Es schreibt: Murray G. Hall

(26. 4. 2017)

Im Gegensatz zu jenen Schriftstellern in Österreich, die nicht emigrierten/emigrieren mussten und während des Zweiten Weltkriegs schrieben und veröffentlichten, genießen ihre schreibenden Kollegen im Ersten Weltkrieg mit Dienst für Kaiser, Volk und Vaterland eine bessere Nachrede und haben meist einen Platz in der heimischen Literaturgeschichte. Elisabeth Buxbaum teilt ihr Buch Des Kaisers Literaten über jene älteren wie neugeschaffenen Institutionen, die der staatlichen Propaganda im Ersten Weltkrieg dienten, in einige übersichtliche Blöcke. Sie hat immer eine oberste moralische Instanz dabei, nämlich Karl Kraus, der die einzelnen Kriegspropagandisten gehörig kritisiert hat.

 

Nach einer Würdigung der (antikriegshetzerischen) Tätigkeit von Kraus befasst sie sich mit den „Schaltzentralen“, nämlich dem Kriegsarchiv (KA) und dem Kriegspressequartier (KPQ) sowie deren Geschichte und Weiterentwicklung. Sodann erfährt der Leser im Kapitel Auf dem literarischen Feldherrenhügel Näheres über die wichtigsten Personen hinter bzw. in diesen Institutionen (General Woinovich von Belobreska, Maximilian von Hoen und Alois Veltzé), Personen, die als Vorgesetzte der noch zu behandelnden Literaten dienten. Wie die sogenannte Literarische Truppe im Kriegsarchiv organisiert und aufgebaut wurde, ist Thema des nächsten größeren Abschnitts. Hier wird ausführlich erläutert, mit welchen Mitteln die Kriegspropaganda betrieben wurde, nämlich mit Buchpublikationen, Vorträgen (siehe Zweig und Werfel!) und nicht zuletzt mit der Illustrierten Monatsschrift Donauland, für die nicht wenige Literaten Beiträge zur Verfügung stellten. Buxbaum spricht von einer „Massenfabrikation von Publikationen“ (S. 55).

 

Es folgen mehrere Abschnitte, die insgesamt zwölf Literaten zum Gegenstand haben. Es muss vorausgeschickt werden, dass diese „Abhandlungen“ den Reiz des Buches ausmachen. Der Leser wird mit teils bekannten, großteils aber mit weniger verbreiteten Zeugnissen (Briefen und Textbeispielen) bekanntgemacht, die, obwohl manchmal sehr lang, gleichzeitig von der Verfasserin gekonnt kommentiert werden. Wie tief der Lebenslauf des jeweiligen Literaten erforscht wird, unterscheidet sich. Buxbaum beginnt mit Rainer Maria Rilke, dessen Credo, wie das seiner Kollegen, „Nur nicht an die Front!“ lautete. Wie die Verfasserin aufzeigt, ist das Wort „diente“ ein durchaus dehnbarer und in vielen Fällen deutlich gedehnter Begriff, um die Tätigkeit im KA oder KPQ hier und in anderen Fällen zu beschreiben.

 

Interessant sind die Ausführungen über die Kriegsliteraten Franz Karl Ginzkey und Stefan Zweig (den die Autorin als „Drückeberger“ beschreibt, S. 97). Über Rudolf Hans Bartsch (hier oft falsch als Hans Rudolf Bartsch bezeichnet) ist bislang vielleicht weniger bekannt gewesen. Seine Kriegsromane und seine Neigung zum Staackmann Verlag lassen Schlüsse über seine Weltanschauung zu. Alfred Polgar wiederum wird als ein Typ beschrieben, der am liebsten gar nichts mit der Kriegspropaganda zu tun haben wollte. Ganz anders der „Vielschreiber“ und Kriegsfanatiker Felix Salten, der ebenfalls unter den KPQ-Literaten war und von dem es heißt: „Er produzierte patriotisch-nationalistische Texte am laufenden Band“ (S. 148).

 

In einem Abschnitt werden Robert Musil, Alexander Roda Roda (über den noch eine große Monografie zu schreiben wäre!), Franz Werfel und Egon Erwin Kisch behandelt und ihre schreibende Laufbahn im Dienste des Kaisers und Vaterlands verfolgt. Der darauffolgende Abschnitt nennt sich Die Reservisten: Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal und Anton Wildgans. Hier treffen sich, was den Erst- und Letztgenannten betrifft, die vielleicht extremsten Kriegsverherrlicher, von denen man sich am liebsten mit Ekel abwenden möchte. Als Kontrastbeispiel mag der letzte Literat in der Reihe, Franz Theodor Csokor, dienen.

 

Es stellt sich hier die Frage, welchen Standpunkt die Herren Kriegsliteraten nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, zu ihren aus heutiger Sicht widerlichen Ergüssen eingenommen haben. Aus den Ausführungen Buxbaums geht hervor, dass – was nicht verwundert – nicht wenige an ihre Kriegslyrik, Essays und Berichte gar nicht erinnert werden wollten. Einer, der sich von seiner Schreibarbeit während des Krieges doch distanzierte, war Csokor. Wenn man heute die kriegshetzerischen Texte liest, wundert man sich, wie die heutigen „Aushängeschilder“ der österreichischen Literaturgeschichte (und natürlich nicht nur sie) auf diese Weise in einen Weltkrieg hineingezogen werden konnten.

 

Obwohl zum Thema Literaten im Dienste des Kaisers, d. h. des KPQ bzw. des KA, bereits eine Reihe von Studien vorliegen – es sind vorwiegend (Wiener) Dissertationen, die bis ins Jahr 1949 zurückreichen –, muss auch die Verfasserin, wie ihre Vorgänger, konstatieren, dass die Quellen für die Aktivitäten vor allem der Literarischen Gruppe im KA „recht spärlich“ fließen (S. 24). „Der größte und interessanteste Teil, nämlich der zu den Propagandamethoden etc., war nach Kriegsende 1918 absichtlich verbrannt worden, damit mögliche Kriegshetzer nach dem Zusammenbruch der Monarchie nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten“ (S. 24). Ob dies eine Vermutung der Verfasserin oder irgendwo verbürgt ist, geht aus dem Text nicht hervor.

 

Trotz der spannenden Aufbereitung der Geschichte des KPQ und der Lebensläufe unterschiedlicher Literaten etc. muss auf einige Mängel hingewiesen werden. So fehlt bei manchen Zitaten im Haupttext ein Quellenhinweis, und die Bibliografie (S. 310ff.) könnte, vor allem was „Archive und Bibliotheken“ betrifft, für den Leser um einiges informativer gestaltet sein: Ein Überblick über die jeweiligen benützten Bestände fehlt, es bleibt unklar, ob man mit diesen Angaben einen Bestand bestellen könnte. Bei Zitaten aus dem Werk Musils wäre es sinnvoller gewesen, die zweibändige Ausgabe seiner Tagebücher aus dem Jahr 1976 heranzuziehen und auszuwerten, statt sich auf die überholten Auszüge, die 1955 erschienen, zu beschränken. Das betrifft auch die 1978 erschienene neunbändige Ausgabe seiner Gesammelten Werke.

 

Während bei einem Erscheinungstermin „Herbst 2014“ nicht zu erwarten ist, dass man jene Flut von Publikationen – vielfach Ausstellungskataloge zum 100jährigen Jubiläum des Kriegsbeginns – , berücksichtigen kann, wäre es beim Thema „Des Kaisers Literaten“ ein Gewinn gewesen, einen 1989 erschienenen Band, der auf eine Tagung in Klagenfurt zurückging, heranzuziehen (Österreich und der Große Krieg 1914–1918. Die andere Seite der Geschichte. Hrsg. von Klaus Amann und Hubert Lengauer. Wien: Verlag Christian Brandstätter, 1989). Es finden sich in diesem Band nicht nur mehrere Beiträge zur Literatur im Weltkrieg, sondern auch ein Artikel vom langjährigen Archivar des Österreichischen Staatsarchivs, Peter Broucek mit dem Titel Das Kriegspressequartier und die literarischen Gruppen im Kriegsarchiv 1914–1918 (S. 132–139). Peinlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Name des langjährigen Generaldirektors des Staatsarchivs, Kurt Peball, der, nebenbei bemerkt, überhaupt die erste Arbeit über das KPQ und die literarischen Gruppen schrieb (1949 bzw. 1961), mehrmals in der Bibliografie als „Preball“ erscheint (S. 273, 275, 276, 314). Diese und andere Tipp- und Schreibfehler tun dem insgesamt interessant gestalteten Beitrag zur Tätigkeit heute mal mehr, mal weniger bekannten Literaten während des Ersten Weltkriegs letzten Endes jedoch keinen Abbruch.

 

 

Elisabeth Buxbaum: Des Kaisers Literaten. Kriegspropaganda zwischen 1914 und 1918. Hrsg. von der Armin Berg Gesellschaft. Wien: Edition Steinbauer 2014, 320 Seiten.


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