Es schrieb: Robert Saudek
(E*forum, 3. 1. 2024)Robert Saudek (1880–1935) war schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Mann von vielen verschiedenen Interessen (zu seinen späteren graphologischen Neigungen vgl. E*Forum 9. Juni 2022), die sich keineswegs auf die Arbeit im Bereich der „kulturellen Produktion“ reduzieren lassen, insbesondere wenn man diesen Bereich als ein von rein geistig-intellektuellen oder rein ästhetischen Ambitionen beherrschtes Terrain versteht. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Szene, die Arne Novák 1935 in seine Erinnerungen an seine erste Begegnung mit R. Saudek in Berlin einflocht und die in der Zeit vom Herbst 1900 bis zum späten Frühjahr 1901 angesiedelt werden kann, als Novák in Berlin studierte: „Nach dem Mittagessen schloss er sich zu mir und Ladislav Hofman in einem Café namens Pod Lipami [Unter den Linden] an und verwickelte uns in ein lebhaftes und amüsantes Gespräch. Keiner von uns hätte geahnt, dass wir mit einem zukünftigen Schriftsteller sprechen. Er war von einer dringenden Sachlichkeit erfüllt und bemühte sich, uns von den Höhen der Philosophie und den blühenden Auen der Poesie in die Niederungen der Damenschneiderei hinabzuziehen, und es gelang ihm tatsächlich, uns nach einer Tasse schwarzen Kaffees vor die Schaufenster einiger modischer Betriebe zu zerren. Aber er war interessant und echt.“ (Ahasver, in: Lidové noviny, am 18. April 1935).
Als Saudek die vorliegende Skizze Die Poesie des Magens veröffentlichte (im Sommer 1910), hatte er bereits viele belletristische Leistungen hinter sich: erwähnenswert sind die auch als Buch veröffentlichten „Kinderseele“-Stücke (1903, Drei Bühnendichtungen der Kinderseele), die Tragödie Revoluce na gymnáziu (1904, Verschworene. Eine Gymnasiasten-Tragödie, ein Exemplar mit Widmung ist im Nachlass von T. G. Masaryk erhalten) oder die Romane Und über uns leuchtende Sterne und Dämon Berlin (beide 1907) und Der Mikado (1909). Gleichzeitig profilierte Saudek sich spätestens ab 1904 als enorm aktiver Kulturpublizist, er schickte seine Texte (literatur- oder theaterkritische Berichte, Skizzen, Feuilletons, Reportagen, Essays) erfolgreich an die Redaktionen einer Reihe von europäischen deutschsprachigen Zeitungen (darunter z. B. Rigasche Rundschau oder Pester Lloyd) und Zeitschriften. Einige von diesen Texten wurden auch auf Tschechisch veröffentlicht – vor allem in Čas, und am 10. September 1907 berichtete er in Lidové noviny über das Thema „Wissenschaftliche Traumdeutung“. Eine wichtige, immer wieder thematisierte Anregung für Saudek war Mauthners Sprachkritik, in dieser und anderen Beleuchtungen wandte sich Saudek verschiedenen Formen des Verhältnisses von sprachlichen und körperlichen Äußerungen zu dem zu, was als ‚Charakter‘, ‚psychische Konstitution‘ bezeichnet werden kann.
Den Text Die Poesie des Magens, den wir hier sowohl im deutschen Original als auch in der Übersetzung ins Tschechische bringen, wiedergeben wir in der Fassung, die dem Abdruck im Berliner Tageblatt vom 28. August 1910 entspricht (die Textvariante mit dem gleichen Titel, die Saudek wenige Tage, am 4. September im Prager Tagblatt abdrucken ließ, wurde an einigen Stellen gekürzt oder bearbeitet (es fehlt der dritte Absatz, beginnend mit „In der ersten…“; der fünfte Absatz endet hier mit der Passage „im Geiste noch einmal nachgenießen“, und wird erst mit dem siebten Absatz „Es müßte in der Tat…“ fortgesetzt; der zehnte bis zwölfte Absatz wurden zu einem einzigen Absatz zusammengefasst, und die letzten beiden Absätze wurden in der Prager Fassung auch zusammengelegt). Saudeks Text demonstriert auf treffende Weise die Fähigkeit des Autors, sich zwischen diversen Diskursen und Sphären der menschlichen Welt zu bewegen: Eine kulturkritische Sensibilität für bestimmte Gastro-Zeichen der urbanen Realität spricht auch von der Sensibilität des Lesers.
mt
Die Poesie des Magens
Wenn ein Deutscher aus dem Reich die Reisebekanntschaft eines Österreichers macht, so kommen die Herrschaften mit Naturnotwendigkeit zu dem alten Thema: Berlin–Wien. So dumm beide auch sein mögen, das eine erkennen sie bald, daß weder über die Schönheiten der Ringstraße noch über die Marmorpuppen des Tiergartens etwas Neues gesagt werden kann. Nur über die Verschiedenheit des Essens in beiden Ländern weiß ein jeder Bände zu erzählen. In Berlin wird ein Wiener Schnitzel mit Sauce bereitet, man hat keine Ahnung wie ein gutes Beinfleisch aussehen muß, statt Mehlspeisen gibt es Wonnekleister und wenn man gar den Fehler begeht, über Berlin hinaus bis an die pommersche Ostseeküste zu fahren, so sieht man erst recht, wie grundverschieden die beiden Kulturen, die reichsdeutsche und die österreichische, sind. Eine Wiener Küche gibt’s halt nur in Wien und einen ledernen Kalbsbraten nur in Reichsdeutschland.
Würde es einer unternehmen, eine Statistik darüber zu führen, wie häufig verschiedene Gesprächsstoffe im Wortverkehr der Menschen wiederkehren, so müßte er zu dem Ergebnis kommen, daß über nichts, auch nicht über die Liebe, über die Kleider und über die Kollegen so viel in der Welt gesprochen wird, wie über das liebe Essen. Es gibt Menschen, die der Stunde ihrer Mahlzeiten tagsüber Altäre bauen, und diese Menschen sind meiner gefühlsmäßigen Schätzung nach in der Majorität; in Deutschland in der Dreifünftel-, in Österreich in der Vierfünftelmajorität.
In den ersten drei Jahrzehnten des Lebensalters mögen Eitelkeit und Liebe als Triebfeder des Interesses den Rekord schlagen; darüber hinaus steigert sich die Vorliebe für das Essen zu einer Leidenschaft, die zum mindesten quantitativ alles andere unterjocht. Selbst wohlerzogene und leidlich taktvolle Menschen unterbrechen ungeduldig jedes Gespräch, wenn sie vor das gewichtige Problem gestellt werden, im Restaurant mit der Speisenkarte in der Hand eine Entscheidung zu treffen.
Ich weiß, daß eine Statistik über Gesprächsthemen praktisch undurchführbar ist, aber ich möchte immerhin die Anregung zu einer anderen ziffernmäßigen Feststellung geben, die jenen Toren, die immer wieder dem Geheimnisse des Erfolges nachgrübeln, vielleicht etwas Neues sagen würde. Man stelle die erfolgreichsten Romane einer bestimmten Epoche zusammen und untersuche, welcher Raum in ihnen der Schilderung des Essens gegönnt wird. Man trenne die Schilderung jener Mahlzeiten, die ungemütlich verlaufen, durch katastrophale Ereignisse unterbrochen oder durch ernsthafte und nicht bloß tändelnde Gespräche unbehaglich gemacht werden, von jenen, bei deren Lektüre sich die Gourmands und Gourmets unter den Lesern in gleicher Weise wohlfühlen können, und man wird vor dem überraschenden Ergebnis stehen, daß fast alle erfolgreichen Romane eine Einladung an die Wiederkäuer enthalten.
Unter einem „Wiederkäuer“ verstehe ich einen Leser (oder Zuhörer), in dessen Innern so viel Liebe für das Thema „Essen“ mit all seinen Variationen in stets wacher Bereitschaft ruht, daß er nur eine halbwegs gute Schilderung einer Mahlzeit zu lesen braucht, um sich sofort selbst vor dem gedeckten Tisch zu sehen und zu fühlen und alle Freuden einst gehabter Mahlzeiten im Geiste noch einmal nachzugenießen, den Essensakt noch einmal mitzuerleben. Jahre und Jahrzehnte können zwischen effektivem Kauen und literarischemWiederkauen vergangen sein, Ansichten, Charaktere, Neigungen mögen sich verändert haben, nichts braucht von einem früheren Menschen geblieben zu sein, der Esser von damals ist unverändert geblieben, der war ureigenster Natur, an dem konnte weder Erziehung, Milieu, noch Glück und Unglück, Reichtum oder Armut etwas ändern.
Wer diese Charakteristik des „Wiederkäuers“ für übertrieben oder für „feuilletonistisch gefärbt“ hält, braucht sich nur zu entsinnen, wie er selbst oder wie seine Bekannten Essensszenen in diesem oder jenem berühmt gewordenen Roman gelesen haben, um zu erkennen, wie sehr diese Tatsachen zutreffen und um zu sehen, ob er selbst zu den Käuern oder zu den Wiederkäuern zählt.
Es müßte in der Tat mit unrechten Dingen zugehen, wenn Erzählungen Massenerfolge erzielen könnten, ohne den Magen ihrer Leser zu befriedigen. Leserinnen wollen sich von Toilettensorgen, Leser von ernsten Geschäften bei der Romanlektüre erholen. Schwere Probleme taugen nichts für friedliche Mußestunden, und unter den guten Büchern des Jahres wird man mit besonderer Vorliebe jene wählen, die angenehme Dinge schildern, die „lebensfreudig“, oder wie der „Gebildete“ sagt, „optimistisch“ gefärbt sind. Hat man seinen Magen als Feinschmecker mit Andacht gefüllt, kann man beim besten Willen in dieser Richtung nichts mehr leisten, dann setzt man, von einem Dichter geleitet, die liebe Tätigkeit im Geiste fort. Denn man ist gebildet und hat Phantasie.
Jettchen Gebert, Georg Herrmanns entzückend geschriebenes Kulturbild, erlangte seinen Erfolg beim Publikum nicht um seinen künstlerischen Qualitäten willen, sondern weil in keinem Buche der letzten Jahre so viel und so behaglich gegessen wurde. Die lieben Leser, deren Vorfahren so gegessen haben, wie man bei Salomon Geberts aß, erinnerten sich mit Tränen in den Augen ihrer Jugendzeit. – Ja, ja, so war es, damals gab es noch keine Speisekammern in hochherrschaftlich eingerichteten Wohnungen, damals holte man die eingemachten Früchte aus den Steinkrügen, die unter dem Sofa verborgen waren, damals wußte man einen Hecht noch zu bereiten und zu schätzen! An allen Stationen, vom Einkauf des Fisches bis zu einer Verdauung, konnte ein jeder Hechtverehrer geistig wiederkäuen, wenn er als Leser unsichtbar bei Geberts dabeisaß. Das liebreizende Jettchen kaufte den Fisch, Onkel Eli schätzte ihn schon unterwegs auf seinen Preis, man saß ungeduldig mit vorgebundener Serviette am Tisch, stocherte mit der Gabel herum und blickte erwartungsvoll zur Türe. Und dann kam er. Bei Tisch berauschte man sich am Duft der Gerüche, alle Festteilnehmer gaben ihre Ansicht über sein Gewicht zum besten, die Eierkuchen, die jüngst „galstrig“ waren, gediehen diesmal vortrefflich, als Zutat gab es nicht etwa Mohrrüben, sondern gezuckerte Erdbeeren, Schwarznüsse und säuerliche Quitten, aller Augen hingen an der Hand desjenigen, der den Braten tranchierte, die Markklößchen in der Suppe waren würzig und der Kirschenkuchen, den es zum Nachtisch gab, delikat. Und den Menschen, die dies alles lasen, lief beim geistigen Wiederkauen der Mahlzeiten von Anno dazumal das Wasser im Munde zusammen. „Das müssen Sie lesen.“ Und das mußte man in der Tat lesen und las es und brachte ein liebenswürdigfreundliches, herzinnig anmutendes Buch zum Erfolge, nicht weil eine wundervoll naive Zeit darin auferstand, sondern weil die Essensgewohnheiten und Menüs jener Zeit mit darin Platz fanden.
Wie man heutzutage bei Kommerzienrats am Kurfürstendamm speist, wie Grafen und Barone essen, wie ein Jagdfrühstück aussieht, das wußte man vom Freiherrn v. Ompteda, Rudolf Stratz und Heinz Tovote schon lange, wie bei Salomon Gebert gegesen wurde, das konnte kein anderer als Georg berichten… Die Berliner Wiederkäuer hatten ihren Dichter gefunden, und es war ein sonderbarer Zufall, daß ihr Dichter auch unser Dichter war, daß er künstlerisch empfand und in echten Tönen hervorzauberte, die uns lieb wurden und blieben.
Aber wie? Sollte Berlin Wien damit den Rang ablaufen! Sollte das Berlin, in dem Kalbsbraten bekanntlich ledern schmeckt, den Dichter gefunden haben, den Wien, die Stadt der besten Küche, entbehrte? Zeppelin, ja, den gönnten sie den Reichsdeutschen, für den Zeppelintummel konnten sie mit dieser und jener anderen „Hetz“ aufwarten, aber den Verherrlicher der Wiener Küche, den mußten sie haben.
Der liebe Gott, der bekanntlich Zeitbedürfnisse schafft, sorgt auch für deren Befriedigung. Die Zeit verlangte nach einem Verherrlicher der Wiener Küche und der Verherrlicher kam. Er heißt Bartsch und schrieb den Roman Die Haindlkinder.
„Jeder Gebildete“ weiß, daß die Geberts auffallend viel aßen und auffallend wenig tranken. Diese Erscheinung ist nicht für Berlin typisch, sondern nur für einen ganz bestimmten Teil seiner Bevölkerung. Der alte Herr Haindl in Wien, seine Familie und seine Freunde hielten es anders. Sie schworen zwar auf ihr Wiener Backhähndl so hoch und heilig wie die Geberts auf ihren Hecht, aber Haindl mußte seinen Heurigen dazu trinken. Wer je an der Donau war und die Aufschriften in den Restaurants gelesen hat, wird das begreiflich finden. Der Heurige ist etwas, worum man eine Pilgerfahrt unternehmen kann und als Wiener auch unternimmt. Zum rechten Genuß kommt man aber nur an bestimmten Stellen in der ferneren Umgebung Wiens. Draußen herrscht der beste Durst, weil man erst nach tüchtiger Fußwanderung mit ausgetrockneter Kehle hingelangt, draußen erst, am Backhähndl, kann man erkennen, was alte Kultur vermag. Da bröckelt die Panierung nicht vom Fleisch ab, da verwendet man keine alten Hühner, da nimmt der Gast sein gebratenes Stück in die Hand und kann das Mark aus den Hühnerknochen saugen, daß die Zunge vor Wonne schnalzt. Ein Reichsdeutscher versteht nicht zu essen, der nimmt Messer und Gabel dazu und tranchiert so ein Hähndl, als ob es ein Schweinsrücken wäre.
Die Schilderung einer Tafelrunde bei der Mahlzeit ist und bleibt das Ideal eines Romanlesers und… Romandichters. Nur wenige vermögen gleich Herrmann und Bartsch ein Essen zu einem Kunstwerk zu wandeln. Den Kleinen im Reiche der Kunst ist es als technisches Hilfsmittel überhaupt nicht zu übertreffen. Zehn Charaktere zugleich zu exponieren und den Leser lebendig vor die Augen zu führen, ist keine leichte Arbeit. Man kann sie aber spielend bewältigen, wenn man die zehn Personen an einen gemeinsamen Eßtisch setzt.
Sage mir, wie du ißt, wie du die Gabel führst, welche Hemmungen du dir aus Rücksicht auf deinen Nachbarn beim Essen auferlegst, wie laut oder wie leise du mit vollem Munde sprichst und ich will dir sagen…
Halt! Hier liegt der Trick. Der Dichter könnte sehr wohl ergänzen… „wer du bist“, aber er tut es nicht, er überläßt diese Arbeit dem lieben Leser. Und der Leser ergreift die ihm zugedachte Aufgabe, gibt die Antwort und löst die schwierigsten psychologischen Probleme. Liest er von einem Manne, der einer Tischnachbarin Sauce in den Schoß gießt, so weiß er, daß der Mann plump und ungebildet ist, denn der Leser selbst ist wohlerzogen und tut so etwas nie. Er spottet über den ungebildeten Tischgenossen, so wie er im Metropoltheater über Guido Thielscher lacht, dessen Tischnachbarin der Kellner Remouladensauce in den Ausschnitt goß und bei der sich der Komiker naiv erkundigt, ob er auch seine Spargelköpfe in den Ausschnitt tauchen darf. Der Leser weiß, daß man nicht mit vollem Munde schreien, sondern während des Kauens nur leise sprechen darf und auch das nur dann, wenn außer einem nur vier, nicht aber zwölf Personen gleichzeitig sprechen. – Autoren, die die Technik des Theaters und Romans nicht beherrschen, haben oft ihre liebe Mühe, das gleichzeitige Auftreten von zehn verschiedenen Personen auf der Bühne oder in einer Romanszene organisch zu begründen. Man kann die Leute schließlich nicht so kommen lassen wie im Berliner Thaliatheater, wenn man sie zur Tanzapotheose des Aktschlusses braucht und die Geliebte, die eben noch geschworen hatte, daß sie ihren Verehrer niewiedersehen will, plötzlich kankantanzend Arm in Arm mit ihm vor der Rampe erscheint. Ein Festessen bietet die beste Gelegenheit, solche technische Schwierigkeiten zu überwinden. Man nimmt sein Personenverzeichnis zur Hand, ladet alle im Roman noch zu exponierenden Personen zu einem gemeinsamen Essen, läßt sie Platz nehmen, setzt ihnen ein Gericht vor, bei dessen Genuß sich die geistige Kultur des einzelnen am besten ausprägen muß, läßt den einen gierig schlingen, den andern von ihnen abwarten, den dritten schreien, den vierten schweigen und hat zehn Porträts in einem einzigen Kapitel gegeben.
Die beliebten Autoren vielgelesener Unterhaltungsromane verschmähen das Essen als technisches Hilfsmittel fast ausnahmslos und können es um so eher entbehren, als sie die Technik der Erzählungskunst spielend beherrschen. Sie wissen auch, daß das Volk nicht gern mit seinesgleichen sympathisiert und zeigen ihm deshalb zumeist den hohen Adel an der Tafel. Da fallen dann die Manieren des einen gegen die des anderen nicht auf, und das Interesse des Lesers kann um so eher auf die Einzelheiten des Menüs konzentriert werden. Frauen verwenden das Essen mitunter sogar zum tragischen Motiv. Frau Wohlbrück läßt im Goldenen Bett eine arme, abgehärmte Lehrerin dem elendesten aller Abendbrote entgegengehen, während ihr berühmter Dichterbruder zur selben Stunde an einer reichgeschmückten Tafel Platz nimmt und die erlesensten Gerichte genießen darf, Gerichte, die so vornehm sind, daß sie sich nur französisch ausdrücken lassen.
Und trotzdem hat es in jüngster Zeit ein durchaus fesselnder Roman, Der steinerne Zeuge von Julius Philipp-Heergesell, der eine überaus humorvolle, famos geschriebene Essensszene enthält, zu keinem Erfolge gebracht. Das sieht fast wie ein Gegenbeweis aus; wäre vielleicht sogar einer, wenn Heergesell die Gemütlichkeit des guten Essens nicht durch die ernsthaften und tiefer ungelegten Gespräche eines Mannes unterbrochen hätte, dessen blutig ernste Probleme und Fragen die Behaglichkeit der Wiederkäuer stören mußten.