Es schreibt: Ingeborg Fiala-Fürst

(20. 6. 2018)

Das schöne gebundene Buch, das im Residenz-Verlag bereits 2016 publiziert wurde, erfuhr inzwischen – gemessen an der Zahl der (vornehmlich in Österreich) erschienenen Rezensionen – recht großen Widerhall. Obzwar die meisten Rezensenten ihre Besprechung des biographischen Werkes Daniela Strigls zum Anlass nehmen, mehr über „das Objekt“ ihres biographischen Interesses zu schreiben (also über die Schriftstellerin Marie Ebner von Eschenbach selbst) als über die biographische Studie, widmen manche (vor allem diejenigen, die sich im germanistischen Metier bewegen und selbst mehrere Arbeiten dieser oder anderer Art verfassten, etwa Karl Wagner oder Karl Markus Gauss) sich doch auch der Charakteristik der Studie – und zwar ausschließlich lobend. Es wird von „allen britischen Tugenden dieses Genres [gesprochen] – also Recherche, Intelligenz, sparsamer Psychoanalyse und gewitzter Empathie [, mit denen D. Strigl] eine Schriftstellerin buchstäblich zu neuem Leben erweckte,“ es wird von der Verbundenheit „der Biografie mit dem dunklen Glanz des realistischen Schreibens“ gesprochen, Strigls biographischem Zugang werden „völlig neue Akzente“ zuerkannt. In immer neuen Verbindungen und Abwandlungen werden die lobenden Adjektive („ein frisches Bild der Baronin von Ebner-Eschenbach“, eine „wissenschaftliche“ [zwar, doch] „leicht“, „spannend zu lesende“, eine „exzellente“, „profunde“, „kenntnisreiche“, „sachkundige“, „bestens recherchierte“, „empfehlenswerte“ Biografie) durchkombiniert. „Die Biographie kennzeichnet ein überaus sachkundiger Umgang mit dem Material, detaillierte Werkkenntnis und eine differenzierte kritische literaturwissenschaftliche Spurensuche, die neue lohnende Horizonte auf das Leben der Dichterin eröffnet.“

 

Diesem vielstimmigen Lob (welcher meistens auch noch die herausgeberische Leistung Daniela Strigls mit einbezieht – gemeint ist die vierbändige Leseausgabe der Werke Marie Ebner-Eschenbachs im Schuber Taschenbuchverlag 2015 –: „den Herausgeberinnen der vierbändigen Ausgabe von Marie von Ebner-Eschenbachs Werken: Evelyne Polt-Heinzl, Daniela Strigl und Ulrike Tanzer gebührt großer Dank für die Bergung dieses kostbaren Leseschatzes samt jeweils ausgezeichnetem Vorwort“) schließe ich mich restlos an – und denke mir dabei, dass es doch aber nur eine Selbstverständlichkeit ist, dass sich die österreichische Germanistik, die Kritikerschar, die Verleger- und Leserschaft ihrer berühmtesten, ihrer Vorzeige-Autorin des 19. Jahrhunderts mit wärmster Emphase annimmt.

 

Doch scheinbar ist es keine solche Selbstverständlichkeit, wie Daniela Strigl im Vorwort erwähnt: „Dass Ebner-Eschenbach als Figur aber heute in irgendeiner Weise sexy wäre, wird kaum jemand behaupten. Man verbindet mit ihr das etwas angestaubte Bild einer Matrone und einen Tugendkatalog ganz nach dem Geschmack des 19. Jahrhunderts: Güte, Mitleid, Weisheit, Mütterlichkeit, Mitmenschlichkeit, Tierliebe, Herzenswärme.“ (S. 11) und „Ebner-Eschenbachs Image ist heute nicht nur das einer immer schon alten, sondern das einer altmodischen Frau […], abschreckend in ihrer Biederkeit.“ (S. 12) Strigl geht im Vorwort einerseits der Fragte nach, warum das so ist, und zieht die Autorin selbst zur Verantwortung: „Sie selbst war daran nicht unschuldig, sie malte in ihren letzten Jahrzehnten durchaus mit am Bild der altersweisen, gütigen, bescheidenen, über jeden moralischen Zweifel erhabenen Dichterin“ (S. 15), ein Bild also, ein Image, das – milde gesprochen – etwas unzeitgemäß wirkt. Dass an diesem Bild neben der Dichterin selbst vor allem Anton Bettelheim, der Autor der ersten Biographie Ebner Eschenbachs von 1900 mitgewirkt hat, führt die Autorin explizit auf; im umfangreichen Literaturverzeichnis sind dann weitere Mitwirkende am Mythos „des guten Menschen von Zdißlawitz“ (S. 12) zu finden (etwa Fussenegger, Klüger), dann aber auch die deutsch-überlegenen Naserümpfer ob diesem Mythos (Koopmann, Martini) als auch Promotoren einer neuen Sicht auf Ebner-Eschenbachs Werk und Wirken (etwa Polheim, Magris, Fliedl und vor allem Klostermaier, Rossbacher, Tanzer u. a. m.).

 

Ähnlich wohl wie die amerikanische Biographin Doris Klostermaier, die die zweite Ebner-Eschenbach-Biographie fast genau hundert Jahre nach der ersten Bettelheims (welche sie als „Hagiographie“ kritisierte) herausgab, will Daniela Strigl „die ‚andere‘ Ebner-Eschenbach entdecken“ (S. 12), nämlich die Zeitgenossin und Zeitzeugin des bewegten 19. Jahrhunderts, die sowohl damals als auch noch heute hoch zeitgemäß war und ist, „eine Zerrissene zwischen den Epochen, den politischen und den literarischen Strömungen,“ (S. 14), eine Dichterin, die „nicht nur liebevoll über Menschen in ihrer Umgebung dachte und schrieb, sondern auch mit Ironie, Witz und einiger Bosheit“ und die „Romane und Erzählungen [verfasste], die sich, gegen den ersten Anschein, bei der Lektüre als subversiv, mitunter auch explosiv erweisen.“ (S. 15)

 

Unangefochten von der poststrukturalistischen Skepsis gegenüber der Gattung der Biographik, die Pierre Bourdieu als „unreine Kunst zwischen Wissenschaft und Literatur“ für einen „Bastard“ erklärte, geht Daniela Strigl unerschrocken, doch zugleich umsichtig, die eigene Vorgehensweise ständig reflektierend und befragend ans Werk. Freilich gibt es in der Biographie Stellen, wo die gefährliche Grenze zwischen non-fiction / Wissenschaft und fiction / Romanbiographie hart gestreift wird, wo der Drang nach der Konstruktion einer Einheit (des Lebens und des Charakters der Dichterin) dem Gestus eines Autors bei der Konstruktion einer literarischen Figur allzu ähnlich ist, wo „reale“ Begebenheiten aus dem Leben der Autorin mithilfe von Stellen aus fiktionalen Werken interpretiert werden, wo einfach (manchmal auch mithilfe psychoanalytischen Inventars – ohne dass jedoch die Biographie zur „erzählten Krankengeschichte“ wird) fabuliert wird. Doch der „einfache“ / germanistisch unverbildete Leser schert sich wenig um diese Grenze, sondern schätzt die Lesbarkeit, die Schnurrigkeit einer Lebensgeschichte, die zugleich die Geschichte eines vergangenen Jahrhunderts ist. Manchmal, an spannenden Lebens-Stellen, tut es einem gar leid, dass die Autorin die Grenze zum Roman doch nicht dezidierter überschreitet und nicht einfach drauf los erzählt, man hätte doch so gern gewusst, ob die Ebner wirklich… und was die Betty Paoli dazu meinte…, und wie sie sich dabei fühlte… Doch vielleicht wird diese romanhaften Leerstellen einmal ein Romanautor des Ranges Peter Härtlings füllen oder aber der Leser fülle sie selbst – mit der Lektüre der Werke Ebner-Eschenbachs, auf welche die Biographie unbedingt Lust macht.

 

Daniela Strigl erzählt die Lebensgeschichte Ebner-Eschenbachs chronologisch nach, (ohne durch postmoderne Zeitsprünge Aufmerksamkeit etwa auf sich selbst oder den Prozess der Entstehung der Biographie zu lenken), teilt das Leben ihrer Heldin in vier große Kapitel, beginnt also mit der familien- und naturgeschützten Kindheit des „Waldfräuleins“ in Zdislawitz (1830–1848), setzt mit der „Spätgeburt“ des literarischen Auftretens der Ebner-Eschenbach fort, die (wegen wohlbekannter Familienskrupel und wegen des männlich dominierten Literaturbetriebs der damaligen Zeit) tatsächlich auch eine „Schwergeburt“ war (1848–1875), schwingt den Bogen zum „Berühmtsein“ (1875–1899) und schließt ihn im Kapitel „Altweibersommer“ (1899–1916) ab. Die ausschließliche Konzentration auf die zentrale Figur ihrer Biographie lässt allerdings die historischen Ereignisse, Begebenheiten, geistige Impulse, auf welche das Werk der Dichterin reagierte, aus welchen es reflektierend herauswuchs nicht, zur bloßen Kulisse verkümmern, sondern im Gegenteil: Ebner Eschenbach wird in ihrer symbiotischen Verbundenheit mit ihrer Zeit betrachtet, so dass (wie einer der Rezensenten schreibt) „diese Biographie zugleich auch ein Epochengemälde entstehen lässt, an dem sich das letzte Jahrhundert der Monarchie aus der Perspektive einer Adeligen mit großem sozialkritischen Bewusstsein studieren lässt.“

 

Ohne jetzt noch die weiteren Errungenschaften und Verdienste der Biographie aufrollen zu wollen (v. a. die Fülle des eingesehenen Archiv-Materials, das Einbeziehen bisher unbekannter Briefe, Tagebuchstellen, doch auch bisher wenig beachteter Texte Ebner-Eschenbachs, das achtunggebietende Literaturverzeichnis, den frischen, mitunter witzigen Stil usw.), halte ich abschließend fest, dass sich Daniela Strigl die vorhin postulierte Aufgabe, „die ‚andere‘ Ebner-Eschenbach zu entdecken,“ als erfüllt anrechnen kann: Vor dem Leser entsteht ein ausgezeichnet lesbares, plastisches Bild einer blitzgescheiten, kritischen, ständig zu witzigem Widerspruch aufgelegten, dann wieder kränklichen, zweifelnden und stets mit dem „Dämon der Kunst“ kämpfenden Frau vor der stürmisch bewegten Kulisse des 19. Jahrhunderts.

 

 

Daniela Strigl: Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie. Wien: Residenz Verlag, 2016, 440 S.


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