Es schrieb: Josef Roth

(Echos, 27. 12. 2016)

Den folgenden persönlich gefassten Nachruf auf Karel Čapek, vielmehr jedoch ein Bericht über die eigene Verfassung und die düsteren Zukunftsaussichten, schrieb Joseph Roth noch während der Weihnachtsfeiertage 1938 im Café Tournon im sechsten Pariser Bezirk (im Hôtel de la Poste, in dem sich das Café befand, wohnte er seit April 1938). Der kurze Text erschien im Blatt der deutschen Emigranten, der Pariser Tageszeitung, am 27. Dezember, dem gleichen Tag, an dem die ersten Nachrufe in der tschechischen Presse gedruckt wurden. Laut der freundlichen Mitteilung Jiří Opelíks war der Text der Čapek-Forschung bisher nicht bekannt, Čapek selbst hat über seinen Journalisten- und Schriftstellerkollegen nie geschrieben, ein persönlicher Kontakt zwischen den beiden kann mit höchster Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

 

Čapek ist für Roth die Symbolfigur einer humanistischen Kultur, der ohnmächtige Europäer jener Zeit. Das elegische Ausklingen des Nachrufs und sein zorniger Pathos sind unvermeidlich mit den fatalen Ereignissen des Jahres 1938 verbunden, vor allem mit dem „Anschluss“ Österreichs im März und dem Münchner Abkommen der vier Großmächte über die Abtretung der tschechoslowakischen Grenzgebiete an den „preußischen Stiefel“, wie Roth Hitlers Deutschland in seinem Feuilleton zur Besetzung Wiens vom gleichen Jahr metaphorisch genannt hatte. Roth sympathisierte mit der Tschechoslowakei (vgl. das Echo zu seinen „Prager“ Artikeln), er liebte und idealisierte – entgegen der ablehnenden Haltung der absoluten Mehrheit seiner politischen und kulturellen Eliten – auch das alte Österreich (vgl. auch den Roman Die Kapuzinergruft von 1938). Für Otto von Habsburg, den Nachkommen der verehrten Dynastie, setzte sich Roth sogar wenige Tage vor dem Anschluss in Wien ein. Ihm wurde jedoch die Audienz beim Kanzler verwehrt... Geschockt war Roth wenig später von der Haltung gegenüber seinem Freund Franz Werfel, die ein Teil der monarchistischen Kreise, seine bisherigen Befürworter, an den Tag legte (es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Auseinandersetzung die Höhe des Honorars für abgegebene Texte betraf). Er wechselte deshalb zu den links gerichteten Nouvelles d´Autriche.

 

Auch in Paris schaltete sich Joseph Roth intensiver in die Flüchtlingshilfe ein – ob durch die Beschaffung von Dokumenten oder wenigstens durch persönliche Fürsprache. Als ihn der deutsche, zu jener Zeit in den Niederlanden wirkende Journalist Gerth Schneider besuchte, fand er laut eigener Aussage keinen „fleißigen Schriftsteller“ vor, sondern einen engagierten Helfer und Befürworter einer ganzen Reihe von Emigranten. Zu denen gehörte auch der Wiener Publizist und Prosaschriftsteller Soma Morgenstern, Roths galizischer Landsmann und damaliger Nachbar in Paris. Über seine Erfahrungen berichtete Roth schließlich in dem Artikel Die Kinder der Verbannten (Die Zukunft 12. 10. 1938). Trotz des großen Einsatzes blieb Roth (und weiteren seiner Freunde, zu denen vor allem Friderike Zweig und Joseph Gottfarstein, Talmudist und jiddisch schreibender Journalist, gehörten) letztendlich nichts anderes übrig als die „mörderischen Nachrichten [...], die von der Agonie Europas zeugen“, zu registrieren, zu beobachten und gegen sie anzuschreiben. Und das zu der gleichen Zeit, als der Autor die Arbeit an seinem letzten Werk, der Legende vom heiligen Trinker, begann.

 

Nach der Veröffentlichung des Nachrufes auf den „Kameraden Karel Čapek“ blieb Joseph Roth nur noch ein knappes halbes Jahr. Infolge der ununterbrochenen jahrelangen Stressbelastung und der physischen Selbstzerstörung durch ständiges Trinken kollabierte er in seinem Kaffeehaus-Tuskulum und starb drei Tage später, am 27. Mai 1939, im Hôpital Necker.

 

vp

 

 

Zum Tode Karel Čapeks

 

Der tschechische Dichter Karel Čapek ist, achtundvierzig Jahre alt, vorgestern gestorben; nach einer kurzen Krankheit, telegraphiert man aus Prag.

 

Wir glauben, daß es eine lange Krankheit war, eine lange schwere Krankheit, derzufolge auch die kurzen Krankheiten anständiger Menschen einen tödlichen Verlauf nehmen. Die lange schwere Krankheit ist jene merkwürdige, der Medizin bis nun unbekannt gebliebene Pest, die „Diktaturitis“, von der wir alle befallen sind, ob wir nun das Glück haben, nur kurzen Krankheiten zu erliegen, oder ob wir in körperlicher Gesundheit dazu verurteilt sind, jede Woche, jeden Tag, jede Stunde mörderische Nachrichten zu empfangen, die von der Agonie Europas zeugen. Besonders anfällig scheinen jene Wesen zu sein, die, mit dem Fluch einer optimistischen Konstitution behaftet, dem Glauben an ein europäisches Gewissen erlegen sind, lange noch vor dem Ausbruch der Diktatur-Pest. Die primäre Todesursache des Opfers ist in der Tat schwer festzustellen: Sind sie an ihren Illusionen gestorben oder durch die Brutalität ihrer Feinde umgekommen?

 

Wir beklagen die edlen Opfer einer Pest, die offenbar nicht allein durch die Bazillen tötet, aus denen sie besteht, sondern auch noch mittelbar durch Schmach und Schande. Treubruch-Wortbruch-Verrat-Erzeugung. Die Scham über eine träge Welt, die ihren Untergang durch Ehrlosigkeit beschleunigt, unter dem Vorwand, ihn aufzuhalten, ist zu groß, als daß sie diesen Edlen nur die Röte ins Gesicht triebe: Sie treibt ihnen vielmehr den Tod in die Brust. Den ehrhaften Menschen ist es schwer möglich, ihre Ohnmacht gegenüber einer Koalition von Mordbrennern und andächtigen Zuschauern der Feuersbrunst, aus kriegslüsternen Erpressern und masochistischen Erpreßten lange zu ertragen. Wie leicht wäre, verglichen mit dieser Ohnmacht, die tapfere, die ehrhafte Ohnmacht des körperlich Schwächeren gegen den bewaffneten Wegelagerer zu ertragen? Aber, dem Dolch kaum entronnen, sich in die Arme einer Humanität zu flüchten und von ihnen mitleidig erwürgt zu werden: Dies ist das Schicksal der illusionsbefangenen anständigen Europäer von heute.

 

Der Kamerad Karel Čapek starb an der Bahre seines Vaterlandes. Also ist er doppelt gestorben.

 

 

Übersetzung der Einleitung Katka Ringesová


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