Es schreibt: Michal Topor

(16. 2. 2015)

Seit 2013 erscheinen im Göttinger Verlagshaus Wallstein unter der Aufsicht Hans-Gerd Kochs und Hans Dieter Zimmermanns (sowie unter Mitarbeit Barbora Šrámkovás und Norbert Millers) sukzessive die Ausgewählten Werke Max Brods. Nach Herausgabe der ersten vier Bände (vgl. Echo vom 3. 2. 2014) wurde die Reihe im Jahr 2014 mit weiteren Publikationen fortgesetzt, so sind die Sammlung Über die Schönheit häßlicher Bilder. Essays zu Kunst und Ästhetik und der Roman Stefan Rott oder Das Jahr der Entscheidung (Erstveröffentlichung 1931) erschienen. Es folgten die Romane Der Sommer den man zurückwünscht und Beinahe ein Vorzugsschüler oder Pièce touchée (beide 1952; jetzt in einem Band) sowie der Prosaband Prager Tagblatt. Roman einer Redaktion (1968; separat). Die nachstehenden Zeilen sind den beiden erstgenannten Bänden gewidmet.

 

Das Buch Über die Schönheit häßlicher Bilder, das den Untertitel „Essays zu Kunst und Ästhetik“ trägt, kann bislang als kompositorisch kreativstes Projekt der Reihe gelten (erfreulich ist u. a. die Entscheidung, den Band mit einem Namensregister zu versehen). Die titelgebende Sammlung kleinerer Skizzen, die Brod noch vor dem Ersten Weltkrieg für den Leipziger Verlag Kurt Wolff zusammenstellte (veröffentlicht 1913 mit dem Untertitel „Vademecum für Romantiker unserer Zeit“), wurde von den Herausgebern um einundzwanzig ausgewählte „Essays“ aus den Jahren 1906–1968 ergänzt, wobei es sich vor allem um Arbeiten handelt, die in den 20er und 30er Jahren in der Zeitung Prager Tagblatt erschienen sind. Im Vorwort des Bandes, verfasst von Lothar Müller, wird an Brods Vermittlerrolle erinnert, deren Medium u. a. gerade die Feuilletonistik oder kulturkritische Essayistik gewesen sei. Die noch vor dem Ersten Weltkrieg zu suchenden Anfänge dieses Brod’schen Schaffensbereichs werden dabei zu einem zeitgenössischen Typus des Literatentums, einem gierig-flüchtigen Schreiben, in Beziehung gesetzt, das zugleich aufmerksam und nuanciert wesentliche Züge visueller, akustischer u. a. Sinneseindrücke bei der Passage des modernen Großstadtraums verzeichnet: Müller betont Brods „Kunst der Isolierung und Reflexion des Details, der Lektüre der Oberfläche, des Ausspinnens von Paradoxen und Pointen, des Flirts von großer Stadt und kleiner Form“(S. 13). Die Bemühungen, das Wesen dieses Schreibens zu erfassen, werden im Nachwort von Peter-André Alt unter Hinzuziehung einiger für Brods Selbstverständnis zentraler Begriffe (wie Dilettantismus, Indifferentismus und Romantismus) vertieft.

 

Problematisch erscheint mir insbesondere eine Stelle in Müllers Ausführungen, wo es in Bezug auf Brod heißt: „[…] von Beginn an war seine Autorschaft an ein Publikum weit über Prag hinaus adressiert, an die gesamte deutschsprachige Öffentlichkeit“ (S. 9). Gestützt wird diese These durch Verweise auf Brods umfangreiche Zusammenarbeit mit reichsdeutschen Periodika und Verlagen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Eine solche Betonung des ausländischen Publikations- und Rezeptionshorizonts eröffnet zweifellos eine wichtige Perspektive, die in der bisherigen Forschung zu den Aktivitäten deutschböhmischer und deutschmährischer Literaten eher zu kurz kommt (und dies nicht nur in bibliografischer Hinsicht). Allzu sehr in den Hintergrund gerückt wird hierdurch jedoch das Eingebettetsein von Brods Feuilletonistik in den Prager und regionalen Kontext, das u. a. in Brods Zusammenarbeit mit den Redaktionen der Prager Tageszeitungen Bohemia und Prager Tagblatt deutlich wird. Letztere fungierten zwar wahrscheinlich auch in reichsdeutschen Großstädten als wichtige Informationsquellen über das politische und kulturelle Leben der deutschsprachigen Gesellschaft Böhmens und Mährens, richteten sich jedoch primär – wie ich vermute – an ein einheimisches Lesepublikum.

 

Die These, die diese kontinuierliche Vorkriegsbindung Brods in den Hintergrund rückt, ist Resultat einer seit Jahren bestehenden heuristischen Lücke. Ein Verzeichnis der Texte, die Brod vor dem Ersten Weltkrieg im Prager Tagblatt veröffentlichte, findet sich bis dato nur verborgen in der Diplomarbeit Marie Silbernaglovás Kulturní rubrika deníku Prager Tagblatt v letech 1908–1916 [Die Kulturrubrik der Tageszeitung Prager Tagblatt in den Jahren 1908–1916] (1965, S. 15–18; zugänglich in der Bibliothek des Instituts für germanistische Studien an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag). Werner Kayser und Horst Gronemeyer, den Autoren einer grundlegenden Brod-Bibliografie (Hamburg, 1972), war diese Quelle entweder unbekannt oder sie haben, getreu ihrer Entscheidung, Artikel aus Tageszeitungen überhaupt nicht zu bibliografieren (einschließlich z. B. der Neuen Freien Presse, für die Brod ebenfalls schrieb), bewusst auf ihre Berücksichtigung verzichtet. In diesem blinden Fleck „verschwand“ dann für die folgenden Jahrzehnte mysteriöserweise auch die Tageszeitung Bohemia (siehe den Anhang zu diesem Text). Dabei ist die Entstehung einiger der 1913 in Brods Buch Über die Schönheit hässlicher Bilder aufgenommenen „Miniaturen“ gerade erst anhand dieser Periodika genauer datierbar. (Ähnlich unberücksichtigt blieb bei den bisherigen bibliografischen Versuchen die Wiener humoristische Wochenzeitung Die Muskete, in der Brod u. a. am 6. Februar 1908 den Text Der Frauen-Nichtkenner veröffentlichte und der er seine Texte spätestens ab Herbst 1905 bis – soviel ich weiß – 1912 anbot).

 

Die ausländischen Periodika, in denen Brod publizierte, fanden auch in Böhmen Resonanz, zumindest wurde hier über sie berichtet. Gleichfalls mit Kommentaren bedacht wurde das Buch Über die Schönheit häßlicher Bilder, und zwar auch in der tschechischsprachigen Presse. So konstatierte zum Beispiel Otokar Šimek: „Diese Feuilletons sind aus Prag hervorgegangen, sie reagieren auf das Prager Leben […]. Prag ist dem, der sich ‚Schriftsteller für Oesterreich und Deutschland‘ nennt, die wahre Heimat, an der er die Fremde mehr als einmal misst“ (Tři čeští Němci [Drei Deutschböhmen], Česká kultura 2, 1913/1914, Nr. 14/15, 9. 4. 1914, S. 229–231, dort S. 230). Es ist zu vermuten, dass einige von Brods Reflexionen zu Arbeiten der tschechischsprachigen Kunstszene gegenüber dem sonstigen deutschsprachigen Diskurs in Böhmen und Mähren (wenngleich unsere Vorstellungen von diesem als Ganzes bislang recht spärlich sind) sehr subversiv waren. So kann man sich in Anbetracht seines begeisterten Kommentars zu Kvapils Inszenierung von Schillers Wallenstein im Prager National- (bei Brod dem „tschechischen“) Theater wie auch in Anbetracht seiner Artikel zu einer Inszenierung von Arnošt Dvořáks Tragödie Král Václav IV. [König Wenzel IV.] oder zu Bedřich Smetana nur schwer der Frage erwehren, inwieweit wohl derlei Äußerungen den übrigen deutschsprachigen Bewohnern der böhmischen Länder zugesagt haben. Jedoch: War Brods fasziniertes Beschreiten der exotischen tschechischen Sphären, heute meist interpretiert als gottgefälliger Akt der Vermittlung, nicht eher Teil einer verfremdenden, das Ungewöhnliche suchenden Poetik und damit ein provokativer Gestus, der primär ästhetisch motiviert war? In Brods Abhandlung Zur Ästhetik (1906), welche die ergänzende Textauswahl des Bandes eröffnet, ist übrigens zu lesen: „Es giebt demnach nur ein einziges positives Kriterium des Schönen, d. i. relative Neuheit“ (S. 202).

 

Die Begleittexte zur Neuausgabe des Romans Stefan Rott oder das Jahr der Entscheidung versuchen vor allem die im Text evozierte Welt zu erklären. Dževad Karahasan macht hierbei das Wort/den Begriff „Atopon“, der eine Disproportion zwischen Erscheinung und Wesen bezeichnet, zum Kern seiner Interpretation, Norbert Miller erläutert (im Nachwort) verschiedene Motive und Bezüge und skizziert die Bedeutung der einzelnen Figuren. So verweist er u. a. auf die Masaryk-Episode am Ende des Romans (der Titelheld und dessen Freund eilen kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu dem berühmten Politiker und Philosophen, um ihn für ihren Friedensplan zu gewinnen, S. 536–539), ohne jedoch eine sehr ähnliche Passage aus Brods Buch Streitbares Leben (1960, S. 84–88) zu erwähnen. Auf die genannte Textpartie bezieht sich zudem ein seltsamer redaktioneller Lapsus: Wie im Text des Romans wird auch in der Einleitung von Millers Nachwort Masaryks Presseplattform, die Wochen- und später auch Tageszeitung Čas [Die Zeit], wiederholt als „Čaš“ wiedergegeben.

 

Was die Kommentatoren – offenbar geleitet von der Vorstellung eines Lesers, den dies nicht interessiert – völlig ausklammern, ist die zeitgenössische tschechischsprachige Rezeption des Romans. Dabei wurde dieser von der damaligen tschechischen Presse mit Interesse und Sympathien begrüßt (1934 brachte ihn dann der Verlag Sfinx in der Übersetzung Paul Eisners auf Tschechisch heraus). So konstatierte z. B. der Literaturkritiker Arne Novák, Brod habe in seiner „Studentenchronik der Vorkriegsgeneration vereint [...], worin ihm kaum einer seiner deutschen und tschechischen Zeitgenossen gleichkommt: eine tief erlebte Kenntnis der Prager Stadtseele wie auch sichere psychologische Kenntnisse über die Prager Einwohner beider Nationalitäten im Vorfeld des Weltkriegs. Wäre sein Buch nicht ein so interessanter Versuch einer psychologischen Interpretation individueller Schicksale und ein so achtenswertes Beispiel breit angelegter Erzählkunst, so behauptete es seinen Wert als einzigartiges Zeugnis der Stadt und ihrer Bewohner an einem bedeutenden geschichtlichen Wendepunkt“. Novák betont den „rührenden Gerechtigkeitssinn Brods“, der es ermögliche, „das komplizierte Phänomen einer oftmals tragischen Symbiose zweier seit Urzeiten aufeinander angewiesener Völker“ zu verstehen, „eines Phänomens, das noch kompliziert wird durch die Beteiligung eines äußerlich fluktuierenden, im Grunde aber sehr konstanten und bestimmenden jüdischen Elements“ (Lidové noviny 40, 1932, Nr. 29, 17. 1., S. 9; siehe weiter z. B. Paul Winter: Nový pražský román Maxe Broda [Max Brods neuer Prag-Roman], Rozpravy Aventina  7, 1931/1932, Nr. 18, 21. 1. 1932, S. 148; Pavel Eisner: Pět německých románů [Fünf deutsche Romane], Lumír 58, 1931/1932, Nr. 6, 17. 4. 1932, S. 345–347, dort S. 345–346; vgl. auch Paul Eisner: Der Schüler Dlouhý. Hinweis auf eine Gestalt, Prager Presse 12, 1932, Nr. 208, 31. 7., Beilage Dichtung und Welt, Nr. 31, S. III).

 

Der Versuch, Brods Texte allmählich wieder in Umlauf und eventuell in eine kritische Diskussion zu bringen, ließe sich auch mit rein freundlichen Worten über das Verdienst dieser erneuten Sichtbarmachung bedenken. Das aktuelle verlegerisch-editorische Projekt hat vielleicht das Pech, dass es durch sein bloßes Erscheinen den fragmentarischen Charakter, die Verstreutheit, ja das Fehlen grundlegender bibliografisch-textologischer – und übrigens auch literaturhistorischer – Anhaltspunkte in Erinnerung ruft, auf die man sich weiterhin mit Gewinn stützen könnte, so z. B. auch in weiteren anregenden Interpretationsanläufen.

 

Übersetzung Ilka Giertz

 

 

ANHANG

 

Ausgangspunkt dieser Auflistung waren die kontinuierlich erstellten und veröffentlichten Übersichtsbibliografien in den Vorkriegsausgaben der Monatszeitschrift Deutsche Arbeit.

 

 

Betrachtungen. Bohemia 78, 1905, Nr. 190, 13. 7., Beilage, S. 1 [Zur „Philosophie“; Zur „Kunst“; Sieg! Sieg!; Sonderbare Betrachtung].

 

Baron Fritz. Bohemia 78, 1905, Nr. 304, 4. 11., Beilage, S. 1.

 

Der Rezitator. Bohemia 78, 1905, Nr. 354, 24. 12., Weihnachtsbeilage, S. 8.

 

So lange ich ihn liebe. Bohemia 78, 1905, Nr. 356, 28. 12., Beilage, S. 1–2.

 

Gute Kameraden. Bohemia 79, 1906, Nr. 6, 7. 1., Beilage, S. 1–2 [die bibliografische Übersicht, abgedruckt in Deutsche Arbeit 5, 1905/1906, Nr. 6, März 1906, S. 448, schreibt den Text Max Brod zu; die Prosaarbeit selbst erschien jedoch unterzeichnet von Max Milrath, seinerzeit Pädagoge des staatlichen deutschen Neustädter Gymnasiums in Prag; vgl. auch: Max Milrath: Man wundert sich. Bohemia 80, 1907, Nr. 304, 3. 11., Prager Frauen-Zeitung 3, Nr. 44, S. 322–323.].

 

Symbol. Bohemia 79, 1906, Nr. 158, 10. 6., Prager Frauen-Zeitung 2, Nr. 23, S. 30.

 

Marotten. Bohemia 79, 1906, Nr. 223, 14. 8., Beilage, S. 1.

 

Die kleine Rache. Bohemia 79, 1906, Nr. 332, 2. 12., Prager Frauen-Zeitung 2, Nr. 48, S. 343.

 

Höchste Kultur. Bohemia 79, 1906, Nr. 354, 25. 12., Weihnachtsbeilage, S. 5.

 

Jumalai-Gedichte. Der Magier und der Mond. Bohemia 80, 1907, Nr. 83, 24. 3., Prager Frauen-Zeitung 3, Nr. 12, S. 90.

 

Vier winzige Romane [Ueber Eleganz; Ballszene; Stacatissimo; Unglückliche Liebe]. Bohemia 80, 1907, Nr. 102, 14. 4., Prager Frauen-Zeitung 3, Nr. 15, S. 113–114.

 

Inneres und äußeres Gespräch am Strande. Eine Situation. Bohemia 80, 1907, Nr. 269, 29. 9., Prager Frauen-Zeitung 3, Nr. 39, S. 281.

 

Der allerletzte Brief. Bohemia 80, 1907, Nr. 356, 25. 12., Weihnachtsbeilage, S. 5.

 

Der Untergang. Roman eines Gemütlosen. Bohemia 81, 1908, Nr. 90, 31. 3., Beilage, S. 5–6, Nr. 91, 1. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 92, 2. 4, Beilage, S. 3–4,Nr. 93, 3. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 94, 4. 4., Beilage, s. 3–4, Nr. 95, 5. 4., Beilage, S. 5–6, Nr. 97, 7. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 98, 8. 4., Beilage, s. 5–6, Nr. 99, 9. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 100, 10. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 101, 11. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 102, 12. 4., Beilage, S. 5–6, Nr. 104, 14. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 105, 15. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 106, 16. 4., Beilage, S. 5–6, Nr. 108, 18. 4., Beilage, S. 3–4, Nr. 109, 19. 4., Oster-Beilage, S. 13–16 [Reihe zum Ausschneiden mit eigener Seitenzählung].

 

Abend (Nach dem Französischen des Charles Cros). Bohemia 81, 1908, Nr. 355, 25. 12., Weihnachtsbeilage, S. 8.

 

Jules Laforgue. Bohemia 82, 1909, Nr. 31, 31. 1., Sonntagsbeilage, S. 33–34.

 

Braun. Bohemia 82, 1909, Nr. 94, 4. 4., Prager Frauen-Zeitung 5, S. 39 [Gedicht].

 

Steine, nicht Menschen. Bohemia 82, 1909, Nr. 101, 11. 4., Oster-Beilage, S. 35 [Gedicht].

 

Vom Tode. Bohemia 82, 1909, Nr. 157, 9. 6., S. 1–3.

 

Ein Besuch in Prag. Bohemia 82, 1909, Nr. 278, 8. 10., S. 1–3.

 

Die Schwester. Bohemia 82, 1909, Nr. 294, 24. 10., Prager Frauen-Zeitung 5, Nr. 43, . S. 1–3.

 

Die Willemer. Goethes Briefwechsel mit Marianne v. Willemer. Herausgegeben von Philipp Stein. Leipzig, Inselverlag. Bohemia 82, 1909, Nr. 314, 14. 11., Sonntagsbeilage, S. 33.

 

Das lustige Theater. Bohemia 83, 1910, Nr. 86, 27. 3., Osterbeilage, S. 37.

 

Der anonyme Brief. Bohemia 84, 1911, Nr. 284, 14. 10., S. 1–3.

 

Die Heilung. Bohemia 84, 1911, Nr. 351, 20. 12., S. 1–2.

 

Gymnasium. Bohemia 85, 1912, Nr. 96, 7. 4., Osterbeilage, S. 40 [Ausschnitt aus dem Roman Arnold Beer, das Schicksal eines Juden].


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