Es schreibt: Lukáš Pěchula

(Echos, 22. 2. 2016)

Joseph Wechsberg – Heimkehrer?

 

Joseph Wechsberg (1907–1983), ein für die europäische Leserschaft eher ferner und unbekannter Name und dennoch ein Mann, der in Amerika große Erfolge feierte. Er war ein begnadeter Musiker, Journalist und Autor von atemberaubend atmosphärischen Erzählungen. 2015 erschien sein Buch Heimkehr (im Original: Homecoming) in deutscher Fassung. In diesem in den USA entstandenen und gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs publizierten schmalen Prosastück offenbart sich uns Wechsbergs Sicht auf seine Geburtsstadt Ostrava (Mährisch Ostrau), durchdrungen von autobiografischen Inspirationen, die schon auf dem Umschlagbild klar zu erkennen sind: Dem New-York-Panorama wurde ein Bild seiner Heimatstadt gegenübergestellt, mit Kirchtürmen und einer Schornsteinkette am Horizont – eine typische Darstellung der Region, die bereits die lokale Vorkriegsliteratur dominierte. Die Stadt Ostrava wird in dieser kurzen Prosa zum Ort der Rückkehr und Erinnerung des Protagonisten der Erzählung stilisiert.

 

Im damals multikulturellen Ostrava wuchs Wechsberg auf, hier wurde er in eine jüdische Bankiersfamilie geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Prag und Wien verdiente er kurzzeitig sein Geld als Musiker, doch bald ging er zur Armee und wurde Oberleutnant. Der Zweite Weltkrieg überraschte ihn auf dem Weg in die USA. Und während es seinen Geschwistern gelang, noch rechtzeitig zu fliehen, beispielsweise nach Israel, wurde seine Mutter Hermine in Auschwitz ermordet.

 

Seine Karriere als Schriftsteller wurde stark von seiner journalistischen Tätigkeit geprägt – er schrieb unter anderem für Zeitschriften wie The New Yorker, Esquire, Holiday oder Playboy. Diese Laufbahn hatte schon in Böhmen begonnen, wo er zum Beispiel für das Prager Tagblatt, die Selbstwehr oder die Morgenzeitung Artikel verfasste. Auf seine herausragenden Reportagen folgten kurze Prosa und später auch Romane. Er ist Autor des Bestsellers Looking for a Bluebird (1944) über die Schiffsreisen eines Musikers auf einem Transatlantikdampfer. In seinen weiteren Büchern widmete er sich großen Persönlichkeiten der Musikgeschichte wie Verdi oder Schubert. Später schrieb er, in Auseinandersetzung mit seinem eigenen Leben, autobiografisch geprägte Erinnerungsprosa über die Orte, an denen er gelebt hatte: Prague – The Mystical City (The Macmillan Company, 1971), The Vienna I Knew. Memories of a European Childhood (Doubleday & Co, 1979) und besagtes Homecoming (Alfred A. Knopf, 1946), welches nun im Arco Verlag unter dem Titel Heimkehr in der Übersetzung von Christoph Haacker erschienen ist.

 

Nach der Lektüre der ersten Seiten kann bei manch einem Leser, manch einer Leserin der Eindruck entstehen, es handle sich um sogenannte Heimkehrerliteratur, ein deutsches Literaturgenre der unmittelbaren Nachkriegszeit, deren Protagonisten sich mit den Folgen des Zweiten Krieges auseinandersetzen. Diese kehren aus der Kriegsgefangenschaft zurück oder haben andere schwere Schicksalsschläge erlitten. Nun finden sie ihre einst ruhige Heimat nicht wieder: Die Welt hat sie gewissermaßen vergessen und sie können sich nicht wieder in sie einfügen. Doch die Quintessenz von Wechsbergs Heimkehr ist tatsächlich wesentlich komplexer. Stilistisch orientiert sich der Text an amerikanischer Journalistik (vor allem an der Reportage) und der in der Nachkriegszeit dominierenden Prosaform der short story, weist aber auch viele Merkmale des später populären Genres der deutschen Kurzgeschichte auf: einfache Sprache, begrenzter Handlungsraum, sehr kurze Exposition sowie klare Pointe. Außerdem trifft das Werk ein Publikum an, dem nach 1945 die Suche nach einer Heimat oder nach sich selbst nahe war.

 

Zwar könnte das Buch anhand dessen, wie Wechsberg den Raum begreift, sowie teilweise auch durch die texteigene Poetik der Heimkehrerliteratur zugerechnet werden, doch verrät vor allem die Pointe, dass die Hauptfigur kein typischer Heimkehrer ist. Während Wolfgang Borchert sich und seine literarischen Mitstreiter in der Zeitschrift Horizont von 1949 (Jahrgang 2, Nr. 13) als „die Generation ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied“ charakterisierte, vermittelt Wechsbergs Heimkehr eine völlig andere Botschaft, nämlich die des Zur-Ruhe-Kommens, der Versöhnung und Heimatfindung.

 

Das ganze Werk ist durchdrungen von einer Poetik der Entfremdung, welche die Atmosphäre der Leere und Nichtzugehörigkeit noch verstärkt. Sie kommt durch Motive wie Kühle, Staub, Trümmer zum Ausdruck; es herrscht eine Atmosphäre voller Grau und Vergessen. Dies ermöglicht den Prozess des Loslassens, denn nur ein freier Held kann verstehen, wo sich seine wahre Heimat befindet: Die physische Realität der unmittelbaren Nachkriegszeit in Ostrava bedeutet dem Protagonisten des Buches nicht mehr viel, sein genius loci ist verloren gegangen, die Orte in seiner Geburtsstadt sind ihm keine Heimat mehr, sondern nur eine Ruine der Vergangenheit, in der der Mensch nicht leben kann, sonst vergäße er, überhaupt zu leben. Und vielleicht verschwindet eben deshalb die alte Heimat mit dem schwindenden Parfüm der ermordeten Mutter, es gibt keinen Grund mehr, den Ort der Gleichgültigkeit zu betreten, der schon lange keine Heimat mehr ist: „Wahrscheinlich gab es jetzt nichts mehr, was mich an die alten Zeiten erinnern könnte. Nichts als Ziegelsteine, Mauerwerk, Gips und den Geruch von moderndem Holz. Nein, ich würde da nicht hineingehen. Bringt nichts, in die Vergangenheit zurückzugehen und dort anzuknüpfen“ (S. 51). Wechsbergs Erzählung verfolgt so von Anfang an einen Hauptgedanken: Die Heimat existiert nur hier und jetzt, sie wird in der Gegenwart und von den Menschen konstruiert, und wenn es diese nicht gibt, dann verschwindet sie eben.

 

Wechsbergs einzigartiger Sinn für Details zeigt sich nicht nur in der Handlungslinie des Textes, sondern auch in der meisterhaft einfachen Darstellung des Raumes. Der leicht materialistisch orientierte Blick des Erzählers, dessen Erzählweise Grundelemente des sogenannten Kamera-Auges trägt, streift mit der Atmosphäre und Psychologie der Umgebung nur anhand von Gegenständen die äußere Welt und dennoch erfasst er mit Bravour die geistige Tiefe der dargestellten Wirklichkeit: „Grau schien die alles beherrschende Farbe zu sein. Ihre Kleidung war grau geworden. So ist es immer mit alten Kleidern. Ihre Hemden und Kragen waren grau geworden, seit sie keine Seife mehr hatten, um sie ordentlich zu waschen. Aus der Ferne sahen sie ganz ordentlich und gut gekleidet aus, aber als ich an ihnen vorbeiging, bemerkte ich, dass die Männer Anzüge anhatten, die mal ihre Sonntagsanzüge gewesen waren, und dass die Frauen keine Strümpfe und Leinenschuhe mit Holzsohlen trugen. Sogar ihre Gesichter waren grau, ihre Wangen, die Lippen und das Weiß ihrer Augen. Das Grau von Hunger und Krankheit“ (S. 46f).

 

Das Zentrum Ostravas, der Handlungsraum des zitierten Auszugs, bildet den Mittelpunkt fast der gesamten Erzählung. Doch hält sich Wechsberg in Heimkehr nicht auf mit Landschaftsbeschreibungen, für ihn bedeutet die entfernte, gleichgültige Landschaft nicht viel, hingegen konzentriert er sich auf das interagierende Nachkriegsmilieu des in Schutt und Asche liegenden Ostravas und beschreibt lediglich, was unmittelbar mit der Handlung zusammenhängt und sich auf das Denken der Protagonisten auswirkt. So ist Wechsbergs einzigartige Darstellung vom Ostrava der Nachkriegszeit wortwörtlich von einem Schleier aus Asche bedeckt, der hier im Kontrast zur einstigen kulturellen Mannigfaltigkeit und zum Reichtum der Stadt steht. Und es ist eben dieser die Poetik der Entfremdung verkörpernde Schleier, der es dem Erzähler möglich macht, seine wahre Heimat in den USA zu finden, denn er wird zu einem Vorhang, der ihn von der Vergangenheit trennt.

 

Das Buch wird ergänzt durch ein Nachwort des Übersetzers und Verlegers Christoph Haacker mit vielen detaillierten Informationen zum Leben Joseph Wechsbergs. Bei der Betrachtung seines literarischen Werkes wird vor allem seine journalistische Tätigkeit hervorgehoben, die zweifelsohne einen großen Einfluss auf seinen Stil hatte, auf sein Gespür für einfachen, jedoch kraftvollen Ausdruck und unterschwellige Impulse. Im Nachwort wird Heimkehr in einen breiteren Kontext von Wechsbergs Leben und Werk gestellt sowie das Thema der möglichen Engagiertheit seiner Prosawerke angerissen. Selbstverständlich ist es nicht die einzige Quelle zum Leben und Werk des Autors, zu empfehlen ist ebenfalls die Webseite www.josephwechsberg.commit etlichen bibliografischen Hinweisen. Doch bleibt eine komplexe literaturhistorische Erforschung des gesamten Werkes von Wechsberg eine spannende Aufgabe unter anderem für die mährisch-schlesische Germanistik.

 

Übersetzung: Martina Lisa

 

 

Joseph Wechsberg: Heimkehr. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort versehen von Christoph Haacker. Wien: Arco Verlag, 2015, 175 S.


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