Es schreibt Štěpán Zbytovský

(E*forum, 26. 5. 2021)

Die Publikation Jak psát transkulturní literární dějiny? [Wie schreibt man eine transkulturelle Literaturgeschichte?] präsentiert ausgewählte Beiträge der gleichnamigen Tagung, die am 15.–16. November 2018 vom Ústav pro českou literaturu AV ČR [Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik] veranstaltet wurde und bei der die Titelfrage von den anwesenden (nicht nur) Bohemisten, Germanisten, Mediävisten und Historikern lebhaft diskutiert wurde. Das Fragezeichen im Titel – wie die beiden der Herausgeber, Václav Petrbok und Václav Smyčka, in ihrem Vorwort betonen (die anderen zwei Herausgeber sind Matouš Turek und Ladislav Futtera) – soll keinesfalls die Erwartung eines ganzheitlichen methodischen Konzepts wecken. Es handelt sich eher um eine Darbietung diverser Ansätze in Bezug auf diese Frage (und im Kontext der Böhmischen Länder), um deren Konkretisierung und um vorläufige Antworten; die Herausgeber sind der Überzeugung, dass nur eine offene Diskussion es vermag, einen bestimmten Fachkonsens zu erreichen. Die anfangs erwähnten Publikationen v. a. bohemistischer Provenienz, in welchen der multikulturelle Gesichtspunkt hinsichtlich der Böhmischen Länder berücksichtigt oder besprochen worden war, sind ein Vorzeichen dafür, welche Beiträge in der hier rezensierten Publikation „Zeugen“ solcher Überlegungen werden (am häufigsten geht es um die Texte von Dalibor Tureček). Zu erwähnen wären ferner die in den Beiträgen oft zitierten Arbeiten von Ines Koeltzsch – eben als Hinweis darauf, dass dieser Themenbereich teilweise auch innerhalb der gegenwärtigen Geschichtsschreibung der Böhmischen Länder problematisiert wird. Eine häufig anzutreffende synonyme Handhabung der Begriffe „Interkulturalität“ und „Transkulturalität“ und auch die Entscheidung der Herausgeber für den zweiten, von Wolfgang Welsch etablierten Begriff, sind nachvollziehbar, denn „Trans-“ stärker die gängige komparative Perspektive unterwandert. (Ich würde allerdings für den Interkulturalitätsbegriff plädieren, zumal die von Welsch initiierte Auseinandersetzung zwischen „Inter-“ und „Trans-“ z. B. eine spannende konzeptuelle Entwicklung in den Arbeiten von Alois Wierlacher leider in den Hintergrund rückte.) Es wäre möglicherweise angebracht gewesen, den tschechischen Leser etwas eingehender in die Grundpositionen innerhalb der theoretischen Diskussionen über die Definition von „Interkulturalität“ und „Transkulturalität“ einzuweihen, da die einschlägigen tschechischen Publikationen (z. B. von Alena Jaklová oder František Burda) anstelle von einer kritischen Übersicht eher eine allzu vereinfachende und eigenartige Anwendung dieser Termini anbieten und für die literarische Geschichtsschreibung nicht ergiebig sind.

 

Der erste und zweite Beitrag fassen die bisherige Praxis in der tschechisch- sowie deutschsprachigen Literaturwissenschaft zusammen. In seinem konzisen Text Středověká epika a problém původnosti v českém literárním dějepisectví v „dlouhém“19. století [Mittelalterliche Epik und das Originalitätsproblem in der tschechischen Literaturhistoriografie im „langen“ 19. Jahrhundert] widmet sich Matouš Turek der Entwicklung der Auffassung der mittelalterlichen Epik. Mit einbezogen wurden acht Synthesen von Jungmann bis Jakubec, es handelt sich hierbei um Arbeiten, die sowohl vor als auch nach der Konsensfindung angesichts der Unechtheit der Handschriften (die bis zu dem Moment als Maßstab Originalität angesehen worden waren) verfasst wurden. Turek zeichnet die Verwandlung der Kodierung der grundsätzlichen binären Opposition ursprünglich vs. nicht-ursprünglich (oft teils mit der Gegenüberstellung von autochthon vs. fremd, teils tschechisch vs. deutsch u. a. gleichgesetzt), die allerdings das romantische Narrativ vom goldenen Zeitalter und dem Verfall der tschechischen mittelalterlichen Literatur nicht außer Kraft setzte. Nicht einmal die Rehabilitierung des Kulturtransfers bei Vlček, Novák und Jakubec konnte an der Grundbeschaffung dieses Narrativ rütteln. Man könnte fragen, ob die Situation in der Historiografie der deutschsprachigen Literatur der Böhmischen Länder ähnlich sei; v. a. ist hiermit jedoch die Warnung für die Autoren der geplanten transkulturellen Geschichte formuliert, man dürfe nicht dermaßen halbherzig vorgehen, will man nicht in einer lauen Variation bzw. einem Patchwork nationaler Narrative verharren.

 

Konzeptuell weniger konzise Überlegungen von Marek Nekula im Beitrag Franz Kafka a historiografie národních literatur [Franz Kafka und die Historiografie der Nationalliteraturen] behandeln nicht weniger wichtige Fragen. Mithilfe einer Reihe von literarhistorischen Arbeiten belegt er die Vernachlässigung und Marginalisierung von Kafka oder dessen u. a. durch das Transkulturelle (er bezieht hier nicht nur die kulturelle Überlappung, sondern – was ein wesentlicher Hinweis ist – auch die nationale Polarisierung mit ein) geprägten Lebensmilieus. Nekula legt dar, dass dort, wo diese Aspekte berücksichtigt werden, nicht die Literatur an sich, ihr Stil- und Repräsentationswert, thematisiert seien. Er schlägt daher vor, dass man sich – anstatt eine „proklamativ transkulturelle“ (S. 69) Geschichte zu schreiben – vom neuen Historismus anregen lasse und eine Abfolge synchroner Zeitschnitte anbiete, in deren Zentrum literarische Texte stünden. Den Rahmen des Beitrags sprengen dann Fragen, die ein solcher Vorschlag provoziert: Wie sollen die Zeitschnitte, ihre Dichte sowie zentrale Texte ausgewählt werden, ohne dass dies (unbewusst oder mit Absicht) vom etablierten literarischen Geschichtsnarrativ und -kanon, bzw. von einem globalen Transkulturalitätskonzept (das „von oben“ regeln würde, welche Texte als zentral anzusehen sind) mitbestimmt wäre?

 

Im Hintergrund der Überlegungen von Manfred Weinberg und Dieter Heimböckel Projekt interkulturality revisited. Region – interkulturalita – Kafka [Interkulturalitätsprojekt revisited. Region – Interkulturalität – Kafka] steht die Frage nach einem universalen Trans-/Interkulturalitätskonzept. Das literarhistorische Narrativ, das Nekula anzweifelt, wird hier direkt für (im wissenschaftlichen Sinne) unmöglich erklärt, da es die Fakten unvertretbar verzerre. Die Autoren sehen seine Berechtigung allerdings in einer gewissen „Gedächtnishygiene“ (S. 87), die gegen das geschichtliche Vergessen ankämpft und sich gegen die flagrant ideologischen Narrative sträubt. Angesichts des geplanten Projekts fordern sie eine regionale „Metaperspektive“, eine Berücksichtigung von intra- sowie interregionalen Zusammenhängen und eine Perforierung gängiger Periodisierungen – in diesem Punkt herrscht im ganzen Sammelband ein Konsens. Von der Feststellung des situativen Charakters der Identitäten ausgehend, der auch den situativen Charakter der Interkulturalität begründet, bieten die beiden Autoren ihre Auffassung der Interkulturalität als Projekt (genauso wie bei Nekula oder Petrbok bezieht der Sammelbandbeitrag sich dezidiert auf die bisherigen Studien beider Wissenschaftler). Aus der Auffassung geht hervor, dass die Akteure interkultureller Ereignisse sowie die interkulturell aufgefasste Literaturgeschichte gezwungen würden, eine „unvertraute Sprache“ (S. 89) zu sprechen, die vermeintlich stabilen Kategorien und Bedeutungen neu zu projektieren und zu positionieren. Diese „Positionierung“ (oder Verschiebung) wird anhand von Gegenbewegungen immanenter Hermeneutik und der Dekonstruktion von Kafkas Text Beim Bau der chinesischen Mauer vollzogen. Die neu konzipierte Geschichte müsse solch eine Verschiebung thematisieren, sie müsse sich ihr aber auch aussetzen können, damit sie in einer „einheitlichen Modellierung“ nicht erstarre (S. 102). Man muss es nicht nur als Impuls zur Einbeziehung der Reflexion diverser literarhistorischer Narrative in die literarhistorische Ausführung betrachten, sondern auch als Hinweis darauf, dass selbst das Intertextualitätskonzept angesichts diverser historischer Konstellationen (etwa Mittelalter vs. 19. Jahrhundert) einer kontinuierlichen und reflektierten Verschiebung unterliegen könne und solle. Und ferner als eine Möglichkeit, die konzeptuelle Verschiebung auch auf die eigene synchrone Erkundung der Erscheinungen anzuwenden, die somit nicht nur „beschrieben“ würden, sie würden umgekehrt in jedem Schritt als kritische Spiegelfläche des Ausgangskonzepts fungieren. Die Sonde von Jan Budňák Mosty a prostředníci – koberce, houskové knedlíky a produktivní nepokoj [Brücken und Vermittler – Teppiche, Semmelknödel und produktive Unruhe] äußert sich nicht explizit zur zentralen Frage, sie zeigt allerdings eine der Aufgaben, mit der Weinberg und Heimböckel rechnen: die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Diskursen über die transkulturellen Erscheinungen im breitesten Sinne des Wortes. Budňák befasst sich mit Metaphern der Verbindung der tschechisch- und deutschsprachigen Kultur und entdeckt häufig unerwartete Zusammenhänge bezüglich deren Verwendung. Die Beschäftigung mit Spectors (meiner Ansicht eindeutigen Über-) Interpretation von Picks Feuilleton Der Mensch im Walde (1912) verstehe ich als Beweis dafür, dass eine sorgfältige archäologische Herangehensweise die Verzerrung des Materials nach dem Bedürfnis des vorherbestimmten (Trans-)Kulturalitätsmodells verhindern kann.

 

Die Idee der „Zeitschnitte“ wird auch im Beitrag Ve spárech času. K problematice periodizace transkulturně pojatých dějin českých zemí [In den Krallen der Zeit. Zur Periodisierungsproblematik der transkulturell aufgefassten Geschichte der Böhmischen Länder] von Ladislav Futtera durchdacht. Strikt synchrone Schnitte könnten die langandauernden Prozesse unsichtbar machen und ephemere Erscheinungen überrepräsentieren, deshalb bevorzugt Futtera (im Anschluss an David E. Wellberys A New History of German Literature; 2004) das Knoten-Modell, wobei die Knoten für die Verwandlungen der transkulturellen Situation in den Böhmischen Ländern repräsentativ sein müssten. Aufmerksamkeit sollte dabei „auch der internen Bewegung innerhalb der jeweiligen ‚Nationalliteraturen‘ gewidmet werden – nur schwerlich kann man um ein Mácha- oder Hartmann-Kapitel umhin“ (S. 151). Es ist hier unklar, warum gerade diese beiden Namen mit der „internen“ Bewegung verbunden werden; die Ausführung scheint an dieser Stelle zur Logik der auktorialen Trennung zwischen „intern“ und „extern“ zurückzukehren. Das zweite erwogene Modell akzeptiert die Periodisierung als Instrument der Organisierung und Erschließung der Geschichte – und Futtera skizziert die mögliche Periodisierung für die Böhmischen Länder, die von den Meilensteinen der soziokulturellen Geschichte ausgehen und somit die literaturästhetischen und programmatischen Schnittstellen sowie Inkompatibilitäten überbrücken würde. Dieses Modell könnte ferner den Zwang mildern, literarische Erscheinungen als Ausdruck literarischer Tendenzen und Normen präsentieren zu müssen. Während das erste Modell im ganzen Ausmaß nicht zu verwirklichen ist, könnte das zweite zu einer linearen und sozial bedingten Sichtweise der literarischen Entwicklung verführen, und so überlegt Futtera sich, beide Modelle in einem „U-Bahn-Modell“ zu vereinen, in dem die jeweiligen Linien sich kreuzen sowie niveaufrei meiden könnten. Auch wenn dieses Modell sehr sympathisch zu sein scheint, muss bezweifelt werden, ob es zu realisieren wäre, ohne dass der Nutzer tatsächlich bald die Übersicht verlöre, mit welcher Linie er „fährt“, d. h. in welcher Beziehung er sich dem Ganzen gegenüber befindet und welche Richtung er einschlägt. Genauso wie bei Weinberg und Heimböckel stellt sich hier die (im Sammelband nicht diskutierte) Frage nach einer verdaulichen Darstellung sowie nach dem Publikum, dem eine solche Geschichte vorgelegt werden soll. Als Warnung können einige Rückmeldungen an die Adresse von Wellberys Buch dienen, die es als eine kuriose Ergänzung der traditionellen Historiografie, bzw. (so der anonyme Rezensent auf amazon.de) als „Anekdötchen, keine Geschichte“ betrachten.

 

Milan Horňáček beschäftigt sich in seinem Beitrag Válečné narativy a jejich role v transkulturně zaměřených literárních dějinách mit den Kriegsnarrativen und deren Rolle in transkulturell konzipierten Literaturgeschichten und zeigt, dass das die Sinngebung generierende Erzählen nicht ohne Mitberücksichtigung der gemeinsamen Rivalität dieser Narrative um die interpretative Dominanz im Kontext der tschechisch-deutschen Konfliktgemeinschaft nachvollzogen werden könne. Für die erwogene Literaturgeschichte ist die Schlussfolgerung wesentlich, dass es sich bei diesem Rivalisieren nicht bloß um verschiedene „Inventare aus dem Arsenal des Kulturgedächtnisses“ (S. 181), sondern auch um Zukunftsversionen – und hiermit um verschiedene „Zeitkulturen“ (S. 182) handle.

 

Der gemeinsame Nenner der letzten drei Beiträge ist die Übersetzung als Anhaltspunkt für die Erforschung interkultureller Dynamiken in einer diachronen Perspektive. Die Studie von Jan K. Hon mit dem Titel Překlad, převyprávění a světská epika v transkulturních literárních dějinách [Übersetzung, Nacherzählung und die weltliche Epik in der transkulturellen Literaturgeschichte] beschäftigt sich mit der französischen, deutschen und tschechischen Version des Melusine-Stoffes und zeigt anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit Worstbrocks Typologie der „Nacherzählung“ und der „methodischen Übersetzung“, dass Übersetzungen nicht lediglich andere Texte sind, sondern er legt im Zusammenhang mit der Verwandlung vieler Parameter (u. a. der Auffassung der Autorschaft) diverse „Fingierungsakte“ (im Sinne Isers; S. 203f) fest. An Beispielen vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts behandelt Václav Smyčka in seinem Beitrag Intertext české a českoněmecké literatury den Intertext der tschechischen und tschechisch-deutschen Literatur als ein heterogenes, rhizomatisches Kontinuum der Literatur im Raum der Böhmischen Länder, in dem verschiedentliche Verschiebungen und Übergänge verfolgbar seien. Er stellt mehrere Typen auf, so etwa „Resonanzen“ (Verbreitung und Variation von Ausdrucksmitteln in Situationen, die „geneigt“ seien), „Palimpsest“ (Nachschreiben, Überschreiben und Gegen-Schreiben) und „blinde Passagiere“ (verschleierte Übersetzung). Abgesehen davon, ob dieser Vorschlag an einem größeren Korpus verifiziert oder modifiziert wird, er stellt einen Impuls für die Deutung und eine vernünftige Typologisierung konkreter Konstellationen von (trans-)kulturellen Erscheinungen dar, die das einfach Binäre vermeidet. Václav Petrbok konzentriert sich in seinem Beitrag „Sebepřeklad“ beletrie a literární publicistiky jako integrální součást dějin literatury českých zemí [„Selbstübersetzung“ der Belletristik und der Publizistik als integraler Bestandteil der Geschichte der Literatur in den Böhmischen Ländern] auf ein spezifisches transkulturelles Phänomen. Er verweist auf die mögliche Weiterverfolgung der bestehenden Konzepte (etwa von Dieter Lamping) sowie auf spezielle Fälle, z. B. „die unechte Selbstübersetzung“ (S. 262f.), die Übertragung der poetischen Elemente aus den übersetzten Texten in das eigene literarische Werk des Übersetzers. Petrboks Beitrag liest sich ferner als Erinnerung an die Bedeutung der Verwandlungen der nicht nur produktiven, sondern auch rezeptiven Mehrsprachigkeit des Publikums (inwiefern sie erschließbar ist) und an deren Einfluss auf die Literatur beider Sprachen.

 

Jan K. Hon erwähnt in seinem Beitrag einleitend, dass mit der zentralen Fragestellung „offensichtlich auch weiterhin de facto ein national verstandener ‚Kultur‘-Begriff vorausgesetzt “ werde (S. 190). Es liegt auf der Hand, dass eine transkulturell konzipierte Geschichte vor der Herausforderung steht, u. a. eine Betrachtung der Entstehung und Entwicklung einer national konnotierten Literaturkultur anbieten zu können – zugleich aber fähig zu sein, die Heterogenität vermeintlich kompakter Kulturformationen aufzuzeigen. Die meisten Beiträger erkunden die Situationen, in denen die nationalen Musterbildungen bestimmend waren. Weinbergs und Heimböckels Konzept der „Verschiebung“, Futteras Berücksichtigung diverser „Kulturschichten“ oder Smyčkas Betrachtung des „Intertexts, der von den beiden natürlichen und einer Unzahl von sozial, kulturell und nicht zuletzt poetisch spezifischen Sprachen zehrt“ (S. 243), bezeugen die Loslösung von der Logik des Mit- und Gegeneinanders ausschließlich nationalsprachlich definierter Kulturen.

 

Damit hängt auch der mehrmals im Laufe der Tagung erhobene Einspruch zusammen, die transkulturell konzipierte Literaturgeschichte sollte nicht lediglich eine Reflexion der Geschichte der Transkulturalität werden (S. 151). Ich glaube umgekehrt, dass die erwogene Literaturgeschichte sich wissentlich darauf einlassen könnte und sollte, v. a. die Geschichte der Transkulturalität im Sinne der Phänomene und Operationen zu sein, die die Bestimmung und Bezüge der Kategorien des Kulturinternen und -externen, des Eigenen und Fremden usw. beeinflussten und prägten (sei es in Gestalt von erklärtermaßen gebauten „Brücken“ und trennenden „Mauern“ oder nolens volens verdauten „Knödeln“) und die die Intertexte quer durch Sprach- sowie Poetikcodes bildeten. So etwas als transkulturelle Geschichte zu bezeichnen, ergibt Sinn; genauso hört die „Literaturgeschichte“ mit aller denkbaren Dekonstruktion des Literaturbegriffs sowie der Vorstellung der literarischen Entwicklung nie auf, eine „Literaturgeschichte“ zu sein. Die Befürchtung, die transkulturelle Geschichte werde aus vielen, von traditionellen Literaturgeschichten gehandhabten Erscheinungen und Tendenzen eine für den ausgewählten Apparat ungreifbare dunkle Materie werden lassen, darf sicherlich nicht damit abgetan werden, dass jedes Weltall ihre dunkle Materie habe. Die (auch von mir) geteilte Voraussetzung, dass nämlich die Kulturpraxis und die Kulturgüter immer „irgendwie“ transkulturell sind (und dass die dunkle Materie nur scheinbar „dunkel“ ist), wird man noch systematisch, eben anhand von den grundsätzlichen Knoten der nationalen Literaturgeschichtsschreibung, prüfen müssen.

 

Der Sinn eines Sammelbandes besteht nicht darin, inwiefern es gelingt, den erwünschten fachlichen Konsens zu erreichen. Er erschöpft sich ferner auch nicht darin, dass das Buch eine insgesamt breite Übereinstimmung über die große Bedeutung der in seinem Titel bereits gestellten Frage belegt. Es kann sein, dass einige Überlegungen sich mit der Zeit als Zwecklösungen für konkrete Fälle und damit zukünftig als unbrauchbar erweisen. Ungeachtet des weiteren Schicksals dieses Projektes wird eine unvoreingenommene und kritische Lektüre dieser Publikation zweifellos für jeden lohnenswert sein, der die Überzeugung teilt, dass es noch Sinn hat, überhaupt Literaturgeschichte zu schreiben.

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka

 

 

Václav Petrbok / Václav Smyčka / Matouš Turek / Ladislav Futtera (Hgg.): Jak psát transkulturní literární dějiny? Praha: Ústav pro českou literaturu AV ČR, v.v.i. a Akropolis, 2019, 288 S.


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