Es schreibt: Lucie Merhautová

(7. 11. 2018)

Maria Stona (eigentlich Maria Stonawski, verheiratete Scholz, 1859–1944) war vor allem im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert eine relativ bekannte deutsch schreibende Dichterin und Schriftstellerin österreichisch Schlesiens, die in der Zwischenkriegszeit ein zahlenmäßig großes belletristisches Werk publizierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihrer nur noch am Rande gedacht, das Schloss in Třebovice (heute ein Teil Ostravas/Ostraus), das in den 1860er Jahren ihr Vater Josef Stonawski mitsamt dem anliegenden Gutshof gekauft hatte, wurde völlig zerstört, das Familienarchiv verfiel. Erst in den vergangenen zwanzig Jahren ist ein fachliches Interesse an Maria Stona wiedererwacht. Über den Rahmen von Zeitschriftenstudien, enzyklopädischen Einträgen oder Konferenzbeiträgen hinaus war es 2014 die Universität Opava/Troppau mit der aufschlussreichen Publikation von Martin Pelc, Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz, die das Leben der Schriftstellerin anhand vieler unbekannter Details und Zusammenhänge beleuchtete, und zwar dank sorgfältiger Archivarbeit in Opava, Ostrava, Brünn, Kopenhagen, Wien, Deutschland und in der Schweiz. Pelc gelang es, eine Vielzahl von Briefen an verschiedene Adressaten zu sammeln (wobei er darauf hinweist, dass es sich nur um einen Bruchteil handelt), die Korrespondenz stellt (neben amtlichen Dokumenten und literarischen Texten) auch die Hauptquelle seiner Interpretation dar. Am meisten überraschte dabei die Entdeckung und der Umfang der etwa 150 Briefe an den europaweit bedeutsamen dänischen Kritiker Georg Brandes, beachtenswert sind aber auch die Briefe an die Schriftstellerinnen Marie Eugenie delle Grazie, Maria Ebner von Eschenbach oder an bedeutende Autoren, Kritiker oder Redakteure (u. a. Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Richard Schaukal), die örtliche Elite unter den Adressaten vertritt zum Beispiel der Leiter des Troppauer Museums Edmund Wilhelm Braun. Im zweiten Teil der Publikation kann sich die Leserschaft in eine chronologisch gereihte, kommentierte Edition ausgewählter Briefe an mehr als zwanzig AdressatInnen aus der langen Zeitspanne von 1887 bis 1930 einlesen und sich vom lebendigen Stil der intelligenten, wissbegierigen, witzigen, oft vorlauten und emotionalen Schriftstellerin ansprechen lassen.

 

Der erste Teil des Buches ist die monografische Studie Maria Stona und ihre Welt, die das Leben der Schriftstellerin in verschiedenen kulturellen und literarischen Zusammenhängen ausmalt und versucht, ihre jeweiligen Freundeskreise und deren Geschichte und Überschneidungen zu rekonstruieren. Es stellt sich die Frage nach der Bedeutung der lokalen kulturellen Zentren der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihrer Anbindung zu den größeren und großen Zentren, sei es durch Presse, persönliche Kontakte oder den Salon, den Stona auf ihrem Schloss als Treffpunkt der schlesischen, österreichischen und internationalen kulturellen Elite zu etablieren suchte. Die Schriftstellerin imitierte laut Pelc das Leben der Aristokratie, die Wintermonate verbrachte sie in Wien, den Sommer in Bädern oder auf Reisen, vor allem bewegte sie sich dank der guten Eisenbahnverbindung auf der Achse Wien – Třebovice – Berlin, beziehungsweise zwischen Třebovice, Opava/Troppau und Breslau. Ihre Gedichte, Prosatexte, Feuilletons publizierte sie in zahlreichen Periodika verschiedener Ausrichtung – vom Wiener konservativen Familienblatt An der schönen blauen Donau (wo zur selben Zeit u. a. auch Arthur Schnitzler debütierte), über die Neue Freie Presse, die Troppauer Zeitung bis hin zur modernistischen Zeitschrift Die Gesellschaft, die Ende des 19. Jahrhunderts von Ludwig Jacobowksi redigiert wurde, dem sie in enger Freundschaft verbunden war und der auch ihr Schloss immer wieder besuchte. In einem bemerkenswerten Kapitel werden Bildung und weltanschauliche Orientierung vorgestellt, die der wissenshungrigen Frau durch keinen Schulbesuch vermittelt wurde, sondern durch ihre Erzieherin Valeska Schliephacke und nach ihr geistliche Lehrer und Berater, die ihren Bekanntenkreis ebenfalls erweiterten. Zu den bedeutendsten gehörte der steirische Philosoph und liberale Abgeordnete Bartholomäus von Carneri, der bereits genannte Brandes oder auch Rudolf Steiner. Als Mutter erzog sie ihre Tochter Helena, die Bildhauerin wurde, relativ emanzipiert – deren Persönlichkeit wurde für den Autor zur Entdeckung, und er weist berechtigt darauf hin, dass sie eine eigene Monografie verdient hätte. Einstweilen hat er ihr zumindest eine Studie gewidmet, die ihre Begegnungen mit dem Präsidenten T. G. Masaryk in den Jahren 1932–1934 beschreibt (Tomáš Garrigue Masaryk a Helena Železná-Scholzová. In: Český časopis historický 114, 2016, Nr. 1, S. 116–145), ebenfalls für eine Zeitschrift gab er ihre Korrespondenz mit Rudolf Jeremias Kreutz heraus und kommentierte sie (Helena Železná-Scholzová – znovuzrozená. Poválečná léta sochařky v dopisech příteli /1946–1949/ [Helena Železná-Scholzová – neu geboren. Die Nachkriegsjahre der Bildhauerin in den Briefen an ihren Freund /1946–1949/]. In: Časopis Slezského zemského muzea: Serie B, Jg. 63, 2014, Nr. 2, S. 155–186).

 

Vom Standpunkt weiblicher Emanzipation und weiblichen Schaffens betrachtet ist es bemerkenswert, dass wir Stona als Korrespondentin und Autorin in wachsendem Umfang erst nach der Trennung von ihrem Mann Albert Scholz (1850–1905, Sohn eines Hüttenbesitzers und Eigentümer einer Zuckerfabrik in Chropyně/Chropin, der beinahe auch den Třebovicer Besitz verprasste) begegnen. Kindheit, Heranwachsen und Ehe behandelt Pelc deshalb auf der Grundlage von retrospektiven Bemerkungen und literarischen Werken – vor allem im Roman Der Rabenschrei (1907), der autobiographische Züge aufweist. Das literarische Werk kann im Detail sicher plastisch psychologische Momente sowie die Atmosphäre hervorheben, die wir aus Archivunterlagen nicht herauslesen können, doch gleichzeitig verweist Pelc auf die starken selbststilisierenden Elemente in ihren literarischen Werken, der Korrespondenz und im Übrigen auch in ihrem Leben. Es wäre sicher lohnenswert, sich mehr mit der Frage zu befassen, was Kunst und literarisches Schaffen in unterschiedlichen Zeitabschnitten für Stona bedeuteten. Aus Sicht der Rezeption wird besonders die recht positive Reaktion auf die zweite Textsammlung der Autorin Lieder einer jungen Frau (1899) hervorgehoben. Gerade die Rezeption kann uns aufzeigen, in welchem Rahmen ihr Werk gelesen wurde. Dabei sollte man ästhetische und literaturgeschichtliche Fragen nicht mit der Begründung beiseite schieben, dass die Kulturgeschichte Gegenstand des Interesses sei, und sich mit einem Überblick über die Werke begnügen. Der Autor verfährt dann unklar mit den Begriffen von literarischem Kanon und Tradition sowie mit seiner Vorstellung von Zentrum und Rand und marginalisiert Stonas Werk vielleicht unnötig. Während ein Kanon institutionell gebildet wird, lebt und erneuert sich die Tradition durch Interpretation. Und eine gewisse Lektüre hätte die Monografie über die Schriftstellerin anbieten und somit die Leserschaft lenken sollen, die nicht weiß, wohin Stona einzuordnen ist – etwa in welchem Bezug ihr Schrifttum zu den österreichischen Autorinnen und Autoren steht, mit denen sie korrespondierte. Es steht natürlich nicht in der Macht eines einzigen Forschers und einer einzigen Publikation, ein so breites und gleichzeitig zum Großteil in der damaligen Presse zersplittertes Werk zu bewerten, die Arbeit von Martin Pelc liefert dennoch in jedem Fall das zuverlässige und farbenfrohe Lebensprofil einer Frau, die unter gegebenen historischen Umständen ein gewisses kulturelles Zentrum bilden, den Familienbesitz halten und sich gleichzeitig der gesellschaftlichen, intellektuellen, literarischen und familiären Sphäre widmen konnte. Wohl weil das Buch in Tschechien auf Deutsch erschien und nur wenig vertrieben wurde, ist es unberechtigterweise etwas untergegangen. Die einführende Studie hätte auch eine Übersetzung ins Tschechische verdient, und weiteres Interesse an der Autorin könnte eine Neuausgabe ihrer literarischen Arbeiten hervorrufen – ihr letzter Erzählband erschien 1962 unter dem Titel Dorfgestalten aus dem Vorfeld von Groß-Ostrau und war auf Tschechisch in Form einer modernen Übersetzung noch nicht zu entdecken...

 

Übersetzung: Daniela Pusch

 

 

Martin Pelc: Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz. Kultur am Rande der Monarchie, der Republik und des Kanons. Opava: Schlesische Universität in Opava, 2014, 295 S.


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