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Nominierte Titel 2018

Für den Otokar-Fischer-Preis 2018 wurden folgende Titel nominiert:

 

Bermeiser, Martin: Václav Havels Reden: Aspekte Einer Holistischen Rhetorik. Stuttgart: ibidem-Verlag, 2017, 374 S.

Während seiner mehr als zwölfjährigen Amtszeit als zunächst tschechoslowakischer, ab dem Jahr 1993 tschechischer Staatspräsident hielt Václav Havel (1936–2011) in seinem Land und aller Welt rund 300 zumeist programmatische Reden. Anhand einer repräsentativen Auswahl dieser Reden untersucht der Autor Havels präsidiale Rhetorik mit einem innovativen Blick und gelangt zu dem Ergebnis, dass Havel eine neuartige, ganzheitliche sowie holistische Rhetorik anwendet. Havels präsidiale Reden bieten eine ethisch basierte politische Rhetorik, die alles andere als gewöhnlich ist. Der Autor legt ein faszinierendes, in Zeiten vielfach fragwürdiger Politiker-Rhetorik besonders bedeutsames Buch vor, in welchem er aufzeigt, was hohe ethische Standards in der politischen Rhetorik sind, und entwickelt daraus den wohl allerersten philologischen Entwurf einer ganzheitlich-holistischen Rhetorik.

 

Derham, Constanze: Décadence und Visualität in drei Romanen Paul Leppins: Daniel Jesus, Severins Gang in die Finsternis und Blaugast. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag [epubli], 2017, 312 S.

Der Prager Schriftsteller Paul Leppin (1878–1945) gehört zu den weniger bekannten Autoren der deutschsprachigen Prager Literatur des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts. Die Arbeit analysiert drei seiner Romane – Daniel Jesus (1906/10), Severins Gang in die Finsternis (1914) und Blaugast (1930er Jahre, posthum erschienen) – im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zur literarischen Décadence um 1900. Das Motiv des Sehens und der Unschärfe, einhergehend mit einer fluiden Identität der Protagonisten, verknüpft diese Romane mit Diskursen der Jahrhundertwende um die Grenzen der Sprache und der Auflösung des Ichs. In der stereotypen Gestaltung der Frauenfiguren als unschuldige und selbstlose Kindfrauen oder gefährliche Verführerinnen bleiben die Romane in konventionellen Mustern verhaftet, während in der Referenz auf die Stadt Prag in Severins Gang in die Finsternis und Blaugast der Mythos der Stadt zum Teil bereits selbst thematisiert und ironisch gebrochen wird.

 

Krings, Marcel: Franz Kafka: der „Landarzt“-Zyklus. Freiheit – Schrift – Judentum. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2017.

Krings’ Kafka-Monographie schließt als erste ausführliche Gesamtuntersuchung des „Landarzt“-Zyklus eine germanistische Forschungslücke. Aus den Tagebüchern und nachgelassenen Schriften entwickelt die Arbeit Kafkas zentrale Themen Freiheit, Schrift und Judentum und liest den Zyklus zum ersten Mal als ein kohärentes Text- und Motivuniversum. Aus ihm spricht nicht nur die Klage über den fehlenden Willen zur Selbstrechtfertigung oder über die Unmöglichkeit einer „reinen“ Literatur, sondern vor allem die Sorge über den prekären Zustand alles Jüdischen in der Moderne. Wie Kafka seine Religion durch das Literaturprojekt eines „Neuen Judentums“ neu und anders fundieren wollte, legt die Studie ebenso dar, wie sie sich zuletzt der aus dem Zyklus aussortierten „Kübelreiter“-Erzählung widmet. So stellt die Monographie einen lesbaren Kafka vor und weist in kritischer Auseinandersetzung mit der Forschung die Plausibilität hermeneutischer Lektüre nach.

 

Lehnert, Katrin: Die Un-Ordnung der Grenze. Mobiler Alltag zwischen Sachsen und Böhmen und die Produktion von Migration im 19. Jahrhundert. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2017, 461 S.

Über Jahrhunderte bildete das Dreiländereck zwischen Sachsen, Böhmen und Schlesien einen transregionalen Wirtschafts- und Sozialraum, dessen trennendstes Merkmal die Konfession war. Im 19. Jahrhundert wuchs die Bedeutung der sächsisch-böhmischen Grenze als nationale Zoll- und Kontrolllinie. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Publikation mobile Alltagspraktiken und ihre Wechselwirkung mit staatlichen Versuchen der Grenz- und Mobilitätskontrolle. In den Fokus rücken kleinräumige und temporäre Wanderungen unterer sozialer Schichten, die bislang von der Forschung vernachlässigt wurden. Die kulturwissenschaftliche Studie verbindet ethnografische Grenzregimeanalyse mit historischer Migrationsforschung. Aus einer lokalen Perspektive wird beschrieben, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen, staatliche und kirchliche Akteure an den Rändern der entstehenden Nationalstaaten um Bewegungsfreiheit respektive Mobilitätskontrolle stritten.

 

Schmidt, Nora: Flanerie in der tschechischen Literatur. Flaneure, Prager Spaziergänger und flanierende Schreibweisen von Jan Neruda bis Michal Ajvaz (Epistemata Literaturwissenschaft, Bd. 872). Würzburg: Königshauses und Neumann, 2017, 494 S.

Der Flaneur und / oder Flanerie werden als kulturelles Phänomen beschrieben, dass sich seit dem 19. Jahrhundert in Übersetzungs- und Umbenennungsprozessen herausgebildet hat und für das Grenzen zwischen Kulturen und Literaturen längst irrelevant geworden sind. Am Beispiel der tschechischen Literatur wird gezeigt, dass der Flaneur kein französisches oder deutsches, sondern selbstverständlich ein literarisches Phänomen und prinzipiell in allen Literaturen anzutreffen ist. Bis in die neueste tschechische Literatur von Michal Ajvaz, Miloš Urban und Jaroslav Rudiš sind zahlreiche Verknüpfungen zu verfolgen, mittels derer sich für die tschechische Literatur eine eigene Variante des Flanerie-Konzepts entwickelt.

 

Zittel, Claus (Hg.): Max Brod – Felix Weltsch: Anschauung und Begriff. Grundzüge eines Systems der Begriffsbildung. Berlin: De Gruyter, 2017, 232 S.

Brod und Weltsch charakterisieren ihr Werk als eine Art „Monographie über verschwommene Vorstellungen“. Sie zeigen, dass die von der philosophischen Phänomenologie Franz Brentanos und Husserls aufgestellten Postulate der Evidenz und genauen Beschreibung nur im Bereich der Wissenschaft statthaft sind, ansonsten aber unsere Wahrnehmungswelt von einer Vielzahl von vagen, unbestimmten, verschwommenen Sinnes- und Gedächtniseindrücken bestimmt wird, die eine empirisch arbeitende Psychologie ebenso wie die philosophische Erkenntnistheorie mit einzufangen und ihren Funktionen zu explizieren habe. Diese Schrift ist daher ein idealer Ausgangspunkt, um ein differenzierteres Bild der epistemischen Konfiguration der Prager Moderne zu zeichnen und grundsätzlich die Möglichkeiten einer psychologischen Ästhetik auszuloten. Die Neu-Edition dieser Schrift öffnet aber auch wieder einen lange verschütteten Zugang zur Literatur der Prager Moderne, insbesondere für das Erzählwerk Kafkas.