnitt zeichnet den Weg von der Vertreibung der alten Brüder-Unität aus dem Königreich Böhmen bis zur Bildung der wiederhergestellten (Herrnhuter) Brüder-Unität und darüber hinaus. Tomáš Havelka widmet sich dem Werk von J. A. Comenius und der umfassenden, nie veröffentlichten Geschichte der Brüder-Unität von dem Polen Jan Łasicki (Lasitius). Marie Škarpová untersucht in ihrem Beitrag die Schrift Historie o těžkých protivenstvích [Geschichte von schweren Widrigkeiten], an deren Entstehung J. A. Komenský beteiligt war und deren endgültige Gestalt von ihm stammt, und behandelt den Text vor allem als Teil des martyrologischen Diskurses. Joachim Bahlcke untersucht dann die Funktion der Geschichtsschreibung im Werk von Daniel Ernst Jablonski, einem reformierten Hofprediger und zugleich Bischof der Brüder in Großpolen, der zum wichtigsten Bindeglied zwischen der alten und der neuen Brüder-Unität wurde. Siglind Ehinger hat sich auf den umfangreichen Text des Pietisten Georg Konrad Rieger über die „alten“ und „neuen“ Brüder konzentriert und deutet ihn als Beweis für den Versuch, Kontinuität und gemeinsame Elemente darzustellen, die Protestanten unterschiedlicher Provenienz innerhalb einer konfessionalisierten Kirchengeschichte verbinden. Der letzte Beitrag des Buches ist wieder ein Überblick und er ist sehr umfassend. Zdeněk R. Nešpor bespricht hier den Platz der Brüder-Unität in der modernen tschechischen Historiographie. Das Buch hat auch ein Personen- und Ortsregister – und auf jedes Kapitel folgt eine tschechisch- und englischsprachige Zusammenfassung.

 

Für die E*Forum-Leserschaft ist das Buch über das Thema der Identitätsbildung durch Texte, die an der Schnittstelle von Sprachen und Konfessionen entstanden sind, in seiner Gesamtheit unbestreitbar interessant. Meiner Meinung nach verdient das Kapitel von Astrid Winter, in dem die Autorin zeigt, dass die Konfessionalisierung nicht der einzige Schlüssel zum Verständnis eines Textes und seiner Sprache ist, selbst in angespannten Perioden der Kirchengeschichte, besondere Aufmerksamkeit. Spannend sind auch die Texte von Tomáš Havelka und Marie Škarpová. Havelka greift auf seine Untersuchung der Art und Häufigkeit von Bibelzitaten bei J. A. Comenius zurück, er kann so zeigen, dass die biblische Rahmung des Textes, der ursprünglich das achte Buch von Jan Łasickis Historiade origine et rebus gestis Fratrum Bohemicorum ausmachte, die Entwicklung eines stark admonitiven, parenetischen, irenischen Diskurses ermöglicht, der im Originaltext viel weniger präsent ist. Łasickis vergeblicher Versuch, die Historiade als ein Exemplum zu veröffentlichen, passt gut zu Befunden des Überblickskapitels von Jiří Just. Łasicki selbst starb 1605, und nicht nur Komenský, sondern auch andere Historiker der Brüder-Unität in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts profitierten sehr von dem Werk, das im Manuskript blieb. Das Manuskript verbrannte wahrscheinlich 1656 in Lissa, und außer dem achten Buch, das Komenský aufgriff, sind nur eine Zusammenfassung des Inhalts und verschiedene Auszüge erhalten geblieben. Die von Havelka verfolgten Strategien der Zuspitzung des appellativen Charakters des Textes werden dann von Marie Škarpová aufgegriffen, wenn sie die literarischen Martyrologien nicht nur als privilegiertes Feld für die Konstruktion konfessioneller Identität untersucht (die Rolle der Folterknechte haben in diesen Geschichten weder die Würdenträger des vorkonstantinischen Roms noch die exotischen Heiden inne, sondern andere Christen; den Mörder und das Opfer trennt lediglich der Unterschied im Bekenntnis), sondern mit dem Hinweis auf Augustinus von Hippo dezidiert hervorhebt, dass das Märtyrertum ein semantisches Phänomen sei, es der Deutung – und des ständigen Weiterschreibens – bedarf. Der Tod ist der Träger einer Information, manchmal sogar einer Botschaft. Škarpovás Kapitel kann daher auch als ein guter Ausgangspunkt für die Texte von Keserüs und Rothkegels dienen.

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka

 

 

Joachim Bahlcke / Jiří Just / Martin Rothkegel (Hgg.): Konfessionelle Geschichtsschreibung im Umfeld der Böhmischen Brüder (1500–1800). Traditionen – Akteure – Praktiken. Wiesbaden: Harrassowitz, 2022 (Jabloniana 2), 668 S.


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