Es schreibt: Kristina Kaiserová

(12. 4. 2023)

Die Juristin und Historikerin Jana Osterkamp setzt sich in ihrem umfassenden Buch Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918) mit der Frage der Föderalisierung der Habsburgermonarchie auf komplexe Art und Weise auseinander. Es handelt sich um ein bislang wenig akzentuiertes Problem. Osterkamp hält die Habsburgermonarchie für einen der innovativsten Schmelztiegel föderalistischer Ideen. Der Föderalismus musste sich gegen den National- und Einheitsstaat behaupten, er versuchte, Unterschiede zu integrieren, die Vielfalt und zugleich Gleichberechtigung zwischen Regionen, Kulturen, Gemeinschaften und Individuen zu organisieren.

 

Die Einleitung mit dem Titel Habsburgisches Europa bildet einerseits eine terminologische Synthese für die einzelnen Kapitel, sie ist jedoch auch eine methodische Analyse der Begriffe Staat, Reich und natürlich Föderation. Jana Osterkamp beginnt und beendet ihr Buch mit dem bereits zu seiner Zeit veralteten und auch vagen Manifest Karls I. vom 16. Oktober 1918. Wenn man aber die föderalistischen Pläne in den Nachfolgestaaten nach dem Zusammenbruch der Monarchie betrachtet, blieben diese zwar innerhalb des politischen Diskurses konstitutiv, die Umsetzungsversuche, sofern man sich um die Realisierung überhaupt bemüht hatte, waren jedoch aus vielerlei Gründen sehr kompliziert und sind meistens gescheitert. Mit diesem Thema befasste sich Jana Osterkamp auch in ihrem Beitrag, der den XII. Band der von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Buchreihe Ein Reich ohne Eigenschaften? Das Erbe föderaler Ideen in den „Nachfolgestaaten“ der Habsburgermonarchie abschloss. Rückblickend konnten sich allerdings die Föderalisierungsbestrebungen in einigen Bereichen der Monarchie durchsetzen.

 

Nach den theresianisch-josephinischen Reformen, die den modernen Staat begründeten, kam es im Vormärz zu einer Konsolidierung und Effizienzsteigerung des Staates. Dieser Prozess ist mit Fürst Metternich verbunden, und obwohl seine Methoden nicht immer ganz geheuer waren, blieb die Staatsmacht bis 1848 stabil. Noch vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege scheiterte der letzte Versuch, im Rahmen der gesamten Gesellschaft der Monarchie, einen „österreichischen Staatsbürger“ zu bilden, sofern dies überhaupt möglich war. In diesem Teil des Buches geht die Autorin auch eingehend auf die Besonderheiten der einzelnen Länder der Habsburgermonarchie ein.

 

Das Jahr 1848/1849 sieht die Autorin als einen nächsten Katalysator für die Föderalisierungsbestrebungen. Vor allem die Verfassungsversuche von 1849 und 1860/61 versteht Jana Osterkamp als Versuch einer Umstrukturierung der historischen Kronländer im Sinne des Föderalismus. Hier sollten auch die Hauptträger der Idee des tschechischen Föderalismus, František Palacký und František Ladislav Rieger, in Zusammenhang mit dem Konzept der Föderalisierung des Kaisertums Österreich erwähnt werden. Ein besonderes Kapitel stellt eine wenig bekannte Abhandlung über die galizischen Petitionsstürme von 1848/1849 dar, die die Aufteilung der Länder der Krone in einen ruthenischen Osten und polnischen Westen betrafen. Die Autorin misst den Petitionen in diesem Zusammenhang generell eine große Bedeutung bei.

 

Das Zentrum der Studie bilden die Jahre von 1867 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, in denen sich die Lage rasant veränderte. Die neu gegründete Konföderation entwickelte sich in beiden Teilen der Monarchie recht unterschiedlich, was auch daran lag, dass in Cisleithanien mehrere „selbstständige“ Einheiten miteinander kooperieren mussten, während in Transleithanien eigentlich Ungarn dominierte. Das föderale Prinzip war in Cisleithanien daher viel stärker ausgeprägt, obwohl es zunehmend mit den nationalen Interessen einzelner Länder sowie innerhalb dieser kollidierte – vgl. die Situation in den böhmischen Ländern. Die tschechische Frage in der Form des Trialismus versteht die Autorin jedoch nur als eine von vielen Fragen, mit denen die Habsburgermonarchie in dieser Hinsicht zu kämpfen hatte, obwohl die tschechischen Angelegenheiten bestimmt zu den wichtigsten gehörten. Das Thema Föderalisierung fand im nationalistischen und später im sozialistischen politischen Umfeld am stärksten Anklang, es war allerdings weder Liberalen noch Konservativen fremd. Die Autorin unterwandert die verbreitete Vorstellung vom Scheitern der Föderalisierung, sie zeigt überzeugend, dass sich auf mehreren Verwaltungsebenen der siebzehn Länder der Monarchie, die in Cisleithanien und Transleithanien unterteilt wurden, doch ein als föderativ zu charakterisierendes System entwickelt hat.

 

Es kam jedoch zu Auseinandersetzungen in einigen (z. B. finanziellen, religiösen u. a.) Bereichen, deren Folgen vor allem im Wiener Reichsrat deutlich wurden. Das Buch endet mit Kapiteln zu den Reformkonzepten von Erzherzog Franz Ferdinand und seinem Kreis in den letzten friedlichen Jahren und Monaten. Die insgesamt überdurchschnittlich präzise Quellenarbeit der Autorin beweist u. a. die Tatsache, dass es ihr gelang, das als verschollen geltende Reformprogramm des Erzherzogs von 1914 zu finden. Spannend ist hierbei natürlich der Vergleich dieses Konzepts mit den Gedanken von Kaiser Karl I. am Ende des Krieges. Man findet hier eine Reihe von Analogien, zum Beispiel bei der Konstituierung neuer Gebilde, ein Beispiel kann die Lösung des kroatisch-slawonischen Raums sein, die jedoch bereits die gleiche Richtung wie in den böhmischen Ländern eingeschlagen hatte – nämlich die Gründung eines unabhängigen Staates. Während Franz Ferdinand noch in relativer Ruhe über Reformen nachdenken durfte, war Karl I. nicht mehr fähig, die Monarchie auf diese Weise zu retten.

 

Falls sich die interessierten Leser von dem – sagen wir einmal – gelungenen „Werbe“-Interview der Autorin inspirieren ließen, das in der Zeitung Lidové noviny (Co má Evropská unie společného s monarchií? EU by si z ní měla vzít příklad, říká německá historička. Rozhovor s německou historičkou Janou Osterkamp o paralelách mezi EU a Rakouskem-Uherskem, vztahu Františka Josefa I. k Čechům nebo historicky problematické Ukrajině. [Was hat die EU gemeinsam mit der Monarchie? EU sollte sich an ihr ein Beispiel nehmen, sagt die deutsche Historikerin. Gespräch mit der deutschen Historikerin Jana Osterkamp über die Parallelen zwischen der EU und Österreich-Ungarn, das Verhältnis Franz Josephs I. zu Tschechen oder die historisch problematische Ukraine.] Literární noviny – Orientace, 18. 10. 2022) im Anlass der tschechischen Ausgabe der Publikation im Argo-Verlag 2022 unter dem Titel Řád v rozmanitosti: Dějiny federalismu v habsburské monarchii od doby předbřeznové do roku 1918 erschien, das ganze Buch zu lesen, wurden sie sicherlich nicht enttäuscht. Auch in diesem Gespräch erschien die Antwort auf die Frage, ob „es vorteilhafter sei, heute genauso früher – ein Teil eines größeren Ganzen zu sein“. Dies ist einer der zentralen Gedanken des Buches von Jana Osterkamp: „Ich denke schon. Es war immer besser, Teil eines größeren Ganzen zu sein, nicht nur um sich vor imperialem Militarismus zu schützen, sondern auch, weil es im habsburgischen Föderalismus solidarische Strukturen gab (ebenso wie es sie im zeitgenössischen europäischen Föderalismus gibt). Wien war beispielsweise daran interessiert, in peripheren Gebieten wie Galizien oder Bukowina zu investieren. Das funktioniert auch in der heutigen EU: Man gibt kleineren Nationen die Möglichkeit, sich mit Hilfe des Geldes anderer zu entwickeln, wenn die eigenen Ressourcen nicht ausreichen.“

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka

 

 

Jana Osterkamp: Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; Bd. 141), 53s S.


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