Es schrieb: Leopold von Sacher-Masoch

(3. 10. 2016)

Von Oktober 1881 bis September 1885 erschien in Leipzig die von Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895) herausgegebene Monatszeitschrift Auf der Höhe die einzige Zeitschrift, die sich in den 1880er Jahren gezielt mit der aktuellen tschechischen Literatur beschäftigte. Insgesamt wurden hier elf Auszüge aus den Werken sechs zu damaliger Zeit etablierter Autoren veröffentlicht (Svatopluk Čech, Vítězslav Hálek, Karel Kučera, Josef Václav Sládek, Jaroslav Vrchlický, Julius Zeyer) sowie dreizehn Artikel über tschechische Literatur (Schriftstellerporträts, Überblicksstudien, Besprechungen), von Josef Penížek und vor allem von dem Journalisten Karel/Karl Müller. Dazu kam noch ein Beitrag des Prager deutschen Dichters Eduard Maria Schranka über das tschechische Nationaltheater (Schranka übersetzte zudem ein Gedicht Jaroslav Vrchlickýs) sowie eine umfangreiche Studie des ungarischen Historikers Johann Heinrich Schwicker über die Königliche böhmische Gesellschaft der Wissenschaften und eine Rezension zu Tomáš Garrigue Masaryks Schrift Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation aus der Feder des im mährischen Leipnik (Lipník nad Bečvou) geborenen Journalisten und Masaryk-Schülers Sigmund Münz.

 

Um tschechische Literatur in deutschen Zeitschriften vermitteln zu können, mussten gleich mehrere Faktoren zusammenkommen, die Auf der Höhe allesamt erfüllte: ein internationales, nicht nur an großen Literaturen ausgerichtetes Zeitschriftenprogramm, das Interesse der Redaktion an kleineren slawischen Literaturen, Kontakte zu entsprechenden Literaturmittlern mit gutem Überblick über die aktuelle tschechische Literatur, die außerdem bereit wären, auf Deutsch zu referieren oder ins Deutsche zu übersetzen – am besten beides und regelmäßig. Die Zeitschrift Auf der Höhe trug den Untertitel Internationale Revue und orientierte sich an französischen Zeitschriften, vor allem an der renommierten Revue des deux Mondes. Sacher-Masoch, der sich intensiv mit russischer Literatur befasste, vermutete, dass der wachsende Erfolg des russischen Realismus bei der deutschen Leserschaft auch das Interesse an anderen slawischen Literaturen wecken könnte (die polnische Literatur fand im Übrigen in Deutschland deutlich mehr Resonanz als die tschechische).

 

Die erste Übersetzung tschechischer Literatur in Auf der Höhe erschien erst im Juni 1883, doch Sacher-Masoch setzte sich vermutlich schon von Anfang an für ihre Präsenz ein, schon aufgrund seines persönlichen Bezugs zu Prag, wo er zwischen 1848 und 1854 gelebt hatte. Die Schwierigkeiten, die er bei der Anwerbung tschechischer Autoren für seine Zeitschrift hatte, beschrieb unter anderem Josef Penížek, der in Auf der Höhe eine umfassende Studie zur zeitgenössischen tschechischen Literatur veröffentlichte, in einem Brief an Václav Vlček: „Er beschwerte sich bei mir, er habe bei einigen Schriftstellern um Beiträge gebeten, vergebens. Nur [Svatopluk] Čech scheint ihm etwas zugesagt zu haben“ (LA PNP, f. V. Vlček, 30. 8. 1882). Der hier angedeuteten, kulturpolitisch motivierten Zurückhaltung tschechischer Autoren Sacher-Masochs Angebot gegenüber sowie der Übersetzung eigener Werke ins Deutsche im Allgemeinen versuchte der wohl aktivste Kulturmittler dieser Zeit Karel Müller entgegenzusteuern. Dabei konzentrierte er sich hauptsächlich auf das Werk Svatopluk Čechs.

 

Aus Leopold von Sacher-Masochs Brief vom April 1882 geht hervor, dass sich der Chefredakteur der Zeitschrift Auf der Höhe an den damals renommierten tschechischen Schriftsteller zunächst direkt gewandt hatte (der Brief befindet sich heute in Čechs Nachlass im LA PNP). Im Brief lehnte Sacher-Masoch das Angebot Čechs ab, eine Erzählung Josef Štolbas zu veröffentlichen, da sie nicht seinem realistisch ausgerichteten Programm entspreche, gleichzeitig beteuerte er aber die Offenheit der Zeitschrift slawischen Literaturen gegenüber und bat Čech um eigene Beiträge.

 

Leipzig, den 26. IV. 1882

 

Sehr geehrter Herr!

 

Herzlichsten Dank für Ihren Brief. Ich bin des Čzechischen ziemlich mächtig, da ich die vier oberen Gymnasialklassen in den Jahren 1848–1852 in Prag an dem czechischen Altstädter-Gymnasium unter Klicbera [Klicpera], [Jan] Jungmann, Čuper, Štulz [Štulc] u. s. w. zur Zeit, als mein Vater Stadthauptmann von Prag war, absolviert habe und auch bei der schriftlichen Maturitäts-Prüfung aus dem Czechischen einen der besseren Aufsätze geliefert habe.

Leider entspricht die Novelle „der Dorfdiplomat“ nicht meinem Programm, erstens da wir nur Originale bringen und dieselbe früher czechisch erscheint, zweitens, weil ich gerade die slavischen Litteraturen sehr gut vertreten sehen möchte und die Novelle von Štolba zwar gut ist, aber nicht das Frische, Charakteristische und Packende der Russischen und zum Theil auch neuern polnischen Novellen von Turgenjew, Dostojewski, Pisemsky, Bałucki, Litwos [Sienkiewicz] u. s. w. besitzt; drittens, weil sie zu wenig charakteristisch für das czechische Volksleben ist.

Da wir alle Literaturen cultiviren müssen, daher nicht zu oft aus einer und derselben Novellen bringen können, möchte ich die czechische Literatur durch eine wirklich ausgezeichnete für das czechische Volksleben charakteristische Novelle vertreten sehen und glaube, dass Sie allein dazu berufen sind, Ihre Nation durch eine solche Erzählung in unserer Revue, in der Frankreich durch Daudet, Russland durch Dostojewski, Polen durch Bałucki, Italien durch Ciampoli und Berseczio u. s. w. vertreten waren, zu repraesentiren. Eine Novelle aus dem Hanakenleben wäre mir sehr angenehm, da ich überzeugt bin, dass Ihre berühmte Feder derselben ein originelles, nationales Colorit verleihen wird.

 

Hochachtungsvoll

 

Leopold Ritter von Sacher Masoch.

Knauthayn bei Leipzig

 

LA PNP, f. Svatopluk Čech, Briefkopf: „Auf der Höhe“, Redaktion: Dr. L. v. Sacher-Masoch und R. Armand, Leipzig

 

 

„Eine Novelle aus dem Hanakenleben“, die Sacher-Masoch von Čech verlangte, war jedoch konträr zu dessen sonstigem Schaffen. – Nicht sonderlich tiefgründige humoristische Skizzen aus dem Leben Prager tschechischer Bürger und epische Gedichte inklusive eines Kapitels aus der Idylle Im Schatten der Linde (Ve stínu lípy) entsprachen zwar nicht der Ästhetik, die Sacher-Masoch in seiner Zeitschrift propagieren wollte, dennoch wurden sie (in der Übersetzung Müllers) veröffentlicht.

 

Doch angesichts der damaligen Situation in der tschechischen Literatur war Sacher-Masochs Adressatenwahl durchaus richtig, Svatopluk Čech war ein angesehener Schriftsteller und allgemein als unanfechtbare Autorität akzeptiert. Seine Rolle hatte somit auch Einfluss auf die Vermittlung ins Deutsche – in den 1880er Jahren war er gemeinsam mit Jan Neruda der meistübersetzte tschechische Autor. In den unterschiedlichen Erwartungen auf beiden Seiten, in der deutschen wie in der tschechischen Literatur, wird so auch eine der Schwierigkeiten in den deutsch-tschechischen literarischen Annäherungen im ausgehenden 19. Jahrhundert deutlich (mit der Vermittlung tschechischer Literatur zwischen 1880 und 1910 beschäftigt sich intensiv die Studie Paralely a průniky. Česká literatura v časopisech německé moderny ([Parallelen und Überschneidungen. Tschechische Literatur in den Zeitschriften der deutschen Moderne], Prag: MÚA AV ČR 2016).

 

lm

 

Übersetzung: Martina Lisa


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