Es schreibt Jozo Džambo

(Echos, 23. 6. 2014)

Als zwei Jahre vor der Bayerischen Landesausstellung „Bayern – Böhmen: 1500 Jahre Nachbarschaft“, die 2007 in Zwiesel gezeigt wurde, am selben Ort eine Fachtagung als Vorbereitung dieser Ausstellung organisiert wurde, wussten die Veranstalter der Konferenz sehr wohl, dass die Forschung das Verhältnis Bayern – Böhmen bisher vornehmlich als ein politisches behandelt hatte; aus diesem Grund setzten sie sich das Ziel, „sich nicht nur mit Gebieten oder Herrschaftsterritorien, sondern vor allem mit den Menschen, mit ihren Beziehungen, Kulturen und Konflikten zu befassen“ (so in der Einführung zum Tagungsband Bayern und Böhmen. Kontakt, Konflikt, Kultur, hrsg. von Robert Luft und Ludwig Eiber, München 2007, S. VIII). Das Ergebnis sowohl der Ausstellung als auch der Konferenzbeiträge wurde diesem Vorhaben gerecht; die Ausstellung wurde zu einem großen Erfolg. Sie zeigte außerdem, dass zumindest im Bereich der Kultur und Wissenschaft Kontakte zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind und dass Konflikte, die es in der Geschichte zuhauf gegeben hat, nüchternes Forschungsthema geworden sind.

 

Die zitierten Herausgeber Luft und Eiber beklagten jedoch, dass bei ihrem Vorhaben manch wichtiger Aspekt ausgeblendet werden musste, da der jeweilige Forschungsstand noch nicht weit genug gediehen war oder keine entsprechenden Referenten gewonnen werden konnten.

 

Kontakte im Bereich der bildenden Künste zählen nun gerade nicht zu diesen Desiderata. Es sei hier stellvertretend für viele Einzeldarstellungen und Projekte der von Beket Bukovinská und Lubomír Konečný herausgegebene Sammelband München – Prag um 1600 (Studia Rudolphina, Sonderheft, Prag: Artefactum 2009) erwähnt. Zum Themenkomplex München – Prag schrieben auch Zdeněk Hojda, Birgit Jooss und andere.

 

Die ab 2005 am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München durchgeführte Tagungsreihe „Forschungen zur Künstlerausbildung“, die als Beitrag zum 200jährigen Jubiläum der Münchner Akademie der bildenden Künste (gegr. 1808) gedacht war und München als ein „europäisches Zentrum der Künstlerausbildung“ würdigen wollte, bildete eine solide Grundlage für weitere Forschungen und regte diese an. Die diesbezügliche Forschung wurde durch die mustergültige digitale Edition der Matrikelbücher der Akademie (http://matrikel.adbk.de) erleichtert.

 

Dank dem Akademiejubiläum und den in diesem Rahmen organisierten Begleitveranstaltungen ist auch der vorliegende durchgehend zweisprachige und reichlich illustrierte Sammelband Mnichov – Praha. Výtvarné umění mezi tradicí a modernou. München – Prag. Kunst zwischen Tradition und Moderne (hrsg. von Taťána Petrasová und Roman Prahl, Praha, Academia 2012) entstanden. Die tschechischen Kunsthistoriker stellen mit der Publikation die Ergebnisse ihres Vorhabens vor, „den tschechischen Anteil am internationalen Renommee der Münchner Akademie und sein Echo im heimischen Kunstgeschehen mit eigenen Kräften herauszustellen“ (S. 9). Somit wurde in die Betrachtung nicht nur München als Ausbildungsort der tschechischen Künstler, sondern auch die Wirkung „Münchens“ in Böhmen, insbesondere in Prag, einbezogen.

 

Der Prager Kunsthistoriker und Professor an der Karlsuniversität Roman Prahl hat schon in seinem Beitrag im oben erwähnten Tagungsband Bayern und Böhmen gezeigt, wie intensiv diese Kontakte um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren, welche Rolle die Kunststadt München für die Ausbildung böhmischer Künstler spielte, wie die „Münchner Schule“ ihren Einfluss ausübte und sich zwischen Wien, Paris, Düsseldorf und Berlin behauptete. Was hier skizzenhaft vorgestellt wurde, findet sich ausführlich und facettenreich in dem Band München – Prag.

 

Die Leser dieses Sammelbandes sind gut beraten, wenn sie sich vor der Lektüre der Beiträge die beiden im Anhang publizierten Beilagen vornehmen, nämlich die Verzeichnisse „Künstler aus München auf der Prager Jahresausstellung in den Jahren 1840–1900“ (I) und „Künstler aus den böhmischen Ländern in München in den Jahren 1814–1900“ (II). Auch wenn dies „nur“ Namenslisten mit Lebensdaten und, falls bekannt, knappen einschlägigen Angaben sind, vermitteln sie ein aussagekräftiges Bild von den künstlerischen Beziehungen zwischen Prag und München.

 

In den beiden Verzeichnissen tauchen mehrere Namen auf, die mit Fragezeichen versehen sind und die man heute in keinem Nachschlagewerk finden kann. Die Kunsthistoriker werden sich noch lange nicht nur mit den „großen“, sondern auch mit diesen „abseitigen“ und unscheinbaren Künstlernamen beschäftigen und werden dabei zweifelsohne manche interessante Biographie entdecken. Vielleicht wird dabei wenig „Künstlerisches“, aber für die Geschichte des breiten Themas „München – Prag“ noch manche Überraschung zum Vorschein kommen.

 

Es genügt, wenn man nur einige wenige Namen anführt, die ihr Kunststudium entweder teilweise oder vollständig in München absolviert haben, um einen Eindruck zu vermitteln, wie wichtig die Kunststadt für die aus Böhmen stammenden Künstler war: Václav Brožík, Jaroslav Čermák, Antonín Chittussi, Ludvík Kuba, Václav Levý, Josef Mánes, Gabriel von Max, Julius Mařák, Luděk Marold, Alfons Mucha, Emil Orlik, Karel Purkyně, Antonín Slavíček, Josef Ženíšek. Gabriel von Max (1840–1915), einst Schüler Carl Theodor von Pilotys, blieb in München, wurde sogar in den bayerischen Personaladel erhoben, avancierte zur unbestrittenen Größe, und als solche unterrichtete er junge Künstler, ohne eine eigene „Schule“ gebildet zu haben. Seine Privatstudenten waren beispielsweise Edvard Neumann (1862–1937) und Jakub Schikaneder (1855–1924), der später Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Prag wurde. Dem „Malerstar, Darwinisten und Spiritisten“ von Max war vom Oktober 2010 bis Januar 2011 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München, eine repräsentative Schau gewidmet, in der auch das Thema München – Prag berücksichtigt wurde („Gabriel von Max und Tschechien“ – wiederum ein Beitrag von Roman Prahl).

 

In der Liste der Kunststudenten taucht unter anderen der Name Rudolf Bruner-Dvořák (1861–1921) auf, der mit dem Kürzel M (= Maler) versehen ist, da er 1883 an der Kunstakademie eingeschrieben war. Für seinen späteren Beruf war jedoch das Studium der Fotografie bei Karl Teufel im Jahr 1886 entscheidend. Bruner-Dvořák entwickelte sich zum bedeutendsten Fotografen in Böhmen um 1900 und wurde bekannt vor allem als Privat- oder Hoffotograf des Erzherzogs Franz Ferdinand. Bruner-Dvořák war in seiner Münchner Zeit auch Mitglied des Vereins „Škréta“, jenes 1885 gegründeten Vereins der jungen tschechischen Künstler, der in seinen Darbietungen in der Tat etwas Jugendlich-Spielerisches hatte, aber mit seiner Wirkung nicht auf München beschränkt blieb, sondern auch in der Kunstszene Prags eine Rolle spielte. Die Wahl des Vereinsnamens hatte etwas Symbolhaftes; der Maler Karel Škréta (1610–1674) verbrachte ein Jahrzehnt im Exil, kehrte dann nach Prag zurück und beteiligte sich maßgebend am Kunstleben seiner Geburtsstadt. Der Sammelband thematisiert in mehreren Beiträgen die Wirkung der „Münchner“ in Prag und überhaupt die vielfältigen Relationen zwischen den beiden Kunstmetropolen, so dass der Titel Mnichov – Praha/München – Prag den beiden Zentren voll Rechnung trägt.

 

Einer der aktivsten Künstler in dem Verein „Škréta“ war Alfons Mucha, als Vereinspatron galt Mikoláš Aleš, der „in seiner Reputation den Ruf eines kämpferischen tschechischen Patrioten mit der Position eines enfant terrible“ vereinigte (R. Prahl, S. 206). Der „Patriotismus“ dieser böhmischen Studenten wäre durchaus ein lohnenswertes Forschungsthema. Der Sammelband bietet dazu eine Fülle an Beispielen und Hinweisen; allein die darin abgebildeten Motive lassen erahnen, in welchen historischen und patriotischen Gewässern sich die Künstler explizit oder andeutungsweise bewegten. Sicher war Muchas „Slawisches Epos“ ein Werk viel späteren Datums und eine Auftragsarbeit großen Stils, aber sind nicht schon in seiner Münchner Zeit deutliche Anzeichen dieser Tendenz feststellbar? M. Aleš’ Hang zu Historie und Folklore sind in seinen Illustrationen zum tschechischen Gemeingut geworden, freilich ohne mit Muchas Popularität und touristischer Attraktivität heute mithalten zu können.

 

Mit München – Prag liegt ein Werk mit klarer Konzeption und konsequenter Umsetzung vor. Als einer seiner Vorzüge zählt die Entscheidung der Herausgeber, im Anhang zu den einzelnen wissenschaftlichen Beiträgen auch einschlägige Dokumente abzudrucken, die als Zitate zu umfangreich wären und in dieser Form voll zur Geltung kommen. Somit bietet das Buch mit dieser Auswahl eine Anthologie en miniature, die man auch gesondert lesen kann. Die Forscher anderer „nationalen Schulen“ und ihrer Beziehungen zu der Münchner Akademie haben jetzt ein Musterbeispiel, wie eine solche Arbeit gemacht werden könnte. Ein Buch also, das zum Nachahmen anspornt.


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