Es schreibt Olga Kovaříková

(6. 12. 2017)

Friedrich Feigl (1884–1965) gehört zu jenen Künstlern, deren „Name bei uns recht bekannt ist, sein Werk hingegen kaum“ (Arno Pařík: Návrat Bedřicha Feigla. In: Mezery v historii. Cheb: Festival uprostřed Evropy, 2010, S. 181). Unter anderem aus diesem Grunde verspricht die Monografie eines Forscherteams um den amerikanischen Kunsthistoriker Nicholas Sawicki zunächst eine neue Sicht auf das Schaffen dieses Künstlers, der heute vielleicht gänzlich vergessen wäre, hätte er nicht der Künstlergruppe Osma angehört (siehe dazu das Echo Marie Rakušanovás vom 17. 8. 2015). In der tschechischen Forschung, die ihren Blick erst nach 1989 auf die bis dahin kaum aufgearbeiteten Schicksale deutschböhmischer bildender Künstler der ersten Hälfte des 20. Jh. richtete, ist das Interesse an Feigl nämlich eher eine Ausnahmeerscheinung.

 

Die zweisprachige Publikation, herausgegeben anlässlich einer Feigl-Retrospektive mit dem Titel Oko vidí svět [Das Auge sieht die Welt] (Galerie für bildende Künste Cheb, 2016), deren Kurator ebenfalls Sawicki war, umfasst vier thematisch ausgerichtete Beiträge, die sich teilweise mit den jeweils vom Wohnort definierten Lebensetappen Feigls decken. Die einzelnen Kapitel sind in tschechischer und deutscher Version abgedruckt und werden durch Bildmaterial, eine umfangreiche Bibliografie, ein Quellenverzeichnis und ein Geleitwort aus der Feder Sawickis ergänzt. Was die Ausstellung wie auch den Aufbau der Begleitpublikation betrifft, wurde das Wichtigste bereits in einer Rezension Hana Rousovás für den Server Artalk (vom 22. 2. 2017) gesagt. Hier sollen daher eher die einzelnen Beiträge charakterisiert werden.

 

Sawicki selbst, der in Tschechien mit einer Monografie über die Gruppe Osma (Praha: Filozofická fakulta Univerzity Karlovy, 2014) auf sich aufmerksam machte, befasst sich im ersten Beitrag des Bandes mit der Frühphase von Feigls Leben, wobei er auch dessen künstlerische Auslandsaufenthalte und seine intensive Vereins- und Ausstellungstätigkeit einbezieht. Der am Jüdischen Museum Prag tätige Arno Pařík – der wohl berufenste Kenner von Feigls Werk – arbeitet in seinem Text die jüdischen Motive in Feigls Schaffen heraus, seien es Reminiszenzen an das Prager Ghetto, alttestamentarische Geschichten oder Szenen von Reisen durch Palästina. Die darauffolgende Studie der Kulturhistorikerin Zuzana Duchková skizziert Feigls Wirken in Berlin, wo der Künstler nach 1910 lebte, einschließlich seiner Verbindungen zu Franz Kafka. Rachel Dickson und Sarah MacDougall von der Ben Uri Gallery London konzentrieren sich schließlich auf Feigls Leben in Großbritannien, wohin der Künstler in den dreißiger Jahren emigrierte. Im Mittelpunkt steht hier vor allem die mit der dortigen Immigrantenszene verknüpfte Ausstellungstätigkeit.

 

Die einzelnen Autorinnen und Autoren befassen sich dabei, entsprechend ihrem fachlichen Interesse, mit unterschiedlichen Aspekten von Feigls Leben. So sind die Texte Paříks wie auch Dicksons und MacDougalls von deren Kuratorentätigkeit in ihren Heimatinstituten geprägt. Das kulturwissenschaftliche Interesse Duchkovás, die sich unter ihrem Mädchennamen Skořepová bereits in mehreren Texten mit Feigl befasste, gilt weniger seiner schöpferischen Tätigkeit denn seiner Persönlichkeit als kosmopolitischer Künstler mit Vermittlerkompetenzen und einer dreifachen, deutsch-tschechisch-jüdischen (später auch britischen) Identität. Schwer zu fassen ist hingegen Sawickis Faszination für Feigl. Diese scheint – wie insbesondere aus den etwas übertriebenen Thesen im Einführungsteil der Publikation hervorgeht – eher einer überraschend unkritischen Bewunderung für die Persönlichkeit des Künstlers zu entspringen. Treffend charakterisiert dies Rousová in ihrer bereits genannten Rezension, in welcher sie anmerkt, Sawickis „superlative Bewertung“ der Bedeutung Feigls könne den bisherigen Erkenntnissen der tschechischen Kunstgeschichtsforschung, die Feigl für einen eher konventionellen Maler hält, kaum standhalten. Sawickis Immunität gegenüber dem Evidenten ähnelt nämlich jener, die Feigl gegenüber dem aktuellen Geschehen seiner Zeit an den Tag legte. Wäre übrigens Feigl tatsächlich ein so bedeutender mitteleuropäischer Künstler – warum ist er dann von der Forschung derart übersehen worden?

 

Sawickis Ansicht nach wurde Feigl vor allem deshalb übersehen, weil sein „Desinteresse am Kubismus von späteren Kommentatoren als Zeichen dafür interpretiert wurde, dass er künstlerisch weniger progressiv sei als seine tschechischsprachigen Prager Zeitgenossen“ (S. 37). Eine solche Behauptung erweist sich jedoch in Konfrontation mit der bisherigen Forschung zwangsläufig als simplifizierend. Denn die tschechische Forschung diskriminiert Feigl nicht wegen seines Desinteresses am Kubismus, sondern verortet ihn im Kontext der künstlerischen Entwicklung jener Zeit an adäquater Stelle. Feigl ist zudem definitiv kein vom tschechischen bzw. deutsch-tschechischen kulturellen Umfeld separierter Künstler, da er auch in der Emigration mit Prager Künstlerkreisen in Kontakt blieb. Ein echtes Problem bleibt zwar, dass ein beträchtlicher Teil von Feigls Werk im Krieg zerstört wurde und er nach dem Krieg als „Deutschböhme“ schwerlich populär sein konnte. Dennoch lässt sich die Stimme einheimischer Forscher, die von Feigls Bedeutung ein schlichtweg realistischeres Bild haben als Sawicki, nicht ignorieren. Um einen nüchterneren Blick auf Feigls bildkünstlerisches Werk zu werfen, muss man nicht weit gehen. Es genügt, sich den Beitrag Duchkovás anzuschauen, die in Feigl einen Maler mit interessanten Adaptionsfähigkeiten und eine „relativ unentbehrliche Person im kulturellen Austausch zwischen Prag und Berlin“ (S. 168) sieht, oder auch den Beitrag Dicksons und MacDougalls, deren Interesse an Feigl auf seinem „wesentlichen Beitrag zur Immigrantengemeinde“ in Großbritannien beruht (S. 221).

 

Sawickis Thesen widersprechen sich zuweilen (darauf weist auch Rousová hin). Vieles müsste weiter ausgeführt werden, einige balancieren an der Grenze zum Klischee. Als Beispiel sei hier die These angeführt, „Feigls Leben und Werk [sei] stark vom Holocaust und vom Zweiten Weltkrieg beeinflusst“ gewesen (S. 7). Wir möchten nicht bezweifeln, dass Feigls persönliches Leben vom Verlust der meisten seiner Familienmitglieder gezeichnet war. Aber sollte nicht näher beleuchtet werden, wie sich der Krieg Sawickis Meinung nach z. B. in Feigls Nachkriegsschaffen widerspiegelte, für welches vor allem Porträts und englische Landschaften charakteristisch sind? Die These mutet noch sonderbarer an, wenn wir sie mit der Meinung Marcel Fišers, Leiter der Galerie für bildende Künste Cheb, vergleichen, der in einem Gespräch mit Radio Prag (13. 8. 2016) äußerte, Feigl habe die Kriegstraumata aus seinem Werk verdrängt. Dieselbe Ansicht findet sich – in diesem Falle klar belegt – im Beitrag Dicksons und MacDougalls, welche darauf hinweisen, dass die Arbeiten, die nach Feigls Emigration nach Großbritannien entstanden, nicht „politisch gefärbt [waren], sondern vielmehr Zuflucht boten vor den Wirren der Zeit“ (S. 207).

 

Neben einigen derartigen Holperern ist in gewissem Maße auch die Feststellung enttäuschend, dass die Publikation zwar eine Reihe von Teilerkenntnissen bietet, insgesamt jedoch keine Sichtweise entwirft, die zu einer Neubewertung der bisherigen Forschung führen könnte. Bei gründlichem Lesen erweist sie sich eher als Kompilation bereits bestehender Erkenntnisse, erweitert um einige interessante Details. So kann man sich z. B. beim Vergleich einiger Passagen Paříks und Duchkovás mit ihren früheren Texten zu Feigl des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei den Kapiteln in Sawickis Publikation stellenweise um dasselbe in neuem Gewand handelt. Duchková wie auch Pařík führen neben einigen offensichtlichen Paraphrasen eigener Texte wiederholt Zitate an, die bereits mehrmals zuvor erklangen. Dies ist natürlich wissenschaftlich kein Fehler, bestärkt jedoch die Überzeugung Rousovás, das wirklich Wichtige über Feigl sei bereits geschrieben.

 

Der Wert dieser Monografie besteht vor allem darin, dass sie vier verschiedene, resümierende Sichtweisen auf einen Künstler und Weltenbummler von deutsch-tschechisch-jüdischer Herkunft und großem Organisationstalent bietet, der sich durch eine faszinierende Persönlichkeit und bewunderungswürdige Anpassungsfähigkeit an sein Umfeld auszeichnete, gleichzeitig jedoch sonderbar resistent war gegen die Wandlungen seiner Zeit (und dies nicht nur in künstlerischer Hinsicht). Egal, ob er sich nun Fritz, Bedřich, Frederick oder Fred nennen ließ, sich mit Porträts, Landschaften oder biblischen Motiven befasste – im Kern blieb er stets jener „Prager“ Friedrich Feigl, der immer wieder zu denselben Sujets zurückkehrte und dessen künstlerische Sprache sich kaum je änderte. Obschon in letzter Zeit einige Studien erschienen sind, die – einschließlich dieser Monografie – ein neues Licht auf die Leerstellen in Feigls Lebenslauf werfen, ist das Interesse noch immer nicht so groß und wird wohl auch nie so groß sein, wie Sawicki es sich vielleicht wünscht. Auch wenn dies wohl nicht ihre Absicht war: Aus der Monografie als Ganzem geht hervor, dass Feigls tatsächlicher Beitrag zur europäischen Kunstszene nicht so sehr in seiner Kunst lag, sondern vielmehr in seiner zentralen Stellung innerhalb des dichten Netzes künstlerischer Beziehungen seiner Zeit.

 

Übersetzung: Ilka Giertz

 

 

Nicholas Sawicki (ed.): Friedrich Feigl. Řevnice: Arbor vitae a Galerie výtvarného umění v Chebu, ve spolupráci s Alšovou jihočeskou galerií v Hluboké nad Vltavou, 2016, 335 S.


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