Es schrieb: Tea Červenková

(26. 2. 2020)

Einige Tage vor der Veröffentlichung der Glosse zu einer Wedekind-Feier (Prager Tagblatt 18. 4. 1914) von Franz Werfel, die die Diskussion über das so oft besprochene Verhältnis der tschechischen und „deutschen“ Kultur unter den tschechischen Intellektuellen entfachte (die tschechische Seite schien hierbei zu vergessen, dass Werfel zugleich das Desinteresse an der tschechischen Kultur, wenn nicht direkt die Ignoranz ihr gegenüber, bei seinen deutschsprachigen Mitbürgern kritisierte), erschien in der deutschsprachigen, „in tschechischem Geiste geführten“ Zeitung Union (früher Politik) ein begeisterter Bericht über den Auftritt eines jungen Dichters, der nach dem Abschluss des Militärdienstes in der Hradschiner Garnison nach 1913 als Redaktor der später berühmten Editionsreihe Der jüngste Tag beim Verleger Kurt Wolff in Leipzig wirkte. Obwohl er von seinem Vater Rudolf immer wieder ermahnt wurde, das Studium fortzusetzen (auch Wolff wurde in diese Überzeugungsbemühungen miteinbezogen), war Werfel als Autor von zwei Gedichtsammlungen und als Beiträger der Herder-Blätter nun keineswegs ein Unbekannter, er weckte mit seinen Auftritten sowie mit seinem Aussehen viel Aufmerksamkeit. Durch das Zutun des Musikverlegers und Buchhändlers Mojmír Urbánek, der sich 1913 ein modernes Wohnhaus mit einem Konzertsaal in der Jungmann-Straße nach dem Projekt des Architekten Jan Kotěra bauen ließ (später hatte Burians „Déčko“-Theater seinen Sitz dort, mit Ausblick in den Franziskanergarten), war es möglich, die Autorlesung gerade hier, auf „neutralem Boden“ stattfinden zu lassen, der von den Pragern ohne Unterschied von politischen oder nationalen Präferenzen besucht wurde. Im Mozarteum wurden bis dahin diverse Konzertabende (u. a. spielte hier das Ševčík-Quartett oder es sang die Sängerin Yvette Guilbert) sowie Vorlesungen (es las hier z. B. der evangelische Theologe Hermann L. Strack vor, Kenner der Rabbiner-Literatur und aktiver Kämpfer gegen den Antisemitismus) veranstaltet. Werfels öffentlicher Vortrag auf dem prominenten Boden des Prager Kulturlebens wurde neben den deutschsprachigen Zeitungen auch von Národní listy („ein junger deutscher Dichter aus Prag“) besprochen; es war jedoch Tea Červenková in Union, die der Dramaturgie des Abends und der Vortragstechnik bei weitem die größte Aufmerksamkeit widmete. Sie huldigte dem charismtischen Werfel nicht, weil er ihr Landsmann war (wie dies eben oft passierte), sondern vor allem wegen seines suggestiven Vortragsstils, wegen des Erlebnisses hymnisch-ekstatischer, den Menschen würdigender, progammatisch profaner, antibürgerlicher Texte. Der begeisterten Aufnahme folgte allerdings die Trennung von Karl Kraus, der bis dahin zum Sympathisanten Werfels zählte und an demselben Ort wie sein jüngerer Vereherer aus seinen eigenen Texten vorlas. Über seinen Prager Abend berichtete Kraus später in der Fackel, die „Kindheits-Lyrik à la Werfel“ ironisch erwähnend.

 

Zurück aber zu dem tschechischen „Echo“. Auch für „die anderen“ war Werfel kein Unbekannter. Neben dem Text von Josef Barvíř über Werfels Lyrik in Pokroková revue, den Überlegungen über Werfels Edition bei Wolff und der Rezension von Werfels Gedichtsammlung Wir sind in Umělecký měsíčník (Verfasser beider Beiträge war Werfels Freund František Langer) sowie einigen anderen kleineren Erwähnungen war der Bericht von Tea Červenková (1882 Prag – 1957 oder 1961 São Paulo) einer der bedeutendsten Texte über den jungen Autor. Von der Autorin dieses Berichts wissen wir nur wenig. Ein umfassender Beitrag auf Wikipedia (auch auf der englischen) erwähnt sie als die „zweite tschechische Filmregisseurin, Drehbuchautorin, Journalistin und Verfasserin (v. a. von Stücken).“ Sie studierte höchstwahrscheinlich bei Max Reinhardt, spätestens seit 1913 schrieb sie auch Feuilletons für Český deník, Národní obzor, Národní politika und Vídeňský deník, die sich thematisch sehr oft der deutschsprachigen Kultur widmeten (z. B. Peter Rosegger). 1917 unterschrieb sie das Manifest tschechischer Schriftsteller, zur gleichen Zeit interessierte sie sich auch für den Film. Laut der Filmhistorikerin Jindřiška Bláhová setzte sie sich für die Propagierung der tschechsichen Literatur durch den Film ein, neben konkreter Film-Projekte (neben den Stummfilmen Byl první máj [Es war der erste Mai], 1919; Babička [Die Großmutter], 1921; Křest sv. Vladimíra [Die Taufe des heiligen Vladimir], 1921 u. a.) gründeten sie und Josef Brabec die kinematographische Gesellschaft Slaviafilm, bzw. Filmový ústav [Filminstitut]. In einigen Filmen spielte sie sogar mit. Sie beschäftigte sich ferner mit Filmkritik. 1923 verließ sie die Tschechoslowakei und zog zu ihrem Bruder nach Brasilien. Bis auf vereinzelte spätere Veröffentlichungen (President Hoover v Rio [Der Präsident Hoover in Rio], Národní politika 16. 1. 1929) wissen wir von ihrem weiteren Schicksal nichts.

 

vp

 

Übersetzung: Lukáš Motyčka

 

 

Union 5. 4. 1914: Franz Werfel am Vorlesetisch

 

Mozarteum. In dem weißen Saal hellgekleidete Frauen. Man begrüßt sich, man lächelt, man plaudert vergnügt, man ist ganz unter uns. Franz Werfel ist ein Prager, ein junger Prager, und seine Vaterstadt muß ihn doch unterstützen auf seinem Flug auf den Ikarusflügeln. Franz Werfel ist jung, mollig, wollig, rosig und jung, mollig, wollig und rosig ist auch sein Musenkind. Auch seine Stimme ist jung und wohl klingelnd, seine Sprechweise sehr schön. Und wenn er sein unzügeltes, draufgängerisches Temperament mit den Jahren, künstlerisch moderieren, dämpfen wird, kann er tatsächlich als Rezitator etwas bedeuten. Denn er spricht sorgfältig aus, er banalisiert nicht die Sprache, als Künstler und Dichter wird er sich auch hüten die Ausdruckmittel seiner Muse zu profanieren. Franz Werfel machte uns mit seinen Gedichten bekannt, es war ein bunter Reigen seiner Lyrik, die er wirkungsvoll zum Vortrage gebracht hat. Seine Stimme hat metallischen Klang, sie jauchzt und jubelt, schluchzt und weint, klagt und lacht, sie lispelt und donnert. „Der Mensch besitzt kein edleres unentbehrlicheres Werkzeug als die Sprache; sie ist der zündende Prometheusfunke, der unser Denken erhellt, unser Empfinden entflammt, sie ist es, die uns aus dem beschränkten, animalischen Zustande in eine freie, unbegrenzte Sphäre erhebt, die Mensch an Menschen bindet, die unser Tun und Handeln adelt und verschönt, sie ist die edelste Blüte menschlichen Geistes und der schönste Schmuck, der auch den niedrigsten erhöht“, hat Karl Herrmann gesagt, und das alles weiß Franz Werfel als Rezitator. Und das hat mir an ihm auch so gut gefallen. Er hat seine Gedichte schön gesprochen, aber mir scheint, er würde auch fremde Poesie schön sprechen. Er fing mit dem innig gefühlten Gedicht: „Mein höchster Wunsch ist dir, o, Mensch, verwandt zu sein“, an. Es ist ein Bekenntnis Werfels, ein pium desiderium, daß sich alle Menschen als Brüder in die Arme fallen. Dann kam ein Gedicht „Vater und Sohn“, dann „Eine alte Frau“, wo das Seelenleben einsamer Frau analysiert wird, dann „Ein Liebeslied“, „Die Unsterblichkeit“, dann „Die Heilige im Theaterskandal“ [sic] und andere Gedichte noch. Franz Werfel liebt das Leben, die Schönheit, er fühlt innig und er weiß es auch klangvoll und verständnisvoll zu sagen. Es sind eine Art Gesänge um das Leben. Im zweiten Teil des Abends las er seine Uebersetzung der „Troerinnen“ des Euripides vor, wo die ganze Wucht seiner Vortragsweise, wie die Schönheit der großen, klassischen Periode der Altgriechen zur Geltung und Entfaltung kam. Als ich den traumverlorenen und selbstvergessenen Dichter sah, zogen durch meinen Kopf die Verse der Schillerschen Glocke „Von der Stirne heiß, rinnen muß der Schweiß.“ Der kräftige Beifall, der sich daraufhin meldete, war ein inniger, aufrichtiger Dank.


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