Es schrieb: R. M. Rilke an Jaroslav Vrchlický

(27. 4. 2015)

Der Brief, den R.  M. Rilke Anfang 1896 an Jaroslav Vrchlický zusammen mit einem Exemplar seines Gedichtbands Larenopfer sandte, wird im Literarischen Archiv des Denkmals des nationalen Schrifttums in Prag aufbewahrt (Fundus Jaroslav Vrchlický, LA PNP, empfangene Korrespondenz). Das Buch wurde im Prager Verlag H. Dominicus Ende 1895 herausgegeben, trägt jedoch die Datierung 1896. In der Privatbibliothek Jaroslav Vrchlickýs, die ebenso in PNP aufbewahrt wird (sie zählt über 8600 Bände), gibt es bis heute zwei Exemplare der ersten Auflage. In einem davon ist das Sonett eingetragen, datiert einige Tage vor dem Brief (23. 1. 1896) und unterschrieben von Rilke (LA PNP, Privatbibliothek J. Vrchlický, Sig. Vrchlický 6873). – Während der Brief bereits in der Edition Rainer Maria Rilke: Briefe zur Politik(hrsg. v.  Joachim W.  Storck, 1992, S. 910) abgedruckt wurde, ist das an Jaroslav Vrchlický gesandte Widmungssonett in Rilkes gesammelten Schriften nicht enthalten und wird hier wohl gar zum ersten Mal veröffentlicht.

 

lama

 

 

Prag, den 29./I. 1896

Wassergasse 15. B. I.

 

 

Hochwerter Meister,

 

längst liegt das Exemplar von „Larenopfer“ bereit, das ich Ihnen, ein kleines, schlichtes Zeichen meiner aufrichtigen Verehrung, zu überreichen gedachte. Warum ich es verzögert hatte, sagen Ihnen die Widmungszeilen, die ich dem Exemplar vorangestellt habe: jenes Gefühl banger Befangenheit, dessen voll der Jünger vor den Meister tritt, – war es .... und dann ein zweiter äußerer Grund: Mir war Ihre Adresse nicht bekannt, hochgeschätzter Herr.

 

Ich bitte Sie, nehmen Sie gütigst meine Widmung entgegen!

 

Mein Büchlein durfte in der kurzen Zeit, die es im Handel ist, viel Beifall erfahren; auch Prof. Dr. E. Albert, Hofrath in Wien, hat sich Lobes voll mir darüber geäußert. –

 

Sie haben, Meister, auch erkannt, was es will: ein leiser Accord des Friedens soll erklingen im rauschenden Kampfgetöse; so wie der seelenklare Grottenquell heimlich und traut, seine süßen Märchen raunt, ob draußen noch ragende Stämme in des Sturmes gewaltigen Streichen klagen und stöhnen. – Und die Sympathie soll es ausdrücken, die ich für Ihr Volk und seine künstlerischen Bestrebungen hege, und Zeuge soll es sein, dafür, daß ich über [dem]Kastenwesen der Nationen ein allumfassendes Reich kenne, das Reich, in dem die Sonne der Kunst nie untergeht!

 

Und nun Dank, hochverehrter Meister, für Ihre lieben Worte der Anerkennung; Sie haben mich gerührt und stolz gemacht. – Werden Sie mir einmal gewähren, daß ich mich Ihnen vorstellen kommen darf?

 

Vielleicht interessiert Sie auch das beiliegende Heft „Wegwarten“, das ein Geschenk für das Volk ist; Sinn und Zweck desselben mögen Ihnen die einleitenden Worte vermitteln.

 

Mit dem Ausdruck inniger Bewunderung,

                                                                       hochgeschätzter Meister,

                                                                       Ihr ergebener:

                                                                                  René Maria Rilke

 

 

23. I. 96

 

Daß dieses schlichte Buch dir Freude böte,

Das ich mich ängstlich dir zu reichen scheute,

Nach bangem Zaudern endlich wag ich’s heute,

Weil mild dein Wort des Jüngers Muth erhöhte. –

 

Auf deiner Stirne leuchtet Morgenröthe.....

Unsterblichkeit, so nennen sie die Leute;

Doch soll ich sagen, wie ich dich mir deute,

Dann nenn´ ich frei dich: deines Volkes Goethe!

 

Du bist ihm nicht „von ferne nachgeschritten“,

Da du gewußt, des Fauststroms Riesenbreiten

In deiner Sprache tönend Bett zu leiten!

 

Du hast gleich ihm oft so wie Faust gelitten,

Und sangst wie er manch Lied voll Seligkeiten! –

Groß stehst auch du hoch ob dem Qualm der Zeiten! –

 

in inniger Bewunderung,

hochwerter Meister,

 

René M. Rilke

 

Übersetzung der Einleitung: Katka Ringesová


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