Es schreibt: Matouš Jaluška

(1. 9. 2021)

Chronicon Aulae Regiae oder die sog. Königsaaler Chronik steht spätestens seit 1875, als sie zum ersten Mal im modernen Sinne als Edition zugänglich gemacht wurde, ununterbrochen im Zentrum der Aufmerksamkeit der Historiker. Ihr historischer Wert ist unumstritten, genauso wie die literarischen Ambitionen und die rhetorische Gewandtheit des Hauptautors Peter von Zittau. Es nimmt daher nicht wunder, dass man die Zeitspanne des Übergangs von der Herrschaft der Přemysliden und Luxemburger oder z. B. das dramatische Verhältnis von Elisabeth von Böhmen und Johann von Böhmen oft automatisch nur durch das Prisma des Textes von Peter von Zittau wahrnimmt – oder durch das Prisma der Worte, von denen wir – uns auf die bisherigen Editionen und einige tschechische Übersetzungen stützend – annehmen, dass Peter von Zittau ihr Autor sei. In den letzten Jahren zeigte sich, dass die Sache ein wenig komplizierter ist.

 

Die Monografie von Běla Marani-Moravová über Peter von Zittau lässt sich als eine praktische Zusammenfassung und Abschluss des Forschungskapitels zur Königssaler Chronik verstehen, in dem die Dinge relativ unkompliziert erschienen. Die Autorin übernimmt die Charakteristik der Chronik als „Bild des Königreichs“ von Ferdinand Seibt und beschäftigt sich mit der Perspektive und Palette, die der Verfasser v. a. im Vordergrund der Leinwand verwendet, wo historische Persönlichkeiten, Einzelpersonen als Initiatoren der Geschichte defilieren. Der Untertitel – Abt, Diplomat und Chronist der Luxemburger – entspricht allerdings dem Buchinhalt nicht unbedingt. Mehr als „Chronist der Luxemburger“ wird Peter von Zittau hier eher als ein geschickter Literat dargestellt, der eng mit der früheren Dynastie, v. a. mit Wenzel II., dem Gründer des Klosters in Königsaal, verbunden war. Im Anschluss an den ersten Verfasser der Chronik, Otto von Thüringen, hält er für die wichtigste Aufgabe, dass die Erinnerung, memoria, an diesen vorletzten Přemysliden nicht in Vergessenheit gerate und ihre Früchte – der wechselhaften politischen und kulturellen Situation entsprechend – trage. Die Würde seiner Stellung als Abt verpflichtet ihn dazu und die diplomatische Beauftragung sowie ein dichtes Netzwerk von Kontakten legen ihm entsprechende Mittel in die Hand, um die Grenzlinie der ursprünglich bloßen „Klosterchronik“, wie sie Otto von Thüringen konzipierte, zu erkennen.

 

Die Aufbewahrung der Erinnerung oder die Gedächtniskonstruktion wird hier zum Prozess aus zwei Phasen. Peter von Zittau skizziert zunächst ein durchaus konkretes Porträt der zu erinnernden Person und anschließend verallgemeinert er die konkreten Züge und Taten der betreffenden Person mit dem Ziel, das Publikum zu belehren, wobei er als Moralist mit einem starken theologischen Hintergrund dasteht. Neben der Chronik und den Sermones (deren Autorschaft unbestritten ist) verbindet die Autorin ihn implizit mit einer ganzen Reihe von Schriften (u. a. auch mit dem bekannten Malogranatum, dem ersten „Buch von europäischer Bedeutung“, das auf dem Territorium Böhmens geschrieben wurden) und sie findet „religiös-gelehrte“ Akzente auch in der Chronik vor. Bei der Interpretation des „Testaments“ von Peter von Zittau betont sie etwa, wie ihm daran gelegen sei, dass er die Augustinsche und Bernardsche Auffassung der Trinität den Lesern als Teil seines eigenen Vermächtnisses vorlegt. Zum Ausgangspunkt für die Chronik als Ganzes wird in erster Linie die Heilgeschichte und die Stellung des Menschen in ihr, die durch das Prisma der pessimistischen Augustinschen Anthropologie gesehen wird.

 

Die Modi des Erinnerns an konkrete Personen erforscht die Autorin im zweiten, zentralen Teil des Buchs, der als eine Reihenfolge von Porträts konzipiert wurde. Zunächst sind die weltlichen Herrscher an der Reihe, die tschechischen Könige von Wenzel II. bis zu Karl IV., dem Herrscher des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation, von Rudolf von Habsburg bis zu Ludwig dem Bayer (der in einer Paardarstellung mit seinem Rivalen Friedrich I. von Habsburg präsentiert wird), ferner sechs Königinnen, von Kunigunde von Ungarn/von Halitsch bis zu Beatrice de Bourbon (in diesem Kapitel nimmt Elisabeth von Böhmen die zentrale Position ein). Es folgen drei ausgewählte böhmische Adelige und im folgenden Kapitel ausgewählte Passagen zu Stadtgemeinden. Die Reihenfolge wird vom Kapitel über Prälaten abgeschlossen: Es geht um die Päpste von Coelestin V. bis zu Benedikt XII., ferner um die Mainzer und Trierer Erzbischöfe sowie um die Prager und Olmützer Bischöfe. In diesen Kapiteln beschäftigt die Autorin sich mit der Prosopographie im etymologischen Sinne des Wortes: Sie erforscht die Masken, die Peter von Zittau den jeweiligen geschichtlichen Akteuren aufsetzt, die betreffenden Darstellungen ergänzt sie um weitere historische Angaben und vergleicht sie mit anderen zeitgenössischen Quellen.

 

Diese Vorgehensweise mutet natürlich an, da die Königssaler Chronik mehrere zentrale Momente der böhmischen Geschichte behandelt, Peter von Zittau schreibt die größte Bedeutung dem Ehedrama zwischen Johann von Luxemburg und Elisabeth von Böhmen zu. Unter dem Einfluss schlechter Ratgeber und infolge seiner eigenen negativen Charakterzüge verwandelt sich Elisabeths Ehemann in Peters Erzählung vom ursprünglich „hoffnungsvollen Herrscher“ sukzessive bis zu einem Antihelden und ähnelt immer mehr Heinrich von Kärnten, dem prototypischen Tyrannen in der Chronik. Die Autorin belegt an diesem Beispiel, wie Peter sich in der Rolle eines Sittenrichters und Beurteilers menschlicher Charaktere gebärdet, und wenn man die Chronik (wie es üblicherweise getan wird) als ein „Fürstenspiegel“ liest (also ein breit angelegtes Exemplum dafür, wie der Mensch sich selbst und andere beherrscht), zieht der ambivalente Held Johann automatisch Aufmerksamkeit auf sich. Im Gegensatz zu ihm repräsentiert seine Gemahlin Stabilität, sie wird zu einer Art Anker. Als Tochter von Wenzel II. und der prototypisch „guten Königin“ Guta von Habsburg wird sie zur „altera fundatrix“, die den von Peter von Zittau verwalteten „Gedächtnisort“ schützt und fordert, indem sie v. a. die Funktion der Begräbnisstätte der Herrscherdynastie bewahrt und sicherstellt, dass die Überreste von Wenzel III. von Olmütz aus hingelangen; ihr Begräbnis im Jahre 1330 ist die letzte Realisierung des Přemysliden-Gedächtnisses, an der Peter von Zittau teilnimmt.

 

Die Herangehensweise von Marani-Moravová an den Stoff ist in erster Linie historisch, sie konzentriert sich auf Fakten (die Monografie stützt sich auf ihre Dissertation im Fach der Geschichte des Mittelalters, die sie an der Universität von Bern verteidigt hatte), die neuen Elemente nach der Überarbeitung betreffen v. a. den Bereich der Geistesgeschichte. Dies zeigt sich in Gänze im ersten Buchteil, in dem der Leser mit der Geschichte der Böhmischen Länder im dargestellten Zeitraum, mit der Geschichte des Königssaler Klosters, mit dem Leben und Werk von Peter von Zittau (sein Werk wird – wie eben angeführt – sehr breit aufgefasst) im Kontext der mitteleuropäischen Historiographie und des zeitgenössischen theologischen Diskurses bekannt gemacht wird. Literaturhistorischen Fragestellungen begegnen wir erst am Ende des Einleitungskapitels, als die Autorin die „Beobachtungsstrategien“ von Peter von Zittau in Augenschein nimmt. Sie konzentriert sich hierbei auf seinen Umgang mit diversen Typen der Andersartigkeit, d. h. etwa der religiösen Andersartigkeit der Heiden (Kumane und Litauer) und Juden, auf die Konflikte zwischen den Einheimischen tschechischer sowie deutscher Sprache einerseits und ausländischen Akteuren andererseits, oder auf die Verwandlung der Mode und Sitten. Zu diesen Passagen wird als Beweis für die Alltagsbezogenheit des Verfassers ein Text über die meteorologischen Beobachtungen in der Königssaler Chronik angefügt, in dem es sich zeigt, dass der Königssaler Abt sich auch auf diesem unpolitischen Gebiet die Mühe gab, mit Hilfe seiner Informatoren das ganze Territorium von Mittel- und Westeuropa zu überblicken. Als Christ, dem die Propagation des Glaubens am Herzen lag, entpuppt Peter von Zittau sich hier wiederum und nicht überraschend als ein konservativer, jedoch toleranter „Landespatriot“ (im Kontrast zu Dalimil).

 

Dem Stil von Peter von Zittau, oder seinen rhetorischen Strategien, widmet sich die Autorin nur hie und da und nicht systematisch genug, was eigentlich schade ist. Sie hebt hierbei v. a. zwei Momente hervor: eine wohl durchdachte Kombination der Prosa höheren Stils mit den metrischen Passagen (bis zu dem Grad, dass man die Königssaler Chronik als Prosimetrum charakterisieren kann) und die häufige Verwendung der direkten Rede, die etwa mittels „fiktiver Reden“ der handelnden Figuren realisiert wird. Beides betont die für den Verfasser der Chronik typische personalistische Einstellung zur Geschichte und seine Strategie der Darstellung der Geschichte als Stoff für Belehrung. Neben den Editionen der Chronik berücksichtigt die Autorin auch die Handschriften (obwohl sie ihre Anzahl ein wenig chaotisch anführt), insbesondere die Iglauer Handschrift, bei der sie im Rahmen derselben Argumentationslinie auch etwa die eingefügten Herrscherverzeichnisse registriert.

 

Meiner Ansicht nach kann die Monographie am besten als ein „Companion“, ein Begleiter bei der Lektüre der Chronik dienen, der wichtige und verlässliche Fakten und den Kontext liefert. So erfüllt das Buch seine Aufgabe v. a. für das ausländische Publikum, denn es fasst beinahe die ganze tschechische Fachliteratur zum Thema zusammen. Die aktuellen Studien werden im Buch allerdings nicht genug reflektiert, obwohl sie auf der Literaturliste stehen – es geht v. a. um die Arbeiten von Anna Pumprová, Robert Antonín, jedoch auch von anderen Forschern, die sich an der neuen geplanten Edition der Königssaler Chronik in der Reihe Monumenta Germaniae Historica beteiligen. Mit Rücksicht auf die Ausrichtung der Monographie ist dies allerdings kein großer Mangel. Die Informationen zu den jeweiligen Figuren können als ein Chronikführer dienen. Umso mehr, da die Monographie im Archiv der Vorträge und Forschungen gemeinsam mit anderen Bänden dieser Bücherreihe dem Leser kostenlos zur Verfügung steht.

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka

 

 

Běla Marani-Moravová: Peter von Zittau. Abt, Diplomat und Chronist der Luxemburger. Ostfildern: Jan Thorbecke, 2019, 629 S.


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