Es schreibt Michal Topor

(Echos, 27. 10. 2014)

Das Werk von Fritz Mauthner sowie von Auguste Hauschner, beide Prager, die jedoch die Stadt in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre verlassen haben (um nach Berlin zu gehen), ist in der tschechischsprachigen Welt mit einem Fluch behaftet: im ersten Fall durch den Argwohn oder gar den schlechten Ruf, im zweiten Fall durch das Nichtvorhandensein jeglicher Übersetzung (wobei dies bei Mauthners Werk nicht viel besser aussieht). Neuerdings lässt sich jedoch auch hier die Entfaltung eines fundierten Forschungsinteresses feststellen, das vor allem an die jahrelange Rezeption von Mauthners Kritik der Sprache und deren Verortung in der Ideengeschichte im Ausland anknüpft (zuletzt beispielsweise: Karsten Rinas: Analyse oder Akrobatik? Zur Beurteilung von Fritz Mauthners Sprachkritik, Brücken 19, 2011, Nr. 1/2, S. 201–219; Jacques Le Rider: Fritz Mauthner, scepticisme linguistique et modernité: Une biographie intellectuelle, Paris, Bartillat 2012). Mauthners Betrachtung der Sprache widmete sich die tschechische Germanistin Veronika Jičínská bereits in ihrer Dissertation, nun legte sie eine neue Publikation über die Böhmischen Themen bei Fritz Mauthner und Auguste Hauschner vor. Das Buch, eingeleitet mit einer Übersicht grundlegender Forschungsliteratur zu Mauthner (S. 9–12), wurde in diesem Jahr als dritter Band der Monographie-Reihe Studia Germanica der Philosophischen Fakultät der Universität J. E. Purkyně in Ústí nad Labem (Aussig) herausgebracht.

 

Auf Grundlage theoretischer Konzepte von Homi K. Bhabha und Benedict Anderson skizziert die Autorin in den Einführungskapiteln den damaligen Zeitkontext, d. h. politische Tendenzen und Spannungen, die die Atmosphäre der Habsburgermonarchie in den letzten Jahrzehnten ihrer Existenz (seit den ausgehenden 1840er Jahren) prägten, den Streit zwischen Liberalismus und den unterschiedlichen Nationalismen; in diesem Zusammenhang beschäftigt sie sich auch – auf das Wesentliche reduziert – mit der Frage der jüdischen Assimilation in dieser Gesellschaft. Auch in den Eingangsteilen der zunächst Mauthner und danach Hauschner – geteilt – gewidmeten Kapitel wird zuerst deren biographischer Hintergrund skizziert.

 

Mauthners (1849–1923) chronologisch gehaltene biographische Skizze basiert größtenteils auf den Einträgen, die sich verstreut in seinen Erinnerungen finden (publiziert erstmals 1918). Die Textanalyse und Interpretation in der einleitenden Sequenz  beziehen sich auf diese Quelle; die Autorin weist auf den Kontext, die ersichtliche Entstehungs- sowie Kompositionsintention des Erinnerungstextes hin, u. a. auf das Bestreben des Verfassers, dadurch eine gewisse – und zwar sprachkritische, persönliche– ideelle Laufbahn zu erklären und parallel dazu auch die eigenen konfessionellen oder nationalen Einstellungen. Mauthners Verständnis der eigenen Identität, ohne einen eindeutige Zugehörigkeit zusammengesetzt aus Judentum, Deutschtum und einzelnen Phänomenen aus der tschechischsprachigen Welt (Mauthner musste am Prager Piaristengymnasium Tschechisch lernen!), setzt sie der Konstruktion der „Distanzliebe“ gegenüber, die Max Brod – ebenfalls retrospektiv – vertrat (S. 61–62). Die „böhmischen Themen“, sprich die Konfiguration der Spannungen und Verwicklungen, die in das „böhmische“ mehrsprachige und transnationale Umfeld gesetzt worden sind, werden hier anhand einer sorgfältigen und fokussierten Lektüre von Mauthners Romanen Der letzte Deutsche von Blatna (1887) und Die böhmische Handschrift (1897) untersucht. Die Autorin umreißt die grundlegende Struktur der darin vorgestellten Welten, mit besonderer Berücksichtigung konkreter Merkmale der angewandten Erzählstrategien, Polarisierungs- und Stereotypisierungsverfahren in Bezug auf die de facto politischen Zusammenhänge – auf die Manifestation des Widerstands gegen den tschechischen Chauvinismus: in der Konfrontation mit den empfundenen, aufkommenden machtpolitischen, demographischen und weiteren Marginalisierungen der deutschsprachigen Bevölkerung in den Böhmischen Ländern (der besonnene Deutsche steht hier dem streitlustigen Tschechen gegenüber) oder aber mit der kämpferischen nationalistischen Symbolik, die sich auf die gefälschten tschechischen Manuskripte stützte.

 

In dem Kapitel, das die „böhmischen Themen“ im Werk von Hauschner (18501924) beleuchten will, folgt dem biographischen Umriss eine Deutung anhand von drei Romanen (Die Familie Lowositz, 1908, Rudolf und Camilla, 1910 und Der Tod des Löwen, 1916) als dreifache Reflexion des Judentums in der Geschichte. Den ersten Roman las die Autorin als ein Beispiel für eine schwierige, zerrissene und gleichzeitig erstaunlich offene Existenz eines jüdischen Intellektuellen (Sohn einer gutbürgerlichen Familie) in einer sprachlich, national, konfessionell, politisch, künstlerisch usw. hybriden Großstadt, und zwar in Prag zwischen 1873 und 1881; den zweiten Roman Rudolf und Camilla (der inhaltlich anschließt) als eine Geschichte der gescheiterten künstlerischen und emanzipatorischen Bemühungen der Protagonistin. Schließlich wurde auch der dritte Roman Der Tod des Löwen gedeutet als eine pure zeitliche Reflexion einer grundsätzlichen Ambivalenz der Stellung des Judentums in einer modernen, nicht selten antisemitisch orientierten Umgebung. In dieser Welt, die am Abgrund laviert, steht der Jude für einen geheimnisvollen Eingeweihten des Wissens, immun gegen jegliche technizistische Erkenntnis, sowie für ein gefährliches Monstrum, vor dem es sich zu schützen gilt. Jičínská bietet diese Interpretation des Romans, in dem eine neuromantisch magische, stark metaphorische Darstellung des spätrudolphinischen Prags dominiert, vor dem Hintergrund der tradierten (jedoch vor allem im deutschsprachigen Raum) Erzählung von Prag und dem Golem und gleichzeitig in Polemik mit einer rein exotisierenden Lesart dieser Sage.

 

Veronika Jičínská versetzt sich mit dem vorgelegten Text ganz offensichtlich nicht in die Rolle der Richterin, sondern sie erklärt und analysiert. Schon das sympathisch anmutende Lithographie-Gesicht auf dem Titelbild erinnert in keinster Weise an das von Paul Eisner dämonische, Porträt Mauthners als ein Prototyp jüdischer Assimilierter und Intellektueller „pangermanischer Art“, „slawophober“, grässlicher und undankbarer Monstren – „ungerechter, unverbesserlicher Affen des Pangermanismus“ (in seinem Essay Mezi národy [Zwischen den Völkern], Lumír 59/8, Juni 1933, S. 450), und in dieser Hinsicht kann die Arbeit von Jičínská in ihrer Sachlichkeit sicherlich zu einer weiteren Debatte über das tatsächliche Verhältnis der beiden Autoren zur tschechischsprachigen Gesellschaft, zu tschechischsprachigen kulturellen Leistungen, Ereignissen und Bemühungen beitragen.

 

Anmerkung (ml): die gefälschten tschechischen Manuskripte – die sog. Königinhöfer und Grünberger Manuskripte (tsch. rukopis Královédvorský bzw. Zelenohorský), Handschriften-Fälschungen aus dem frühen 19. Jahrhundert, sollten während der „nationalen Wiedergeburt“ im 19. Jahrhundert das alte, bis ins ausgehende 13. Jahrhundert hinreichende kulturelle Erbe der Tschechen belegen. Tatsächlich verursachten die Manuskripte eine lange andauernde wissenschaftliche Debatte um die Echtheit dieser Dokumente, die sich bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zog.

 

Übersetzung: Martina Lisa


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