Es schreibt: Lenka Vodrážková
(E*forum, 8. 12. 2022)Luthers Deutsch und seine Bedeutung im mittel- und osteuropäischen Kontext
Die Persönlichkeit und das Werk von Martin Luther beeinflussten in unterschiedlichem Ausmaß sehr viele Bereiche, deren Vertreter sich diesem Reformator dann z. B. aus einer historischen, religiösen, kulturellen, literarischen oder sprachgeschichtlichen Perspektive widmen. Als eine Persönlichkeit von außerordentlicher Bedeutung weckte Martin Luther in wissenschaftlichen sowie kulturellen Kreisen immer wieder Interesse, insbesondere anlässlich diverser Jubiläen, die mit seinem Leben oder Werk verbunden sind. Ein Beispiel ist etwa das 500-jährige Jubiläum der Veröffentlichung seiner 95 Thesen in Wittenberg. Dieses Jubiläum wurde 2017 u. a. zum Anlass für die Veranstaltung mehrerer Tagungen und Workshops sowie für die Veröffentlichung mehrerer Monographien und Sammelbände, die Luthers Tätigkeit aus vielen möglichen Perspektiven thematisierten, dies geschah nicht nur in den deutschsprachigen Ländern, angesichts der Reichweite seines Einflusses war es auch in anderen (nicht nur) europäischen Ländern der Fall, z. B. in Tschechien, Dänemark, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, in der Slowakei, in den Niederlanden oder auch in den USA. Zur Erforschung von Luthers Werk und Bedeutung aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts trugen neue Studien über Luthers Leben und Werk (z. B. Giovanni Puglisi, Jørn Henrik Petersen, Daniel Olivier, José Luis Alonso, Alberto Melloni, Róbert Lapko, Christoph Levin, Bohdan Hroboň, Albrecht Beutel und Heinz Schilling), über Luthers Theologie und Philosophie (z. B. Edite Martins Alberto und Ana Paula Avelar) und über Luthers Rolle im Kontext der Reformationsbewegung und deren Entwicklung seit dem 14. Jahrhundert bei (z. B. Peter Marshall, Vincent Evener, Thomas Kaufmann, Miguel Anxo Pena González, Andreas Rehberg, Walter Rügert, Joaquín Ferrer und Sidonia Horňanová). In diesem Zusammenhang sollte auch der Reprint der Berliner Ausgabe der Biographie von Martin Luther in der Form von siebzehn Predigten erwähnt werden (Dr. Martin Luthers Leben: in siebenzehn Predigten dargestellt / von Johann Matthesius [2017]), die von dem deutschen, im nordwestlichen Böhmen wirkenden Humanisten Johannes Mathesius (1504–1565) verfasst wurde. Dieser deutsche Lutheraner studierte zwischen 1540–1542 Theologie in Wittenberg und gehörte zu den engen Freunden von Martin Luther. Nach dem Studium wirkte er als Prediger und 1545 wurde er Pfarrer in Sankt Joachimsthal. Die Sammlung von Predigten Historien von ... M. Luthers Anfang, Lehr, Leben und Sterben von 1566 ist die erste, wenn auch teilweise glorifizierende Biographie des deutschen Reformators. Als Teilnehmer an den Debatten innerhalb des Lutherkreises beteiligte Johannes Mathesius sich ferner am Sammelband Colloquia oder Tischreden D. Martin Luthers, so er in vielen Jaren, gegen gelarten Leuten, auch frembden Gesten, und seinen Tischgesellen geführet ... (1566).
Im Kontext der Entwicklung der deutschen Sprache nahm die Frage des Umfangs von Luthers unbestreitbarem Beitrag zum Deutschen den vorderen Platz in den Diskussionen und Abhandlungen ein. Ein spannendes Moment war das Forschungsprojekt deutscher Germanisten zum Thema des Einflusses von Luthers Schriften auf die Sprachen Mittel- und Osteuropas (Die Ausstrahlung der Schriften Luthers auf die Sprachen Mittel- und Osteuropas), das 2016–2019 an der Universität in Halle-Wittenberg realisiert wurde und „[…] das nach Spuren von Luthers Deutsch in den Sprachräumen Mittel- und Osteuropa sucht“ (S. 6), d. h. man konzentrierte sich hier auf die Fragen, ob und wie, bzw. in welchem Ausmaß Luthers Deutsch in Übersetzungen etwa den Wortschatz, die Wortbildung, Idiomatik und syntaktische Konstruktionen der mittel- und osteuropäischen Sprachen beeinflusst hätte. Im Gegensatz zu den nordischen sowie westgermanischen Sprachen (hier wurde das Thema in den letzten Jahrzehnten bereits gründlich erforscht, etwa von Cebus Cornelis de Bruin in Bezug auf das Niederländische, von Arne Dembek in Zusammenhang mit dem Englischen, von Bertil Molde mit dem Dänischen und von Birgit Stolt mit dem Schwedischen), blieb dies für die Region Mittel- und Osteuropas bis unlängst ein Desiderat. Die Hauptprojektleiter waren führende Kenner der Geschichte der deutschen Sprache, Helmut Glück und Hans-Joachim Solms. Für dieses Projekt, das sich auf die Zeit der Reformation und deren Auswirkungen auf die Sprache (ein zeitloses Thema) konzentriert, gewannen sie Forscher aus Deutschland, um den Einfluss Martin Luthers durch seine Schriften auf die Sprache und das Schrifttum im deutschsprachigen Raum unter die Lupe zu nehmen, jedoch ferner auch Forscher aus Mittel- und Osteuropa, damit sie anhand von den Übersetzungen von Luthers Werken dessen Einfluss auf die einzelnen mittel- und osteuropäischen Sprachen beschreiben. Die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentierten dann die Mitglieder des Teams im Rahmen der Tagung, die als eines der Outputs des Projekts im März 2018 in der Landesbibliothek Coburg veranstaltet wurde. Die Stadt Coburg wurde nicht nur deshalb gewählt, da es im Zentrum der lutherischen Region liegt und daher eng mit der Wirkung Luthers verbunden ist, sondern auch deswegen, weil „Coburg […] nicht irgendein Ort der Reformation, sondern ein kirchenhistorisch sogar ganz bedeutender Ort [ist]“ (S. XI).
Der mit Abstand von drei Jahren 2021 herausgegebene Sammelband Luthers Deutsch in Mittel- und Osteuropa liefert einen Blick auf Luther und seine Bedeutung für die Kultur und das Schrifttum der einzelnen mittel- und osteuropäischen Länder und versucht es, die übergreifende Auswirkung von Luthers Werk und seine Rolle im gesamteuropäischen Kontext zu erfassen. In der einleitenden Studie fasst Helmut Glück alle Impulse zusammen, die dieses Projekt veranlasst haben, dies war nicht nur die Aktualität von Luthers Werk, sondern auch die Bedeutung seines Übersetzungswerks und der Einfluss der Reformation auf die Sprache. Den inhaltlichen Kern des Sammelbands bildet ein Mosaik aus Beiträgen, die man in folgende Themenbereiche gliedern kann: 1) der Einfluss des Deutschen in Luthers Werken auf andere Sprachen im Bereich des Wortschatzes, der Schreibweise oder Phraseologie, 2) der Einfluss von Luthers Deutsch mittels Übersetzungen seiner Schriften auf die schriftliche Produktion der Reformationszeit in mittel- und osteuropäischen Ländern und 3) der Einfluss von Luthers Werken und die Reflexion der Sprache seiner Übersetzungen in Deutschland. Was die mittel- und osteuropäischen Sprachen und deren Beziehung zu Luthers Deutsch angeht, die aufgrund von Übersetzung von Luthers Schriften erforscht werden, sind hier westslawische Sprachen (Tschechisch, Sorbisch, Polnisch), südslawische Sprachen (Slowenisch), ostslawische Sprachen (Russisch), baltisch-slawische Sprachen (Litauisch, Lettisch sowie Altpreußisch aus der Region des südöstlichen Baltikums) und finnougrische Sprachen (etwa Estnisch oder Ungarisch) vertreten. In einigen Beiträgen wurde noch wenigstens das Bulgarische am Rande erwähnt, für welches die Reformation auch von Bedeutung war, unbearbeitet blieben trotz Bemühungen der Leiter des Forschungsprojekts das Rumänische und Griechische.
Der Beitrag von Helmut Glück (Luther und die Sprachen Mittel- und Osteuropas. Ein Werkstattbericht) berichtet über die Ziele, Konzeption, den Verlauf sowie die Ergebnisse des Forschungsprojekts über Martin Luther und die Sprachen Mittel- und Osteuropas, an dem sich eine internationale Forschungsgruppe aus Philologen und Historikern beteiligte. Die Forschung konzentrierte sich auf folgende Teilthemen: a) Luther als Übersetzer und Übersetzungstheoretiker, b) Rezeption von Luthers Schriften in Mittel- und Osteuropa in Hinblick auf die politischen sowie soziokulturellen Bedingungen und c) die Korpusanalyse ausgewählter Texte Luthers und deren Übersetzungen auf komparativer Basis; diese Vorgehensweise machte es möglich, Übereinstimmungen, Unterschiede sowie das Ausmaß des Einflusses von Luthers Texten auf die fokussierten mittel- und osteuropäischen Sprachen zu erforschen.
Den ersten, dem Wortschatz gewidmeten Themenkreis eröffnet Kristiina Ross mit ihrem Beitrag, in dem sie sich mit dem Einfluss der Übersetzung der Lutherbibel auf die Entlehnungen im Estnischen befasst (Die Wirkung der Lutherbibel auf die estnische Sprache. Schriftliche und mündliche Entlehnungen). Pēteris Vanags thematisiert Luthers Kleinen Katechismus als eine der Quellen des lettischen Enchiridions von 1586 (Martin Luthers ,Kleiner Katechismusʻ und andere Quellen des lettischen Enchiridions (1586)). Den Einfluss Luthers auf das Litauische verfolgt Anna Helene Feulner am Beispiel des Registers der Glaubensverkündung (Luther und die Register der altlitauischen Glaubensverkündung). Auf die Problematik der Schreibweise alttestamentarischer Namen konzentrierte sich Felix Thies, die er aufgrund des Vergleichs der Übersetzungen von Luthers Schriften in die baltisch-slawischen und westslawischen Sprachen erforscht (Der Einfluss Luthers auf die Schreibung alttestamentlicher Namen im Baltischen und (West-)Slawischen). Mit der Phraseologie in der Lutherbibel und mit deren Einfluss auf das Russische beschäftigte sich Helmut Keipert (Luther-Wortlaut in der biblischen Phraseologie des heutigen Russischen?). Eine komplexe Betrachtung des Einflusses von Luthers Deutsch auf die erforschten Sprachen bringt vielfältige Ergebnisse. Während das Estnische auch trotz der ursprünglich wortwörtlichen Übersetzung lutherischer Pastoren in den Entlehnungen lediglich ein kleines Maß von Beeinflussung vonseiten der Sprache Luthers aufweist und das Litauische sich ebenso grundsätzlich seine Sprachspezifika bewahrt, bleibt der Einfluss von Luthers Texten im Lettischen in den Übersetzungen bis heute erhalten. Im Russischen wurde Luthers Einfluss im Bereich der Phraseologie auf der Grundlage des erforschten Korpus bewiesen. Infolge der Abwesenheit lexikalischer Hinweise auf die Herkunft der jeweiligen Phraseme im Russischen bringt der Beitrag jedoch nur bescheidene Ergebnisse, die uns keinen Gesamtblick auf den Einfluss von Luthers Texten auf diese osteuropäische Sprache ermöglichen, und wie der Autor selbst hinzufügt (S. 106), verdient dieses Thema immer noch die Aufmerksamkeit der Forscher, auch im breiteren Rahmen der Erforschung russischer Phraseologie.
Sprachwissenschaftlich komplexere Themen bietet der zweite Themenkreis, der sich auf den Vergleich von Luthers Texten mit deren Übersetzungen in den jeweiligen Sprachen auf der syntaktisch-stilistischen und teilweise auch lexikalischen Ebene konzentriert. Im Falle des Polnischen führte Gerhard Meiser eine Komparation durch (Die Biblia Brzeska und ihr Übersetzungsprogramm), die am Beispiel der behandelten Übersetzung von 1563 – im Unterschied zu späteren Übersetzungen – eine selbstständige und sensible Vorgehensweise des Übersetzers beweist. Den Einfluss auf das Sorbische beschrieb Roland Marti (Luthers Deutsch in sorbischem Gewand), seine Ergebnisse zeugen von einem größeren Einfluss von Luthers Vorlage auf die Übersetzer ins Obersorbische als ins Niedersorbische. Der Beziehung der auf Deutsch und auf Tschechisch verfassten Predigten aus den böhmischen Ländern zu Luthers Vorlagen widmete sich Jiří Černý (Die Beziehungen der böhmischen Flugschriftepublizistik der 1520er Jahre zu Wittenberg). Sein Beitrag, der die tschechisch-deutschen Sprachverhältnisse berücksichtigt, bringt einen klaren Beweis für Luthers direkten Einfluss auf die Übersetzungen von dessen Schriften in den böhmischen Ländern. Petra Verebics wiederum verglich diverse Übersetzungen der Lutherbibel ins Ungarische mit der Vorlage (Der Einfluss von Luthers Bibelübersetzung auf den Sprachgebrauch der ersten Generation der ungarischen Reformation. Ein Vergleich ausgewählter Bibelverse aus fünf verschiedenen Übersetzungen), aufgrund des Vergleichs von Luthers Text mit den ersten Übersetzungen der Bibel ins Ungarische kam sie zu dem Schluss, dass die erste Generation der Übersetzer von Luthers Werk ins Ungarische Luthers Übersetzungsmethode auf das Ungarische konsequent gebrauchte und diese Übersetzungen sprechen eindeutig von Luthers Einfluss sowie seinen Prinzipien des sinngemäßen Übersetzens. Diese Vorgehensweisen zeugen dann von der Qualität und den Fähigkeiten der Übersetzer bei der Arbeit mit dem Text sowie deren sensiblem Umgang mit den Spezifika der Zielsprache. Den zweiten Themenkreis schließt der Beitrag von Gerhard Giesemann ab, der sich der Reflexion von Luthers Deutsch als Sprache der Reformation in der Sprache des slowenischen Reformators Primus Truber widmet (Die Umwandlung lutherischer Theologie in eine südslawische (slowenische) Reformationstheologie durch Primož Trubar (1508–1586)). Auch in diesem Fall kann man aufgrund der Sprachanalysen und des Vergleichs Luthers Einfluss auf Truber verfolgen, dessen Werk aus einer Kompilation der Vorgehensweise, die Luther eigen ist, und einer selbstständigen Methode angesichts der slowenischen Sprache besteht.
Die Brücke zwischen dem zweiten und dritten Themenkreis schlägt der historisch ausgerichtete Beitrag von Silvie Pfister und Isolde Kalter (Luthers Sendbrief vom Dolmetschen. Coburg als Schlüsselort der Reformation). Mit Hinblick auf den Tagungsort widmen beide Autorinnen sich hier der Tätigkeit Martin Luthers in Coburg am Beispiel von dessen Sendbrief vom Dolmetschen aus dem Jahr 1530, in dem er seine auf die Bibel angewandte Übersetzungsmethode verteidigte, die den kontextuellen Sinn des Textes in den Vordergrund rückt und deshalb keine wortwörtliche Übersetzung bevorzugt (wie im Falle seiner Vorgänger).
Den Schwerpunkt des dritten Themenkreises bilden die Beiträge der Germanisten, die sich in ihren Texten auf die innere Perspektive der Entwicklung der deutschen Sprache konzentrierten und deren Sichtweise den Vergleich dieser Vorgehensweise mit der Außenperspektive der mittel- und osteuropäischen Sprachen ermöglicht. Im Fokus stand hierbei Martin Luther als Übersetzungstheoretiker und -praktiker. Christine Ganslmayer widmete sich Luthers Übersetzungstechniken aus der Perspektive der Entstehung der Übersetzung (Beim Übersetzen über die Schulter schauen. Historische Übersetzungsprozessforschung und Luthers Übersetzungsarbeit auf der Veste Coburg). Renommierte Autoren auf dem Gebiet der Erforschung des Frühneuhochdeutschen (wie etwa Anja Lobenstein-Reichmann und Oskar Reichmann), die sich mit ihren anderen Beiträgen an der Erfassung der Persönlichkeit und des Werks von Martin Luther anlässlich des Jubiläums im Jahre 2017, beteiligten, trugen mit ihren konzisen und materialreichen Studien zur Vertiefung des Wissens über Luthers Übersetzungen. Anja Lobenstein-Reichmann konzentrierte sich hierbei auf Luthers Selbstreflexion bei der Entstehung der Übersetzungen (Luthers Sprach- und Übersetzungsreflexionen), sie beschäftigte sich mit der Sprachkompetenz, der eigenen Übersetzungstheorie, der Verwendung der Sprache und deren Varietäten und nicht zuletzt auch mit der pragmalinguistisch orientierten Problematik der sprachlichen Erfassung der gesprochenen Sprache z. B. in der Form des Wortes Gottes. Oskar Reichmann widmete sich dem Einfluss Martin Luthers auf die Semantik des neuzeitlichen Wortschatzes im Deutschen und auch in anderen Sprachen und der Entstehung eines semantischen Netzwerks zwischen den einzelnen Sprachen (Martin Luther als Begründer eines europäischen Consemanticums). Sebastian Seyferth beschäftigte sich wiederum mit der zeitgenössischen Kritik von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments, die nach dem Erscheinungsdatum am 21. September 1522 auch „Septembertestament“ genannt wird (Ob das new testament ‖ yetz recht verteutscht ‖ sey […] Übersetzungskritik an Martin Luthers Septembertestament sowie Aspekte zur vorreformatorischen, reformatorischen und gegenreformatorischen Übersetzungspraxis). Laut Seyferth konzentrierten sich die zeitgenössischen Kritiken einerseits auf Luthers Wortschatz und -wahl, andererseits auf die kontextorientierte Übersetzungsmethode, die mit den bisherigen gängigen Vorgehensweisen brach.
Der vorliegende Sammelband, der Luthers Deutsch und dessen Auswirkung durch Übersetzungen auf die mittel- und osteuropäischen Sprachen thematisiert, bringt überwiegend hochwertige Beiträge von ForscherInnen, die sich der Beziehung von Luthers Deutsch zu den jeweiligen Regionen widmen oder sich angesichts ihrer Publikationstätigkeit an der Sprache der Reformation im allgemeinen bzw. am Frühneuhochdeutschen orientieren. Angesichts des interdisziplinären Charakters der erforschten Problematik gibt es im Sammelband auch historisch orientierte Beiträge, die von den Tagungsteilnehmern aus den Reihen der Bibliothekare der Institution stammen, die die Konferenz veranstaltete. Hiermit schließt sich auch der Umkreis der jeweiligen Forschungen zum Thema der Sprachkontakte zwischen dem Deutschen und anderen europäischen Sprachen, die eines gemeinsam haben: sie schöpfen von einem großen Reichtum an Textmaterial in Form von Handschriften und Drucken, dank dessen die Autoren im Rahmen eines Vergleichs die Beziehung, resp. den Einfluss von Luthers Deutsch durch Übersetzungen auf die erwähnten Sprachen in diversen Aspekten der Zielsprache dokumentieren.
Dieses Mosaik und eine hinreichend repräsentative Vertretung von Sprachen Mittel- und Osteuropas illustrieren einen anderen Blick auf Luthers Sprache und deren Bedeutung im europäischen Kontext. Zugleich wird eine leere Stelle im Wissen um die Reichweite des Einflusses von Luthers Deutsch auf die Sprache und Schriftkultur von Ländern gefüllt, die der Region Mittel- und Osteuropas angehören, in der infolge der historischen Entwicklung oder in einigen Fällen auch infolge der geographischen Gegebenheiten (direkte Nachbarschaft mit dem deutschen Sprachraum) das Deutsch auch angesichts von dessen Bedeutung im europäischen Kontext im direkten Kontakt mit den Sprachen überwiegend slawischer Herkunft stand. Im Zusammenhang mit den historischen Umständen spielte hier die Reformation eine wichtige Rolle. Dank der neuen Perspektive auf die Problematik von Luthers Deutsch und angesichts der Wissensbereicherung erfüllt die Publikation im Wesentlichen die Erwartungen, die ihr Titel bereits weckte. Die präsentierten Ergebnisse der diachronen Forschung akzentuieren die Bedeutung des Reformators Martin Luther im europäischen Kontext auch im Bereich der Sprachen und deren Entwicklung und bieten den ersten komplexeren Blick auf die Sprachkontakte zwischen Luthers Deutsch und den Sprachen nicht-germanischer Herkunft. Zugleich stellen sie die Themen der jeweiligen Beiträge in eine neue Perspektive für die weitere Forschung zum Thema der Persönlichkeit und des Werks von Martin Luther im diachronen Sinne. Somit erscheint das Thema von Luthers Deutsch und dessen Reflexion für die Forscher, die sich mit der Entwicklung der Sprache beschäftigen, immer noch nicht vollends erschöpft zu sein.
Übersetzung: Lukáš Motyčka
Christine Ganslmayer / Helmut Glück / Hans-Joachim Solms (Hgg.): Luthers Deutsch in Mittel- und Osteuropa. [Fremdsprachen in Geschichte und Gegenwart, hg. von Helmut Glück a Konrad Schröder, Bd. 21]. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2021, 326 S.