Es schreibt: Ingeborg Fiala-Fürst

(14. 2. 2018)

Der 1890 in Olmütz geborene Schriftsteller Franz Spunda wäre wahrscheinlich von der literarischen Nachwelt, der Leserschaft als auch der Germanistik gründlich vergessen worden, wenn es 1971 nicht den umfangreichen Aufsatz Wodurch hat Franz Spunda die deutschsprachige Literatur bereichert? gegeben hätte, den Ludvík Václavek in den Germanistica Olomucensia veröffentlichte (übrigens als den letzten Aufsatz, den er unter seinem eigenen Namen in der Zeit der Normalisierung veröffentlichen durfte). Auf Ludvík Václavek ist auch die derzeitige, man möchte fast sagen, „Spundasche Renaissance“ zurückzuführen, die nun eine weitere Bereicherung der Diskussion um das vielverzweigte Werk des „magischen Dichters und Griechenlandpilgers“ erfuhr.

 

Als bereits 11. Band der Reihe Erträge Böhmisch-Mährischer Forschungen, die im LIT Verlag in Verbindung mit der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste in München Herbert Zeman und Oliver Jahraus herausgeben, erschien 2016 der Band Franz Spunda (1890–1963). Er fasst die Beiträge des eintägigen Kolloquiums zu Franz Spunda zusammen, das im November 2015 in Wien abgehalten wurde, und zugleich auf die „verdienstvolle Konferenz“ anknüpft, „die die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur der Universität Olmütz vom 3. bis 4. Oktober 2014 ausgerichtet hatte.“ (S. 7) Die Beiträge der Olmützer Konferenz (ergänzt eben um den Nachdruck des grundlegenden Aufsatzes Ludvík Václaveks von 1971 und um eine fünfseitige Bibliographie der Sekundärliteratur, die das erwachte/erwachende Interesse an Franz Spunda überzeugend belegt) erschienen im von Lukáš Motyčka herausgegebenen Sammelband Franz Spunda im Kontext im Olmützer Universitätsverlag 2015, der aufgrund der ausgefallenen Richtlinien der vom Tschechischen Schulministerium verwalteten sog. ESF Projekte allerdings „nicht im Buchhandel verfügbar ist“ (S. 7). Für die Forschung ist es nicht nur kollegial, sondern auch verdienstvoll, dass das Wiener Kolloquium auf den Olmützer Sammelband direkt hinweist und es sich zu einer seiner Aufgaben gemacht hat, „dieses Buch auch in einem österreichischen akademischen Rahmen vorzustellen und seine Ergebnisse zu vermitteln“ (S. 7).

 

Nach den drei einführenden Beiträgen von Christoph Spunda (kurze Erinnerung eines der Söhne an seinen Vater), von der Verlegerin „einiger Werke Spundas“ (S. 22) Gabriele Quinque und von Herbert Zeman, der Spunda einführend in die geistige Nähe Goethes rückt und seinen kulturgeschichtlichen Arbeiten eine Sonderstellung außerhalb des „Hauptstroms historisch-historistischer Veröffentlichungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts“ (S. 14) einräumt, folgen im Hauptteil des Sammelbandes vier Studien zum Werk Franz Spundas: zwei von Christoph Fackelmann, je eine von Herbert Schrittesser und Alexander Martin Pfleger. Die publizierten Erträge des Olmützer Kolloquiums für verbürgt haltend, auf sie häufig bezugnehmend, widmen sich die vier Beiträge jeweils bloß einem Ausschnitt aus dem Oeuvre Franz Spundas. Viele Themenbereiche bleiben im Band ausgespart, so dass tatsächlich eine Doppellektüre der beiden Spunda-Sammelbände zu empfehlen ist.

 

In der ersten seiner zwei Studien, Heilige Berge im Chaos der Welt unternimmt Christoph Fackelmann eine spannende diskursanalytische Untersuchung des Okkultistischen und Magischen im Werk des Dichters, das er als „okkultistischen Basisdiskurs“ (S. 27) und als „magische Konstante“ (S. 34) im gesamten Oeuvre Spundas ansieht, so dass ihm die – von der Forschung sonst durchgehend festgestellten unterschiedlichen – Etappen, Themen und sogar Gattungen des Spundaschen Werkes (expressionistische Lyrik und Dramatik, Programmatik, magische Phase, historische Romane, griechische Inspiration im Roman, Reisebuch und Essay, Publizistisches: Kurzerzählungen, Erinnerungsskizzen, zeitgeschichtliche Romane nach 1945) nicht als diskontinuierlich oder gar bruchhaft, etwa von der aktuellen Lesemode, einem „konjunkturgemäßen Genre“ (S. 38) oder einer Ideologie diktiert, vorkommen, sondern eben als Kontinuum.

 

Diese These untermauert Fackelmann noch in seinem zweiten Aufsatz Franz Spundas Griechenlandliteratur. Dieses transformierte Kontinuum belegt Fackelmann durch die Analyse einer Reisesequenz aus Spundas Griechischen Reise (den hier beschriebenen beschwerlicher Aufstieg auf den Gipfel des Parnassos rückt Fackelmann in die Tradition der christlichen Pilgerschaften und die Befolgung des „theosophischen Pfades“, S. 118) und eines seiner Eleusinischen Sonette, die er mit einer „stichwortartigen“ (wie er sie selbst nennt, S. 123), doch hoch plausiblen Zusammenstellung der Konstanten im Spundaschen Werk abschließt (S. 123f.)

 

Die Studien von Herbert Schrittesser (Franz Spundas „magische Romane“) und von Alexander Martin Pfleger (Franz Spundas Giordano-Bruno-Roman) sind dann als Belegtexte zu Fackelmanns Thesen zu lesen, da sie sich in werkimmanenter analytischer Absicht einzelnen Romanen Spundas widmen: Schrittesser den vier „magisch-okkulten“ aus der Frühphase (Devachan [1921], Der gelbe und der weiße Papst [1923], Das ägyptische Totenbuch [1926] und Baphomet [1928]), die er in den Kontext der „grotesk-phantastischen Literatur der Zeit um die Jahrhundertwende“ (S. 100) setzt (Meyrink, Ewers, Busson, Strobl), sie als eine – durch die Figur des Mönches Irenäus zusammengehaltene – Tetralogie liest, die von „Spundas theoretischen Gedanken zur magischen Dichtung in der Essaysammlung ‚Der magische Dichter‘“ (S. 102) begleitet werden, und deren „Grundthema […] der Kampf zwischen Gut und Böse ist“ (S. 99).

 

Pfleger formuliert am Anfang seiner Studie zwei umfassendere Fragen: Die erste als ob in polemischer Absicht zu Fackelmanns These: „Kann man angesichts der motivisch dichten Verwobenheit einzelner Elemente in Spundas Büchern, sein Gesamtwerk als organisches Ganzes ansehen, oder muss man von einem Bruch zwischen seiner frühen ‚magisch-okkultistischen‘ bzw. ‚nachexpressionistischen‘ Phase und seiner späteren, an der Antike und Renaissance orientierten ‚klassischen‘ Periode sprechen?“ (S. 139), die zweite als These formuliert: „Es handelt sich um die erste größere Prosaarbeit, die Spunda nach dem Ende des ‚Dritten Reiches‘ veröffentlichte. Teilweise lässt sich der Roman auch als verschlüsselte Auseinandersetzung mit dem NS-Regime lesen, dessen Parteigänger Spunda einige Zeit gewesen war, bis er auf Distanz ging, ferner [hier wieder im Bezug auf die erste Frage] als Abrechnung mit seinen früheren esoterisch-okkultistischen Ambitionen“ (S. 140). Im Folgenden erzählt dann Pfleger aber im Wesentlichen Spundas Giordano-Bruno-Roman Verbrannt von Gottes Feuer von 1949 nach, ohne auf die eingangs gestellten Fragen befriedigend zu antworten. Einzig einer der abschließenden Sätze deutet auf eine Stellungnahme des Interpreten hin: „Spunda mag sich in seiner ‚magischen Phase Hoffnungen‘ auf den Gewinn jenes archimedischen Punktes gemacht haben, ‚worauf wir fußen und von wo aus die Welt bewegt werden kann‘. Später jedoch, wie ‚Verbrannt von Gottes Feuer‘ nahe legt, dürfte er sich weniger als Adept denn als rein Forschender begriffen haben“ (S. 155).

 

Zum wertvollen Nachschlagewerk und Studienbuch für alle, die sich mit Franz Spunda und seinem Werk noch beschäftigen wollen, macht den Sammelband die von Christoph Fackelmann zusammengestellte Bio-bibliographische Chronik (S. 65–97), die neben klassischen Daten und Informationen, die man von einer solchen Aufstellung erwartet (und die in ihrer Dichte sogar die Angaben in der Literarischen Landkarte der deutschmährischen Autoren https://limam.upol.cz/ übersteigen), auch Abdrucke von zeitgenössischen Rezensionen, Besprechungen, Spundas eigenen Stellungnahmen zu seinen Werken beinhaltet – und (fast am Ende) einen hoch spannenden Auszug aus dem Brief Karl Gustav Bittners, der sich zu Spundas nationalsozialistischer Vergangenheit äußert.

 

Als Anhang (S. 159–199) figurieren sieben „publizistisch-essayistische“ (S. 158) Texte Spundas, die zwischen 1922 und 1955 in verschiedenen Zeitschriften erschienen, die heute wohl nicht so einfach zugänglich sind und – aufgeteilt in zwei Bereiche, Autobiographisches und Programmatisches – einen angenehmen Einstieg in die Lektüre des Spundaschen Werkes darstellen.

 

 

Christoph Fackelmann / Herbert Zeman (Hg.): Franz Spunda (18901963). Deutschmährischer Schriftsteller, magischer Dichter, Griechenlandpilger. Wien: LIT Verlag, 2016, 200 S.


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