Es schreibt: Matouš Jaluška

(E*forum, 28. 9. 2022)

Die graphische Gestaltung des neuen Buchs über Johannes von Schüttwa (bekannter als Johannes von Saaz, bzw. Johannes von Tepl) erinnert auf den ersten Blick an landeskundliche Publikationen, die meistens Ergebnisse der heiligen Begeisterung regionaler Kulturschaffenden sind. Die Publikation wurde von dem Mikuláš-Verein im Tauser Verlag Nakladatelství Českého lesa [Oberpfälzer Wald Verlag] herausgegeben, der sich auf diese Art Publikationen spezialisiert. Unter der Schirmherrschaft des oben genannten Vereins und unter der Leitung des Pilsner Germanisten und Historikers Jiří Stočes schauen die Autoren allerdings viel weiter über die Grenze der kleinen Region hinaus. Sie gehen von einer neuralgischen Region aus, beschreiten dann auch andere, bewegen sich im heutigen Grenzgebiet von Taus bis Gablonz an der Neiße, sie verfolgen das Leben des Protagonisten, das sich höchstwahrscheinlich in Prag im Jahr der Hinrichtung von Johannes Hus (oder ein Jahr davor) schloss. Die Autoren hatten vor, eine Publikation über lokale Inhalte mit globaler oder wenigstens internationaler Wirkung vorzulegen. Deshalb ist das Buch auch zweisprachig, d. h. tschechisch und deutsch.

 

Im Titel wird Johannes als Beamter, Dichter und Mythos bezeichnet, und die Autoren halten sich bei ihren Ausführungen an diese Vorgabe. Die erste Abteilung bringt Beiträge von Jiří Stočes, Jan Mareš und Jan Hrdina. Alle drei widmen sich dem Leben von Johannes und beschreiben ihn als unehelichen Sohn eines Pfarrers, der sich v. a. dank seiner organisatorischen Fähigkeiten und seiner Beamtenakribie durchsetzen konnte. Das Dorf verlassend, geriet er (wahrscheinlich nach einem Aufenthalt im Kloster Tepl) nach Saaz, dort wurde er zum Schreiber, Notar und Leiter der Lateinschule, im hohen Alter übersiedelte er dann nach Prag, um die Leitung der Prager Neustädter Kanzlei zu übernehmen. Die zweite Buchabteilung konzentriert sich auf die Gedenkgegenstände, die Johannes als Beamter hinterließ: auf Kopialbücher und Formularsammlungen in Saaz (Tomáš Velička) und auf das Gedenkbuch der Prager Neustadt (Jan Hrdina). Die dritte Abteilung (Beiträge von den gleichen Autoren wie in der ersten Abteilung) bringt eine Ergänzung der Aktivitäten von Johannes, indem sie die menschlichen Netzwerke beschreibt, deren Teil er – in der Rolle des Schreibers, Notars sowie des Dichters – an diversen Orten war.

 

Interesse zieht Johannes von Schüttwa v. a. als Autor des Ackermanns aus Böhmen, eines deutsch geschriebenen „kleinen Buchs von europäischer Bedeutung“ an, das Jakub Sichálek in der vierten Abteilung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Bei der Interpretation geht er v. a. von der regelmäßigen Struktur dieses Werks aus, das aus einer Reihe von Repliken zwischen dem intellektuellen „Ackermann, dessen Pflug aus Vogelgewand“ sei, besteht und dem Tod, der ihn der geliebten Ehefrau beraubte. Der Text wird hier als eine Gerichtsverhandlung von zwei zu verteidigenden Positionen präsentiert: dem Naturrecht des Todes einerseits und dem Anspruch des Ackermanns auf Leben sowie die Menschenwürde andererseits, denn der Mensch wurde von Gott geschaffen und wird von Gott erlöst. In Sicháleks Deutung kann dieses Streitgespräch allein Gott überwinden, und deshalb geht die Rede des Ackermanns letzten Endes in ein Gebet über. Es ist ein wenig schade, dass der Autor sich im Zusammenhang mit diesem Gebet praktisch nur den Wortspielen widmet und dessen Pragmatik und mehr oder weniger auch die Funktion der Pointe ignoriert.

 

Bei der Behandlung der Entstehungsumstände hält Sichálek sich an zwei klare Jahresangaben: es geht um das Jahr 1400, das im Ackermann mit dem Tod der geliebten Frau assoziiert wird. 1404 (die zweite konkrete Jahresangabe) schickte Johannes von Schüttwa ein lateinisches Schreiben an den Prager Bürger Peter Rothirsch, in dem er sein libellus Ackermann charakterisierte als „eine Art Abwehr gegen das unabwendbare Geschick, sterben zu müssen“. Dieses Schreiben ist in einer Abschrift aus der Hälfte des 15. Jahrhunderts erhalten geblieben und nach seiner Entdeckung im Jahre 1933 wurde es für einen universellen Schlüssel für die Deutung des Ackermanns gehalten. Sichálek relativiert diese Bedeutung des Briefs allerdings und erinnert an seinen konventionellen Charakter sowie an die Anpassung des Textes an einen konkreten Adressaten. In einem ähnlichen Ton (und genauso plausibel) zügelt er die Begeisterung über die angebliche „literarische Dreisprachigkeit“ von Johannes von Schüttwa. Dieser Passus geht fließend in Überlegungen über die Beziehung zwischen dem Ackermann und dem alttschechischen Tkadleček über. Auch hierbei ist die Struktur des behandelten Textes für Jakub Sichálek in erster Linie maßgebend. Eine Ähnlichkeit zwischen beiden Texten findet er v. a. darin, dass beide Texte sich auf die gleichen Quellen stützen, die gleichen Motive und literarischen Strategien aufweisen, die in Tkadleček allerdings unterschiedliche Funktionen erfüllen. Tkadleček wirkt deshalb im Grunde nicht wie ein Dialog, sondern eher wie ein Traktat.

 

Im Unterschied zu Tkadleček genoss der deutsche Text am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit eine unbestreitbare Popularität, man kennt ihn (bis 1550) aus siebzehn Handschriften und fünfzehn Drucken. In einem Kapitel, das sich Sicháleks Überlegungen organisch anschließt, widmet Bořek Neškudla sich den Spezifika der Überlieferung des Textes. Er beschäftigt sich mit den illustrierten Textversionen, mit dem handschriftlichen Kontext, aufgrund dessen man den üblichen Umkreis der Rezipienten von Ackermann v. a. „in der mittleren Schicht des Bürgertums“ suchen soll, und behandelt ferner auch die bereits erwähnten unklaren Entstehungsumstände.

 

Die fünfte Abteilung wurde dem Egerer St.-Hieronymus-Offizium gewidmet. Mit Johannes verbindet es der abschließende lateinische Kolophon, der in ein deutsches Gedicht übergeht und „Johannes, den Notar und Leiter eine Schule in Saaz“ als Donator dieser exklusiven Handschrift bezeichnet. Eliška Baťová macht die Leser hauptsächlich mit dem breiteren Kontext bekannt – sie behandelt das System des Stundengebets und die Rolle des Kultes des Hl. Hieronymus von Stridon als Übersetzer und „Slawe“ in den Kulturstrategien der Intellektuellen um Karl IV.; dieses Kapitel ist sehr informativ, vielleicht allerdings zu allgemein, im Anschluss an die Beiträge über den Ackermann wäre ein umfangreicher Bericht über die Textänderungen in der Hieronymus-Legende an dieser Stelle wahrscheinlich passender, die (höchstwahrscheinlich) Johannes von Schüttwa vorgenommen hatte und dadurch den von Jacobus de Voragine überlieferten Text modifizierte. Milada Studničková konzentriert sich im Folgenden auf die Illuminationen der einzigartigen Handschrift des Egerer Offiziums, das heute unter der Signatur XII A 18 in der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag (Knihovna Národního muzea) bewahrt wird. Genauso wie in den Kapiteln von Jakub Sichálek werden auch hier althergebrachte Behauptungen hinterfragt – z. B. die Vorstellung, dass in der Rolle des Donators auf dem ersten Folium Johannes von Schüttwa abgebildet ist.

 

Die folgenden Beiträge von Štěpán Zbytovský, Milada Krausová und Jiří Stočes lassen sich gemeinsam als eine Erzählung über die Neuentdeckung Johannes‘ von Schüttwa anhand des Ackermanns aus Böhmen im 19. Jahrhundert lesen, über die politische Instrumentalisierung des Textes zur Zeit des wachsenden Nationalismus sowie über den Paradigmenwechsel, zu dem es nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach der Vertreibung kam. In der Gemeinschaft der Vertriebenen verlor der Saazer Schreiber die Funktion des emblematischen Dichters, der die Überlegenheit der deutschen über der tschechischen Kultur im späten Mittelalter beweisen sollte, und er wurde zu einem allgemeineren Symbol von Leid und Streben nach Versöhnung. So geriet er in den Namen der „Ackermann-Gemeinde“, die sich um ein gutes Zusammenleben deutscher und tschechischer Nachbarn „unabhängig von der Nationalität und der Sprache“ bemüht. Die Autoren der vorliegenden Publikation unterstützen dieses Anliegen explizit. Die drei bereits erwähnten Autoren der sechsten Abteilung ergänzt Vlasta Reittererová mit ihrem umfangreicheren Beitrag zum Thema der Dramatisierungen und Vertonungen des Ackermanns ideal – und sie erwähnt auch die Schicksale der Künstler, die oft emigrieren mussten.

 

Das Buch lässt sich v. a. als eine Art Einführung in die Forschung über Johannes von Saaz und als eine Art „companion“ zu dessen Ackermann verstehen. Das im Vorwort von Jiří Stočes gesteckte Ziel, die aktuelle Forschung dem Laienpublikum zu vermitteln, wurde erreicht. Diese Forschung kennzeichnet ein relativ hohes Maß an Unsicherheit, und den AutorInnen gelingt es, diese Unsicherheit als ein unvermeidbares Moment bei der Lektüre alter Texte und nicht nur als ein Hindernis auf dem Weg zum historischen Johannes zu präsentieren. Dabei stimmen sie miteinander nicht immer überein – so arbeitet Bořek Neškudla etwa mit der Vorstellung des Urtextes von Johannes‘ Schreiben, der von den erhalten gebliebenen Versionen erheblich abweichen dürfte, während laut Jakub Sichálek ähnliche Vermutungen „nicht plausibel wirken“ und es gäbe keinen Grund, sich mit ihnen tiefer auseinanderzusetzen, denn man fände auch ohnedies genug ungelöste Geheimnisse um den Ackermann.

 

Sehr sympathisch finde ich ferner, dass alle Autoren systematisch mit materiellen Artefakten arbeiten – d. h. mit Stadtbüchern und Handschriften, im Falle der neueren Geschichte mit Gedenktafeln und Denkmälern (die hier als Ganzes überhaupt zum ersten Mal behandelt wurden). Als eine Art Pointe der Publikation fungiert der Bericht über die Rekonstruktion der St.-Nikolaus-Kirche in Johannes‘ Geburtsort Schüttwa (tsch. Šitboř, heute Teil von Poběžovice im Bezirk Domažlice), die der Architekt Jan Soukup, einer der Impulsgeber dieser Aktion, realisiert hatte.

 

Ein gewisser Nachteil der Publikation ist allerdings der Mangel an konkreteren Hinweisen auf referenzielle Studien, auf die der Leser (etwas zwischen dem Laienpublikum und Spezialisten, d. h. ein interessierter, belehrter Laie, insbesondere Studierende) zurückgreifen könnte. Einige wichtige Forscher (etwa Leopold Zatočil) werden im Fließtext erwähnt, in der abschließenden Bibliographie fehlt jedoch jedweder Hinweis auf ihre Studien. Die Schlüsselinformationen werden ferner auf den ersten Blick nicht intuitiv verteilt, und die einschlägigen Fußnoten führen manchmal in Sackgassen. Das betrifft etwa den Kontext der Erhaltung des Schreibens von Johannes von Schüttwa an Peter Rothirsch, oder die Charakteristik Johannes‘ Beziehung zum Egerer St.-Hieronymus-Offizium, oder z. B. die Erklärung der Gründe, warum es sehr unwahrscheinlich sei, dass der Kummer eines Witwers über seine verstorbene Frau im Ackermann ein autobiographisches Moment darstellen könnte. Die Publikation soll daher als Ganzes gelesen werden, und dies ist eigentlich nur gut.

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka

 

 

Jiří Stočes (Hg.): Jan ze Šitboře. Úředník, literát, mýtus / Johannes von Schüttwa. Beamter, Dichter, Mythos. Übersetzt von Vlasta Reittererová, Hubert Reitterer und Blanka Schwarzerová. Domažlice: Nakladatelství Českého lesa, 2021 (für den Verein Mikuláš v Šitboři), 265 S.


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