Es schreibt: Václav Petrbok

(E*forum, 23. 6. 2021)

Ein würdevoller Klassiker, in Bronze gegossen, mit Überzieher und langem Mantel bekleidet, das Sakko zugeknöpft bis zum Hals, um den ein Tuch gebunden ist, thront auf einer Barrikade aus Pflastersteinen und Schutt. Auf seinem Kopf sitzt keck eine phrygische Mütze mit Kokarde, zu seiner Rechten sonnt sich ein kleiner Mops. Auf der Barrikade sind die Fragmente von Bildern zu erkennen – eine Winterlandschaft und ein einsamer Mann mit Hund, nackte, martialische Frauengestalten (wenn auch dezent von der Seite gemalt), Baumkronen vor Winterhimmel … Diese wirkungsvolle Collage voller widersprüchlicher, provokativer Symbole sowie weitere ungewöhnliche Installationen bekamen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Bezwingung seiner selbst“: Liebe, Kunst, Politik bei Adalbert Stifter im Linzer StifterHaus zu sehen, das zum „Zentrum für Literatur und Sprache in Oberösterreich“ gehört. Die Ausstellung lief von September 2018 bis Mai 2019 anlässlich von Stifters 150. Todestag und wurde von Petra-Maria Dallinger, Hubert Lengauer, Christian Schacherreiter und Georg Wilbertz entworfen, die dazu auch einen reich illustrierten Katalog herausgaben. Beide Produkte stellen unter Beweis, dass man Leben und Werk eines kanonisierten Autors in neuen und überraschenden Zusammenhängen vorstellen kann, und das außerdem durch eine einfallsreiche Präsentation, die gut informiert und doch aus der Vogelperspektive überzeugend darstellt, dass es sich lohnt, sich mit Stifters Werk auseinanderzusetzen. Und zwar nicht nur aus einer quasi ritualisierten Verpflichtung heraus, sondern auch wegen all der ebenso alltäglichen wie außergewöhnlichen, oft jedoch geradezu grotesken Situationen, denen Stifter in seinem Leben ausgesetzt war. Die AutorInnen des Katalogs stellen drei wesentliche Themenkreise heraus: Liebe, Kunst und Politik. Im Katalog behandeln sie seine familiären und persönlichen Verbindungen, die bei weitem nicht immer nur spießbürgerlich waren, sein Bedürfnis nach dem inneren Gleichgewicht und seine schmachtenden Liebesbekenntnisse. Analysiert wird auch Stifters komplizierte Beziehung zu seinen Künstler-Zeitgenossen, die aus den erfolglosen Ambitionen eines begabten, jedoch nicht eben besonders originellen Landschaftsmalers herrührte. Besondere Aufmerksamkeit gilt, wie bereits oben angedeutet, Stifters anfangs intensivem, später jedoch immer distanzierterem Verhältnis zum politischen Geschehen, das sich ab Anfang der 50er Jahre nach dem Schock der gewaltsamen revolutionären Ereignisse noch vertiefte. Dieser Umstand führte zwar nicht, wie man es von einem oberösterreichischen Landesschulinspektor und dem einstigen Erzieher von Metternichs Kindern erwarten könnte, zu einer expliziten antiliberalen Haltung, ließ jedoch neben der unentbehrlichen Loyalität Krone und Staat gegenüber nur einen relativ begrenzten Raum offen: für die kulturelle Entwicklung von sich selbst, seiner nächsten Umgebung und Umwelt, für das Interesse an den Naturwissenschaften und an der Denkmalpflege …

 

Gerade diese Abkehr Stifters von den einstigen Plänen und Träumen – nicht nur im Bereich der öffentlichen Betätigung, sondern auch des persönlichen Engagements für die Kunst und (so scheint es) im Erleben und Weitergeben von Liebe an sich – wurde in den Ausstellungsstücken sowie in den Reproduktionen des Katalogs auf satirische, mancherorts unbarmherzige Weise mittels der erwähnten Collagetechnik konfrontativ dargestellt. Äußerungen aus Korrespondenzen, Erzählungen und Romanen wurden mit Comic-Mitteln in neue Kontexte geflochten, die sie bestätigten, die (selbst-) ironisch die Position des Klassikers glossierten, die neue Situation, die durch eine solche Verflechtung entstand. Eine originelle Art, einen Klassiker zu aktualisieren? Mit Sicherheit. Zudem ist es der Versuch, sein Werk einem immer weniger lesenden Publikum nahezubringen. Gerade die drei gewählten Rahmenthemen – Liebe, Kunst, Politik – machen es möglich, auch heute den Blick des interessierten Publikums auf das „kleinbürgerliche Jahrhundert“ mit dem Blick eines engagierten Zeitgenossen und aufmerksamen Beobachters der neuen Verhältnisse zu konfrontieren. Man braucht nur etwas Konzentration und die Kenntnis einiger Fakten aus der Geschichte der Österreichischen Monarchie sowie aus Stifters Leben (der Katalog fasst sie in einer Zeittafel zusammen). Die Parallelen zwischen den durchlebten Situationen und der Haltung des gebürtigen Böhmerwäldlers und der von vielen von uns sind kaum überraschend. Dazu gehört etwa eine gewisse Betretenheit und Verlegenheit, eine peinliche Bequemlichkeit, der Wunsch, alles Unangenehme zu verdrängen, und zugleich träumt man doch und sehnt sich nach etwas Großem, Schönem und Bahnbrechendem.

 

Ich stelle mir vor – ganz im Geiste des vorhergehenden Satzes – wie es wohl wäre, wenn es uns gelänge, diese wundervolle Ausstellung vielleicht nach Prag zu holen. Wenn wir doch nur von ihr wüssten oder wissen wollten! Oder: Wenn wir eine ähnliche Ausstellung entwerfen könnten. Zum Beispiel über den ähnlich „abgedroschenen“ Alois Jirásek …

 

Übersetzung: Lena Dorn

 

 

Hubert Lengauer / Christian Schacherreiter / Georg Wilbertz (Hg.): „Bezwingung seiner selbst“: Liebe, Kunst und Politik bei Adalbert Stifter. Linz: Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich, 2018, 183 S.

 

 

 

© Adalbert Stifter Institut des Landes Oberösterreich


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